Kran aus Knochen und Muskeln

Der Wendehals Diplodocus: Diese Riesenechse ist mit 30 Metern einer der längsten Dinosaurier. Er lebte in der späten Jurazeit vor 156 bis 144 Millionen Jahren im Gebiet der heutigen USA (Colorado, Montana, Utah, Wyoming). Der zwölf Tonnen schwere Pflanzenfresser hat einen im Vergleich zum massigen Körper winzigen Kopf, der auf einem bis zu sieben Meter langen Hals sitzt. Untersuchungen mit Computer- und Neutronentomografie haben gezeigt, dass die Halswirbel für respektable Luftkissen Platz haben. Dank dem somit leichten und wendigen Hals konnte der Saurier effizient seinen enormen Bedarf an Schachtelhalmen, Farnen und Blättern decken – wie eine Art pneumatischer Kran in Leichtbauweise. (Bild des Modells im Dinopark «Im Grünen», Genossenschaft Migros Basel)

Mit der Neutronenradiografie am Schweizer Paul Scherrer Institut (PSI) lassen sich Objekte aus zahlreichen wissenschaftlich-technischen Gebieten zerstörungsfrei prüfen und durchleuchten.

So ergaben Untersuchungen an Halswirbeln eines 30 Meter langen Dinosauriers aufschlussreiche Befunde über Körperbau und Verhalten der Riesenechse. Die hohlen Knochen reduzierten nicht nur beträchtlich das Gewicht, das darin eingerichtete pneumatische System trug auch wesentlich zur Stabilisierung und Beweglichkeit des Halses bei. Vermutlich konnte der Pflanzenfresser dadurch seinen enormen Nahrungsbedarf effizienter decken.

Dinosaurier sind sehr populäre Geschöpfe, auch wenn sie bereits vor 65 Millionen Jahren ausgestorben sind. In zahlreichen Ausstellungen, Parks und Museen werden die urzeitlichen Riesenechsen stets von einem grossen Publikum bestaunt. Diese Faszination gründet auch auf dem Mythos einer längst vergangenen Zeit, als in der Schweiz ein tropisches Klima herrschte und weite Gegenden vom Tethysmeer überflutet waren.

Forschende haben bereits etliche Erkenntnisse über die Lebensweise der Dinosaurier gewonnen. Wie sie lebten, was sie frassen, warum sie so gross wurden. Dabei ist von der Vorstellung Abschied zu nehmen, die Grossreptilien seien primitive Monster gewesen. Noch sind aber viele Fragen ungewiss. Mehr Licht ins Dunkel haben kürzlich Ergebnisse gebracht, die zerstörungsfreie Verfahren wie die Computer- (CT) und die Neutronentomografie (NT) des PSI einsetzten.

Bei der CT werden Röntgenstrahlen und bei der NT Neutronen mit angemessener Energie durch die Probe geschickt. Röntgen eignet sich für dicke organische Proben, wie das Durchleuchten des menschlichen Körpers. Die Neutronenradiografie hingegen kann dünne Schichten organischer Stoffe oder andere wasserstoffhaltige Proben sehr kontrastreich abbilden, weil die Neutronen im Gegensatz zu Röntgenstrahlen an leichten Atomen wie Wasserstoff stark streuen. Neutronen können die meisten Metalle leicht durchqueren, während Röntgenstrahlen gestoppt werden und somit kein Bild über die Probe liefern.

Hohlräume in Knochen ermittelt

Ein Forschungsteam des Naturhistorischen Museums Basel (NMB) hat in einem vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekt verschiedene Wirbelknochen des Dinosauriers Diplodocus mit CT und NT untersucht. Die Kombination der beiden tomografischen Verfahren erbrachte ein detailliertes Bild der innern Hohlräume. Durch die Tomografien lassen sich auch die Verteilung der pneumatischen Strukturen im Knocheninneren herausfinden und rekonstruieren, ohne dass die wertvollen Reste zerstört werden.

