Supraleiter: Durchbruch zur Anwendungsreife

Drastische Energieeinsparung, geräumige Kernspintomografen oder agile und wendige Schiffe: Der Einsatzbereich von Hochtemperatur-Supraleitern ist vielfältig. Inzwischen scheinen auch die Probleme gelöst, die bisher noch einer industriellen Herstellung der Leiter im Wege standen. Einen wichtigen Beitrag in diesem Bereich haben Prof. Dr. Ludwig Schultz und Dr. Bernhard Holzapfel vom Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden (IFW) geleistet. Der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft hat die Dresdner Forscher dafür mit dem Wissenschaftspreis 2006 ausgezeichnet.

Eine Panne an einer Höchstspannungsleitung im Emsland – und halb Europa liegt im Dunkeln. Vermieden werden könnten derartige Zwischenfälle mit dem Einsatz von Hochtemperatur-Supraleitern. Diese verfügen nicht nur über eine wesentlich höhere Kapazität als herkömmliche Leitungen, sondern würden auch den Einsatz von Strombegrenzern ermöglichen und so Kettenreaktionen innerhalb des Verbundnetzes verhindern.

Energietechnik: Stromfluss ohne Verluste

Hochtemperatur-Supraleiter transportieren bei gleichem Kabelquerschnitt etwa das Dreifache an Strom. Anders als Metalldrähte verlieren sie unterwegs keine Energie. Ein Problem ist jedoch die Herstellung der Leiter. Für den Einsatz im Stromnetz müssen sie in die Form von Drähten gebracht werden; da das Material sehr spröde ist, können sie jedoch nicht wie Metalldrähte gezogen und gewalzt werden. Eine Möglichkeit besteht darin, die supraleitende Phase Yttrium-Barium-Kupfer-Oxid (YBCO) auf Trägerbänder aufzubringen. Bei dem Verfahren, das die Dresdner Wissenschaftler entwickelt haben, wird hierzu ein Trägerband in eine chemische Lösung getaucht. Die Oberflächenatome des Trägerbandes müssen ein einheitliches Muster bilden, um zu gewährleisten, dass auch die Beschichtung gleichmäßig erfolgt. „Erlaubt ist eine Abweichung der zentralen Ausrichtung von bis zu 5 Grad“, erklärt Holzapfel, „alles andere behindert den Energiefluss“. Um die industrielle Herstellung hochtemperatur-supraleitender Drähte zu fördern hat das IFW die Firma evico GmbH gegründet, die die Technologie in Zusammenarbeit mit verschiedenen Unternehmen vermarktet. Weitere Kooperationen, unter anderem mit einem der führenden europäischen Kabelhersteller, sind in Vorbereitung.

Medizin: Mehr Platz im Kernspintomografen

Eine zentrale Rolle spielen Supraleiter in der Kernspintomografie, einem bildgebenden Verfahren, das Strukturen im Körperinneren sichtbar macht, und häufig zur Diagnose schwerer Krankheiten herangezogen wird.

Wenn jemand wiederholt die Tasse neben den Tisch stellt, an Sehstörungen oder unerklärlichen Lähmungen leidet, handelt es sich um Symptome, die auf Multiple Sklerose hindeuten können. In einem solchen Fall wird der Patient mit dem Kernspintomografen untersucht. Zur Durchleuchtung wird ein starkes Magnetfeld verwendet, das von einer supraleitenden Spule erzeugt wird. Der Patient befindet sich dabei innerhalb dieser Spule. Die Wasserstoffatome im menschlichen Körper reagieren auf das Magnetfeld, indem sie ihre magnetischen Momente alle in die gleiche Richtung ausrichten. Wird dann ein Hochfrequenzimpuls in Form eines Radiosignals eingestrahlt, lassen sich die Teilchen kurzfristig ablenken, um nach Ausschalten des Impulses wieder in die ursprüngliche Richtung zurückzukehren. Dabei geben sie Energie ab, die gemessen werden kann und Rückschlüsse auf die chemische Zusammensetzung der durchleuchteten Körperteile erlaubt.

„In den gegenwärtig verwendeten Geräten, in denen Niedertemperatur-Supraleiter eingesetzt werden, ist es wirklich eng“, erläutert Schultz, „für jemanden, der mit dem Schlimmsten rechnet, kann das sehr belastend sein. Mit Hochtemperatur-Supraleitern könnte man die Röhre dank dünnerer Isolationsschichten weiter machen“.

Während Niedrigtemperatur-Supraleiter auf minus 269 Grad heruntergekühlt werden müssen, funktionieren Hochtemperatur-Supraleiter bereits bei minus 196 Grad. Damit ist der Aufwand, der für die Kühlung betrieben werden muss, deutlich geringer als bei den herkömmlichen Verfahren. Im Gegensatz zu Niedrigtemperatur-Supraleitern, die mit flüssigem Helium gekühlt werden, kann für die Hochtemperatur-Supraleiter flüssiger Stickstoff verwendet werden. Die Kühlkosten gehen um einen Faktor 100 zurück; damit werden die Geräte entsprechend billiger und sind für Ärzte und Krankenschwestern auch einfacher zu bedienen.

Schiffbau: Motor im Steuerruder

Motoren, die bei gleicher Leistung ein Drittel des gegenwärtigen Volumens haben, sind ein weiteres Einsatzgebiet von Hochtemperatur-Supraleitern. In Schiffen können solche Motoren beispielsweise direkt im Steuerruder eingesetzt werden, womit sehr viel größere Ausschläge möglich wären. Schiffe hätten damit eine größere Beweglichkeit und Wendigkeit. Möglich wäre ebenfalls, dass sowohl hinten als auch vorne ein solches Ruder eingebaut wird, damit könnte das Schiff dann auch quer anlegen.

Kontakt:
Prof. Dr. Ludwig Schultz
Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung
Helmholtzstr. 20
01069 Dresden
Tel: 0351/4659-460
E-Mail: l.schultz@ifw-dresden.de
Dr. Bernhard Holzapfel
Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung
Helmholtzstr. 20
01069 Dresden
Tel: 0351/4659-455
E-Mail: b.holzapfel@ifw-dresden.de
Als vielfältigste Wissensregion im Osten Deutschlands verfügt Dresden über eine Infrastruktur von zehn Hochschulen, drei Max-Planck-, vier Leibniz- und elf Fraunhofer-Instituten. Hinzu kommen zahlreiche Transfereinrichtungen, Netzwerke, Kompetenzzentren sowie forschende Unternehmen. Mit der Reihe „Aktuelles aus der Forschung“ möchte das Netzwerk „Dresden – Stadt der Wissenschaften“ herausragende Projekte aus den Dresdner Wissenschaftseinrichtungen vorstellen und Ansprechpartner für die weitere Recherche bieten.

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Susann Pfeiffer idw

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