Leben in Gefahr – IT für das Katastrophenmanagement

Die Anzahl und Heftigkeit von Naturkatastrophen nehmen zu. Erdbeben, Stürme, Überschwemmungen, Vulkanausbrüche, Tsunamis, Waldbrände oder Hitzewellen haben unzählige Opfer gekostet. Nach wie vor ist der Mensch diesen Ereignissen schutzlos ausgeliefert.

Zwar wurden weltweit die Vorhersagen und Datensammlungen deutlich verbessert, dennoch verursacht die extrem kurze Vorwarnzeit z. B. bei Erdbeben Zerstörungen, viele Tote und Verletzte. Auch die wirtschaftlichen Schäden treiben die betroffenen Regionen in den Ruin. Eine weitere wichtige Anwendung ist die Organisation von Großevents wie z. B. Fußballweltmeisterschaften oder Musik-Festivals.

Moderne IT-Systeme können Katastrophen nicht verhindern, aber einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, Opfern und Betroffenen schneller zu helfen und die Rettungskräfte bei ihrer gefährlichen Arbeit optimal zu unterstützen. Das Fraunhofer IOSB zeigt auf der CeBIT 2011 prototypisch ein umfassendes, modular aufgebautes System, das sowohl die Kräfte vor Ort als auch die Einsatzleitung und Krisenstäbe unterstützt und entlastet.

Entscheidend für die Katastrophenbewältigung ist eine möglichst schnelle Klärung der aktuellen Situation im Katastrophengebiet. Welche Schäden sind wo entstanden, welche Infrastrukturen sind noch nutzbar, wo befinden sich Überlebende, welche Rettungsmittel werden benötigt, wie kommen die Einsatzkräfte in das Gebiet, welche Gefahren bestehen dort für sie und welche Spezialisten werden gebraucht – um nur einige Fragen zu nennen.

Die Forscher des Fraunhofer IOSB in Karlsruhe und Ilmenau haben einen ganzheitlichen Ansatz gewählt, um zukünftig mit modernsten Technologien die Einsatzteams zu unterstützen und den Opfern schnellstmöglich zu helfen. Für die Erkundung der aktuellen Lage stehen den Rettern verschiedene mobile Sensorplattformen zur Verfügung.

Das sind z. B. Minihubschrauber, s. g. Quadrocopter, die mit Kameras und Infrarotsensoren ausgestattet in einem GPS-gesteuerten Erkundungsflug das Gelände aus der Luft inspizieren. Dabei können auch mehrere Fluggeräte gleichzeitig im Schwarm mit verschiedenen Sensoren ausgestattet das Gebiet überfliegen. So lässt sich sehr schnell feststellen, wo Brandherde sind, eventuell verschüttete Personen liegen oder giftige Gase austreten. Per Video-Downlink funken die Fluggeräte in Echtzeit die Daten und Bilder an eine Bodenstation, von der aus die Erkundungsflüge überwacht und gemanagt werden. Als Bodenstation dienen handelsübliche Toughbooks, also outdoortaugliche Laptops, die leicht transportabel sind. Von der Bodenstation aus werden die Informationen direkt an die Einsatzleitung im Lagezentrum übermittelt.

Neben der Lufterkundung stehen auch unbemannte Mini-Unterwasserfahrzeuge zur Verfügung, um Inspektionsfahrten bis in eine Tiefe von max. 6000 m zu unternehmen. Sie erledigen vielfältige Aufgaben wie die Überprüfung von Pipelines, Offshore-Windkraftanlagen, Stau- und Hafenanlagen oder auch Tauchfahrten für die Suche nach Vermissten oder zur Inspektion von Staumauern.

Am Fraunhofer IOSB wurde im letzten Jahr am Standort Ilmenau ein eigenes Testbecken gebaut, in dem die Forscher verschiedene Experimentalplattformen zum Einsatz unter Wasser untersuchen und bewerten.

Mobile Landroboter übernehmen die Erkundung innerhalb von Gebäuden, Tunneln oder anderen baulichen Infrastrukturen. Die Landfahrzeuge dienen außerdem als Ladestationen für die Quadrocopter und sind selbst mit Sensoren ausgestattet, um weitere Informationen zu sammeln.

In der Einsatzleitstelle laufen dann die aktuellen Informationen zusammen. Dem Krisenstab steht hier zur Auswertung der Daten ein digitaler Lagetisch zur Verfügung. Ein horizontaler Großbildschirm dient als »Tisch« zur großräumigen Übersichtdarstellung von Kartenmaterial oder Luft- und Satellitenbildern. Ein zweites senkrecht stehendes Großdisplay dient der Anzeige von Sekundärinformationen wie Wettervorhersagen, Pegelstands- und Verkehrsmeldungen. Die Aufnahmen der Quadrocopter und anderen mobilen Sensorträger lassen sich in Echtzeit einbinden. So ist der gesamte Krisenstab stets auf dem neuesten Informationsstand und kann sich einen umfassenden Überblick über die aktuelle Situation verschaffen.

