Bad Urach: Erste Testphase für die Errichtung eines geothermischen HDR-Kraftwerkes erfolgreich

Bad Urach: Erste Testphase für die Errichtung eines geothermischen HDR-Kraftwerkes erfolgreich abgeschlossen

In Bad Urach wird derzeit ein neues Kapitel in der Entwicklung geothermischer Kraftwerke aufgeschlagen. Um den ständig aus der Tiefe unseres Planeten an die Oberfläche drängenden Wärmestrom in elektrischen umwandeln zu können, ist man bislang noch auf natürliche Heißwasserressourcen oder Dampflagerstätten angewiesen. Was macht man aber dort, wo der kochendheiße Untergrund kaum Wasser enthält oder gar im wahrsten Sinne des Wortes knochentrocken ist? Auch seine Wärme macht sich Joule für Joule permanent und ungenutzt in den Weltraum davon.

Aus den erfolgreichen Arbeiten des Europäischen Hot-Dry-Rock-Forschungsprogramms, das in den letzten Jahren im elsässischen Soultz-sous-Forêts vorangetrieben wurde, lassen sich nun eine Reihe von erfolgversprechenden technologischen Wegen ableiten und neue Konzeptionen entwickeln, die einer zukünftigen Energieversorgung neue, nachhaltige und klimaschonende Standbeine hinzuzufügen.

Im schwäbischen Bad Urach jedenfalls sieht man in diesen Tagen einige frohe Gesichter mehr. Im Rahmen des Zukunfts-Investitions-Programms hatte das Bundesumweltministerium 6,5 Mio. Euro für die Entwicklung eines Hot-Dry-Rock-Pilotkraftwerkes zur Verfügung gestellt. Die dortige Forschungsgruppe betrat zwar kein unbekanntes Terrain, der Bad Uracher Untergrund gilt als einer der am besten erkundeten. Die Stadt hatte bereits seit den 70er Jahren HDR-Forschung und sich konsequenterweise ab den 80er Jahren intensiv am Europäischen HDR-Programm engagiert. Man verfügt über Forschungsbohrung, die Anfang der 90er Jahre auf 4445 m vertieft wurde und die nun auch für die weiteren Testarbeiten herangezogen werden konnte.

„Da unten herrschen Temperaturen bis zu 170 °C,“ so Projektleiter Helmut Tenzer von den Bad Uracher Stadtwerken. „Eine riesiges Energiepotenzial wartet da auf uns. Aus unseren früheren Arbeiten wissen wir, dass das Gestein ist von zahlreichen Klüften durchzogen ist.“ Die spannende Frage war, gelingt es diese Klüfte soweit aufzuweiten, dass von der Oberfläche her genügend Wasser hindurchgepresst werden kann, das sich in der Tiefe erhitzt und über eine zweite Bohrung an die Oberfläche zurückkehrt, um eine Turbine anzutreiben? Im heißen Gneis des Grundgebirges (Kristallin), außerhalb von Vulkangebieten oder tektonisch aktiven Grabensystemen hatte das bislang noch niemand probiert. Das Grundgebirge ist der Teil der Erdkruste, der nicht aus Ablagerun-gen (Sedimenten) besteht. Diese Ablagerungsschichten liegen über dem Grundgebirge und können im Laufe der Erdgeschichte eine Dicke von vielen Kilometern erreicht haben.

Mit der zu lösenden Aufgabe betrat man also neues Terrain. „Ein bisschen angespannt waren wir daher schon,“ gibt Tenzer heute gerne zu. Das internationale Team nahm Ende April seine Arbeit auf. Dabei waren u. a. die Spezialisten von Q-con aus Kapellen und von Semore Seismic, die ihre Erfahrungen im Europäischen Projekt sammeln konnten, sowie der Logging Service von J. Nichols. Semore und Nichols konnten zudem ihre Kenntnisse aus einem britischen Vorläufervorhaben in Rosemanowes (Cornwall) einbringen. „Es war sicher keine einfache Ausgangslage,“ so Tenzer, „aber die im Team versammelte jahrelange Erfahrung ermöglichte uns einen guten Start und stellte eine tragfähige Basis für einen erfolgreichen Ablauf der Arbeiten.“ Wissenschaftlich begleitet werden die Aktivitäten durch das Göttinger Zentrum für Geowissenschaften, einer Einrichtung der dortigen Universität sowie durch die Universitäten Tübingen. Bei späteren Arbeiten sollen auch noch die Spezialisten der Jenaer Universität zum Projekt hinzustoßen.

Die Frage war, würde es durch hydraulischen Druck (hydraulische Stimulation oder Frac) gelingen, das Kluftsy-stem im Untergrund soweit aufzuweiten, dass für eine spätere Stromproduktion genügend Wasser hindurchfließen könnte? Durch die Arbeiten sollte also ein ausgedehntes, feines Netz aus wassergängigen Klüften entstehen und dauerhaft offen gehalten werden können. Für ein komplettes HDR-System benötigt man jedoch mindestens noch eine weitere Bohrung, damit das Wasser zwischen Oberfläche und Untergrund im Kreislauf gefahren werden kann. Diese zweite kann jedoch erst dann abgeteuft werden, wenn man weiß, wie und in welche Richtung sich das stimulierte Kluftsystem entwickelt. Der hydraulische Druck wird im Gestein den Weg des geringsten Widerstandes suchen und sich damit entlang der Klüfte fortbewegen. Deren ungefähre Richtung (Hauptspan-nungsrichtung) war aus den Arbeiten der vorangegangenen Jahre recht gut bekannt. Nun durfte man also ge-spannt sein, ob sich das Gestein tatsächlich so verhielt, wie auf Grund der Datenlage angenommen.