Der Diplodocus wurde 30 Meter lang, fast vier Meter hoch und wog vermutlich etwa zwölf Tonnen. Sein Hals war stolze sechs bis sieben Meter lang. Versteinerte Knochen hat man in den US-Bundesstaaten Colorado, Montana, Utah und Wyoming entdeckt. Dort lebte der Dinosaurier vor 156 bis 144 Millionen Jahren (im späten Jura) und ernährte sich von Pflanzen. Die untersuchten Knochen stammen aus dem Sauriermuseum Aathal ZH.

Luftschläuche verhindern Absacken

Anhand der CT und NT rekonstruierten die Wissenschaftler die Weichteile im Hals, die früher die Hohlräume in und um die Wirbel ausgefüllt hatten. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Diplodocus im Halsbereich um die Wirbel herum ein dreiteiliges Luftschlauch-System besass. Mit Hilfe der prallen pneumatischen Schläuche konnte er den langen Hals in Normalstellung stabil halten. So wurde beispielsweise zusammen mit dem Bänderapparat ein Absacken des Halses verhindert.

An den einzelnen Halswirbeln war durch die pneumatischen Strukturen mindestens die Hälfte der Masse reduziert. Das zeigen die tomografischen Schnitte. Das gesamte Halsgewicht war demnach ein Fünftel leichter als früher berechnet. Der Riese konnte also seinen Hals pneumatisch drehen und schwenken. Um die Pflanzen effizient ins Maul zu bekommen, so vermuten die Paläontologen, bewegte der Diplodocus seinen Hals wendig auf und ab sowie hin und her – wie ein höchst flexibler und stabiler pneumatischer Kran. Mit einer klugen Kombination von Biologie und Technik könnten so die Millionen Jahre alten Fossilien das Prinzip liefern für eine neuartige Technologie im Kranbau und als Beispiel dienen von gelungener Bionik nach Dino-Art.

Neue Neutronenradiografie-Anlage am PSI

Die Anwendungen der Neutronenradiografie am PSI haben sich seit Inbetriebnahme der Anlage NEUTRA im Jahr 1997 stark erweitert. Das bildgebende Verfahren kommt heute neben Routineaufgaben bei der zerstörungsfreien Prüfung vornehmlich der Forschung in Elektrochemie, Bodenkunde, Geologie, Holzanalyse, Archäologie und (wie zuvor beschrieben) Paläontologie zugute. Die hohe Nachfrage nach Messungen und die Weiterentwicklung der Methode führten zum Entschluss, am PSI eine zweite Anlage aufzubauen. Die kürzlich fertig gestellte Strahllinie ICON verwendet kalte Neutronen und weist im Vergleich zur bisherigen Anlage ein unterschiedliches Neutronenspektrum auf. Dadurch lässt sich die Aussagekraft der Untersuchungen mit Neutronenradiografie weiter verbessern.

Auf dem Gebiet der industriellen Anwendungen dominieren zurzeit Analysen von elektrochemischen Brennstoffzellen, die Wasserstoff und Sauerstoff zu elektrischem Strom umwandeln. Das dabei entstehende Wasser kann mit Neutronen sehr genau in hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung auch innerhalb der metallischen Struktur sichtbar gemacht werden. Anhand solcher Detailstudien lässt sich die Effizienz der Brennstoffzellen erheblich steigern. Werden die Zellen in Fahrzeugen eingesetzt, können solche Antriebe wesentlich zu einem umweltfreundlicheren Strassenverkehr beitragen.

Für weitere Auskünfte:

Dr. Eberhard Lehmann, Leiter der Gruppe Neutronenradiografie, PSI; Telefon +41 (0)56 310 29 63; eberhard.lehmann@psi.ch

Dr. Daniela Schwarz, Paläontologin, Naturhistorisches Museum Basel; Telefon +41 (0) 61 266 55 90; daniela.schwarz@bs.ch

Media Contact

Beat Gerber idw

Weitere Informationen:

http://www.psi.ch http://www.bs.ch

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