Zusätzlich verfügt jedes Teammitglied über ein »Fovea-Tablet-PC«, ähnlich einem IPad. Legt jemand seinen Tablet-PC auf den Lagetisch, so synchronisiert sich dieser sofort mit dem aktuellen Kartenausschnitt. Wie mit einer intelligenten Lupe lassen sich mit dem Tablet-PC individuell benötigte Detailinformationen oder Planungsschritte der Einsatzplanung einarbeiten. Je nach Funktion und Aufgabe des Teammitglieds können das verschiedene Informationen sein: z. B. muss der Mediziner Angaben zu der Anzahl und Verletzungen der Opfer haben, während Feuerwehr, Polizei oder THW den Überblick über ihre Ressourcen und Zugangsmöglichkeiten benötigen. Durch diesen mehrschichtigen Ansatz auf unterschiedlichen Detailebenen können multidisziplinäre Expertenteams gemeinsam und gleichzeitig an der Organisation und Ablaufplanung des Katastropheneinsatzes arbeiten. Kommunikation und Koordination werden dadurch wesentlich vereinfacht.

Bei Großschadenslagen, wie z. B. einem Tsunami, wird ein überregionales Krisenzentrum benötigt. Hier ist das Fraunhofer IOSB dabei, einen »aufmerksamen und mitdenkenden« Raum zu entwickeln, der den Ansprüchen einer solchen Herausforderung entspricht. Der SmartControlRoom ist mit einer großen Videowand ausgestattet, an allen Wänden sind Videokameras installiert und Mikrofone eingebaut. Einen PC mit Maus und Tastatur findet man hier nicht, denn der ganze Raum reagiert auf die Menschen, die sich in ihm befinden und gemeinsam in ihm arbeiten. Die große Videowand (die während der Messe freundlicherweise von der Fa. Barco zur Verfügung gestellt wird) dient als Visualisierungsfläche der eingehenden Informationen aus den angeschlossenen Lagezentren. Sie wird durch Gesten- und Spracherkennung gesteuert. Auf einen Fingerzeig hin erscheinen Land- und Straßenkarten, aktuelle Positionen von Einsatzkräften, Infrarotaufnahmen oder Videos. Jeder kann sich frei im Raum bewegen, »seine« Information wandert an der Videowand mit ihm mit. Möglich wird das über eine Gesichtsidentifikation, Tracking der Person und Kopfposenmessung durch die Kameras an den Wänden. So weiß der Raum jederzeit, wer wo gerade ist, mit wem er spricht und durch Sprachkommandos, welche Informationen die Person benötigt.

Aber nicht nur bei Bewältigung von Naturkatastrophen sondern auch bei der Planung von Großveranstaltungen, bei terroristischer Bedrohung, oder dem Schutz kritischer Infrastrukturen und Liegenschaften kann diese Infrastruktur eingesetzt werden. Durch den modular koppelbaren Aufbau der Einzelsysteme ist die Ausstattung skalierbar und an die jeweiligen Aufgabenstellungen und Bedürfnisse der Nutzer anpassbar.

Aktuelle Forschungen beschäftigen sich mit neuer Sensorik, wie z. B. dem »Gated Viewing«. Lasertechnologien ermöglichen eine Sicht auch durch Feuerwände, Rauchwolken und Gasschwaden, z. B. bei Tunnelbränden.

Auf der CeBIT 2011 wird das System als Prototyp neben weiteren aktuellen Sicherheitstechnologien aus der Fraunhofer Forschung auf dem Fraunhofer Stand in Halle 9, B 36 erstmalig vorgeführt.

Das Fraunhofer IOSB ist mit seinen 500 Mitarbeitern und vier Standorten in Deutschland in Karlsruhe, Ettlingen, Ilmenau und Lemgo sowie einem Verkaufsbüro in Peking das größte Institut des Fraunhofer-Verbundes für Informations- und Kommunikationstechnik (IuK). Es verfügt mit den drei Kernkompetenzen Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung über ein durchgängiges Kompetenzspektrum, das von der Objekt- und Sensorphysik über die Bildgewinnung und -auswertung bis zum Informations- und Wissensmanagement und zur Anthropomatik reicht. Im Institut steht ein breites Know-how im Bereich der Sensorfusion, des Wissensmanagements, der automatischen Bildauswertung und autonomer Fahrzeugführung zur Verfügung.

Das IOSB konzentriert sich vornehmlich auf die fünf Geschäftsfelder:

• Automatisierung
• Energie und Umwelt
• Inspektion und Sichtprüfung
• Verteidigung
• Zivile Sicherheit.
Die Fraunhofer-Gesellschaft ist mit 17.000 Mitarbeitern und einem Forschungsvolumen von 1,4 Mrd. € Europas größte Forschungseinrichtung in der angewandten Forschung.

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