Mit großen Pumpen und hohem Druck wurde also nach einer vorher entwickelten Strategie in drei Zyklen Wasser in den Untergrund verpresst (injiziert). Diese Arbeiten wurden von der Firma DrillTec Karlsruhe/Jena durch-geführt. Das für die Sicherheits- und Bohrungstechnik verantwortliche Team war mit Geotec-Consult aus Markt Schwabe und Geowell aus dem schweizerischen Untersiggenthal international besetzt. „Als wir unsere ersten Ergebnisse sahen, war das Team schon ein bisschen begeistert,“ erinnert sich Tenzer nur zu gern. Das Gestein reagierte sehr entgegenkommend. Nach und nach konnte die Injektionsrate bis zum dritten Zyklus auf über 50 l/s angehoben werden. Im Verlauf dieser Arbeiten wurde eine große Anzahl an Klüften und Rissen aufgemacht. Selbst als während der letzten Testphase in Randbereichen des Kluftsystems noch nicht geöffnete Risse sich heftig der Injektion zu „widersetzen“ schienen und die Menge des verpressten Wassers reduziert werden musste, konnte das System noch erweitert werden. Insgesamt wurden 5600 m3 Wasser eingesetzt. Um festzustellen, ob die Klüfte auch im umgekehrten Strom würden Wasser liefern können, ließ man dieses mehrfach aus der Boh-rung zurücklaufen.

Die hydraulischen Auswertungen zeigten, dass zwischen 3300 bis 4500 m Tiefe im Gestein ein Kluftnetz entstanden war. Seine horizontale Ausdehnung beträgt ca. 800 m in Richtung Nordwest und ca. 800m gegen Südosten. Es ist von mehr oder weniger undurchlässigem Grundgebirge umgeben. Da ein solches Netz im späteren Kraftwerksbetrieb als unterirdischer Wärmetauscher dienen soll, ist es natürlich wichtig, dass von oben her ein-gepresstes Wasser sich nicht im Untergrund davon macht.

Ausgewertet wurden dabei die Geräusche, Knackimpulse, die bei der Aufweitung des Kluftsystems entstehen und die über Geophone, eine Art Mikrophone, die in benachbarte Bohrungen eingehängt werden, aufgefangen und lokalisiert werden können. Im Falle Bad Urach handelte es sich um fünf Geräte in 200 bis 265 m Tiefe. Im Computer werden diese Signale gesammelt und in dreidimensionaler Darstellung als Punkte wiedergegeben. Auf dem Monitor erscheint diese dann als „Punktwolke“, welche die räumliche Ausdehnung des Wärmetauschers präzise wiedergibt. Auch das Freiburger Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau beteiligte sich mit seinem Landesnetz und zwei zusätzlichen Stationen an der Aufnahme der seismischen Signale.

„Um während der Testarbeiten die Ausdehnung des Kluftnetzes im Untergrund in Echtzeit verfolgen zu können, hatten wir ein Processing entwickelt,“ sagte Ralph Weidler von Q-con, „dass uns eine automatische parallele Überwachung der räumlichen und zeitlichen Ausbreitung der Signale und deren Stärke ermöglichte.“ Der Erfolg dieses in Urach erstmals gestesteten Verfahrens stellt einen weiteren wesentlichen Fortschritt auf dem Weg zur Serienreife von HDR-Anlagen dar, denn damit kann die Entstehung des unterirdischen Wärmetauschers direkt am Bildschirm verfolgt, können die weiteren Arbeitsabläufe unmittelbar gesteuert werden.

„Sie können sich vorstellen, dass unser Team sehr zufrieden und auch ein wenig erleichtert ist. Natürlich freuen wir uns alle sehr über unseren gemeinsamen Erfolg,“ kommentiert Tenzer den Erfolg. Erstmals weltweit konnte unter diesen geologischen Bedingungen das Gestein in der Tiefe mit den für ein HDR-Kraftwerk erforderlichen Einflussgrößen stimuliert werden. Diese Ergebnisse dürften auch auf andere Regionen übertragbar sein. Tenzer: „Sie bestärken uns, auf dem eingeschlagenen Weg weiterzumachen.“

Von der Stimulation geht es nun in die Simulation. In einem nächsten Schritt soll nun anhand eines Computer-Modells das Verhalten des Kluftnetzes in einem Betrieb mit einer und mehreren Förderbohrungen dargestellt werden. Diese Ergebnisse bilden dann die Grundlage für das Konzept des zu errichtenden Kraftwerks.

Die Ergebnisse der Bad Uracher Arbeiten werden während der 7. Geothermischen Fachtagung vorgestellt., die vom 6.-8.11.2002 in Waren (Müritz) stattfindet.

Generelle Informationen zum Gesamtvorhaben finden Sie auf der Projekthomepage der Stadtwerke Bad Urach, weitere Informationen zu allen Bereichen der Geothermie auf der Homepage der Geothermischen Vereinigung „Unser Energischer Planet“, beide im Internet-Portal www.geothermie.de Wenn sie auf dem laufenden bleiben möchten, können sich in den Verteiler unseres Email-Newsletters geothermie.de aufnehmen lassen, das Sie in Schlagzeilen kurz über die aktuellen Themen der Homepage und aktuelle Entwicklungen aus dem Bereich der Geothermie versorgt.

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Werner Bussmann idw

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