Intelligentes Konzept macht Kraftstoff aus Biomasse wirtschaftlich

Das Erkennungszeichen des im Forschungszentrum Karlsruhe entwickelten Verfahrens "bioliq" zur Nutzung von Biomasse für die Herstellung hochwertiger synthetischer Kraftstoffe und chemischer Grundprodukte. Foto: Forschungszentrum Karlsruhe

Pilotanlage wird mit Beteiligung der Industrie im Forschungszentrum Karlsruhe aufgebaut – Förderung durch Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe bewilligt


Mineralöl ist nur begrenzt vorhanden und – wie die jüngsten Preisentwicklungen zeigen – seine Verfügbarkeit vielen politischen und wirtschaftlichen Unwägbarkeiten unterworfen. Die Nutzung von Biomasse zur Herstellung hochwertiger synthetischer Kraftstoffe und chemischer Grundprodukte ist eine Alternative, die zu einer Entlastung und Ergänzung des zukünftigen Energie- und Chemiemarktes beitragen wird. Allein die vorhandenen ungenutzten organischen Stoffe wie Stroh oder Holz könnten über 10 % des derzeitigen Kraftstoffbedarfs in Deutschland decken. Die Nutzung scheiterte bisher daran, dass Biomasse auf große Flächen verteilt und wegen der langen Transportwege nicht wirtschaftlich zu verwerten war. Ein im Forschungszentrum Karlsruhe entwickeltes Verfahren namens „bioliq“ löst dieses Problem elegant und führt zu Kraftstoffen höchster Qualität, die für die künftige Motorengeneration hervorragend geeignet sind. Ein zweistufiger BTL-Prozess (Biomass To Liquid) wird sowohl dem verteilten Aufkommen als auch dem niedrigen Energieinhalt der Biomasse gerecht. Mit Förderung durch die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (Projektträger des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft) und Unterstützung der Industrie wird nun auf dem Gelände des Forschungszentrums mit dem Aufbau einer Pilotanlage begonnen, um den Gesamtprozess von der Biomasse bis zur Zapfsäule technologisch zu demonstrieren. Namhafte Automobilhersteller warten gespannt auf den High-Tech-Kraftstoff aus dem Forschungszentrum. Die Grundsteinlegung der Anlage findet am 4. November 2005 statt.
Biomasse ist die einzige erneuerbare Kohlenstoffquelle zur Herstellung chemischer Grundstoffe und hochwertiger synthetischer Kraftstoffe. Ihre konsequente Nutzung verringert die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen und klimaschädliche Emissionen wie CO2 und Rußbildung. Schon vorhandene ungenutzte Nebenprodukte wie Stroh und Holz können über 10 % des heutigen Kraftstoffbedarfs für den Verkehr in Deutschland decken. Allerdings können zu weite Transportwege derartiger Stoffe, die nur eine geringe Energiedichte aufweisen, die Wirtschaftlichkeit beeinträchtigen. Das im Forschungszentrum Karlsruhe entwickelte „bioliq“-Verfahren (Biomass to Liquid) sieht deshalb vor, in einer ersten Stufe aus der anfallenden Biomasse durch dezentrale Schnellpyrolyse-Anlagen ein transportfähiges flüssiges Zwischenprodukt hoher Energiedichte (vergleichbar mit Rohöl) zu erzeugen. Dieses kann dann mit geringen Transportkosten umweltfreundlich per Bahn zur zweiten Stufe der Verarbeitung, einer zentralen Großanlage zur Gaserzeugung und Synthese von Kraftstoffen, angeliefert werden.

„Alle entscheidenden Einzelschritte, die das „bioliq“-Verfahren enthält, wurden vom Forschungszentrum inzwischen entwickelt und erprobt“, erläutert Professor Dr. Eckhard Dinjus, Leiter des Instituts für Technische Chemie des Forschungszentrums Karlsruhe. „Jetzt wollen wir den Gesamtprozess in einer Pilotanlage zusammenführen: Auf der einen Seite werden wir die Anlage mit Stroh füttern, auf der anderen werden wir mit High-Tech-Kraftstoff unsere Autos betanken.“

Am „bioliq“-Verfahren sind zwei Industriepartner maßgeblich beteiligt: Mit der Firma Lurgi AG, Frankfurt am Main, wird ein für petrochemische Reststoffe entwickeltes Verfahren der Schnellpyrolyse auf den schwierigen Einsatzstoff Biomasse übertragen. Die Firma Future Energy aus Freiberg (Sachsen), eine Tochter der Sustec AG (Schweiz), ist führend auf dem Gebiet der Flugstrom-Druckvergasung. Der hier eingesetzte Vergasertyp hat sich bisher als einziger für die Hochdruck-Vergasung von Slurrys aus Biomasse bewährt.

Die Verarbeitungskosten der Biomasse für den High-Tech-Kraftstoff werden unter 50 Eurocent liegen; dazu kommen Kosten für die Ausgangsmaterialien, die derzeit in der gleichen Größenordnung liegen. Damit bliebe der Preis für einen Liter High-Tech-Kraftstoff unter einem Euro. Kraftstoff aus Biomasse ist noch bis mindestens 2009 von der Steuer befreit.

Die Automobilindustrie (VW und Daimler-Chrysler) hat Interesse an dem High-Tech-Kraftstoff aus dem Forschungszentrum für die Entwicklung noch emissionsärmerer Hochleistungsmotoren mit geringerem Kraftstoffverbrauch bekundet. Großes Interesse an einer Übernahme des Prozesses besteht auch in China, das in Zukunft seinen rasant steigenden Kraftstoffbedarf durch Einsatz von unterschiedlichen Stroharten zu großen Teilen mit Biomasse decken möchte.

Die Investitionskosten für die Pilotanlage betragen 23 Mio. Euro; ein Teil der Mittel wird vom Forschungszentrum und von den beteiligten Industrieunternehmen aufgebracht. Die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR, ein Projektträger des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft) hat entschieden, die Anlage zu fördern. Die Bewilligung für die erste Tranche wurde, wie beantragt, soeben erteilt. Die Pilotanlage wird als Erweiterung des Umwelttechnikums im Forschungszentrum Karlsruhe aufgebaut und betrieben.

Technischer Hintergrund

Haupteinsatzstoffe für das Verfahren sind Stroh und andere Lignozellulose, die mehr als 90 % der Landbiomasse ausmachen. Dazu zählen Getreidestroh, Restholz, Rinde und Papier. Rindenfreies, hochwertiges Holz ist zwar leichter einzusetzen, für das „bioliq“-Verfahren aber nicht erforderlich.

Die genannten organischen Einsatzstoffe haben sehr geringe Energiedichten (beispielsweise Strohballen: rund 2,7 Gigajoule/Kubikmeter) und können deshalb wirtschaftlich nur über kurze Distanzen transportiert werden. In einem dezentralen Verfahrensschritt (Kleinanlagen, zu denen die Erzeuger höchstens 25 Kilometer fahren müssen) wird deshalb zunächst ein Zwischenprodukt höherer Energiedichte erzeugt, das anschließend zu zentralen Großanlagen transportiert werden kann. Durch Schnellpyrolyse bei 500 °C in einem Doppelschnecken-Mischreaktor entstehen aus der Biomasse Pyrolyseöl und Pyrolysekoks. Diese werden zu einer Suspension gemischt, die gepumpt, wirtschaftlich transportiert und zerstäubt werden kann. Die Energiedichte der Suspension (des so genannten „Slurrys“) liegt einen Faktor 10 über der von Stroh und ist damit mit Rohöl vergleichbar.

Damit wird der Transport zur zentralen Anlage wirtschaftlich. Dort wird der Slurry in einem speziellen Flugstromvergaser bei Temperaturen um 1200 °C und Drücken bis 80 bar zu einem teerfreien Synthesegas, einer Mischung aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid, umgesetzt. Dieser Verfahrensschritt wurde an einem 5 Megawatt-Flugstromvergaser der Firma Future Energy in Freiberg/Sachsen inzwischen mehrfach erfolgreich getestet und optimiert.

Das mit hohem Druck entstandene Synthesegas wird direkt der nachgeschalteten Synthesestufe zugeleitet. Eine kostenaufwändige und mit hohen technischen Risiken behaftete Zwischenkompression des Gases ist nicht erforderlich.

Aus dem Synthesegas lassen sich praktisch alle wichtigen chemischen Grundbausteine erzeugen. Synthesekraftstoffe lassen sich beispielsweise durch das so genannte Fischer-Tropsch-Verfahren oder durch den vom Forschungszentrum vorgesehenen Prozess über das Zwischenprodukt Methanol erzeugen. Auf diese Weise können alle Arten von Diesel- und Ottokraftstoffen hergestellt werden. Die entstehenden Kraftstoffe sind reiner, umweltverträglicher und leistungsstärker als erdölstämmige Kraftstoffe und lassen sich für verschiedene Anforderungen der Automobil-Hersteller im Hinblick auf die strenger werdenden Abgas-Normen maßschneidern.

Das Forschungszentrum Karlsruhe ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, die mit ihren 15 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 2,1 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands ist. Die insgesamt 24000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Helmholtz-Gemeinschaft forschen in den Bereichen Struktur der Materie, Erde und Umwelt, Verkehr und Weltraum, Gesundheit, Energie sowie Schlüsseltechnologien.

Media Contact

Dr. Joachim Hoffmann idw

Weitere Informationen:

http://www.fzk.de

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