X-Chromosomen – Ein Regulator mit viel Selbstkontrolle

Die genetische Aktivität einer jeden Zelle muss streng reguliert und kontrolliert sein, weil ein Zuviel wie auch ein Zuwenig katastrophale Folgen haben kann. Höhere Lebewesen sehen sich dabei mit einer besonderen Herausforderung konfrontiert.

Denn ihre Erbanlagen kommen doppelt vor: Ein Set an Genen stammt von der Mutter, das andere vom Vater. Beim Menschen, der Maus, der Taufliege Drosophila und vielen anderen Arten kommen verschiedene Geschlechtschromosomen vor, die ungleich verteilt sind – und deshalb unterschiedlich reguliert werden müssen.

Weibliche Zellen tragen zwei X-Chromosomen, männliche Zellen dagegen nur ein X- und ein Y-Chromosom, das sehr viel kleiner ist und nur wenige Gene trägt. Kompensatorische Maßnahmen sind nötig, damit die Gene auf den X-Chromosomen in den männlichen und weiblichen Zellen gleichermaßen genutzt werden. So muss gewährleistet werden, dass trotz unterschiedlicher Chromosomendosis dieselbe Menge an Genprodukten vorhanden ist. Letztlich müssen die Gene des X-Chromosoms in männlichen Zellen doppelt so aktiv sein wie in weiblichen Zellen.

Störungen mit tödlicher Wirkung

In der Taufliege Drosophila melanogaster wird der Prozess der Dosis-Kompensation besonders intensiv untersucht. Wird dieser entscheidende Prozess gestört, sind die betroffenen Männchen nicht lebensfähig. Ein essenzieller Faktor dabei ist der Dosis-Kompensationskomplex DCC, der ausschließlich Gene auf dem X-Chromosom reguliert. „Wir wollten nun wissen, wie diese Enzymmaschinerie selbst reguliert wird“, sagt der LMU-Biologe Professor Peter Becker. „Eine wichtige Frage ist, wie das X-Chromosom von den übrigen Chromosomen unterschieden wird, deren Genaktivität nicht beeinflusst wird – und nicht beeinflusst werden darf.“

Auch hier scheint es auf die Dosis anzukommen: Wird die Menge an DCC künstlich erhöht, so binden die überschüssigen Regulatoren auch an falsche Chromosomen. Becker und sein Team fahndeten nach Mechanismen der enzymatischen Qualitätskontrolle: Wie wird gewährleistet, dass die sieben Komponenten des DCC im richtigen Verhältnis hergestellt werden? Den Forschern gelang mit Hilfe des Modellorganismus Drosophila der Nachweis, dass der DCC über eine Art autoregulatorischen Sensor und Effektor zugleich verfügt.

Die eigene Dosis regulieren

Dabei handelt es sich um eine neuartige Enzymaktivität im zentralen Baustein der Enzymmaschinerie. Das Protein MSL2 besitzt Ubiquitin-Ligase-Aktivität und kann damit Proteine für den Abbau markieren. Dafür werden an das Molekül, das zerlegt werden soll, sogenannte Ubiquitin-Ketten angehängt. Doch MSL2 kann nicht nur sich selbst modifizieren, sondern auch drei der vier anderen Proteine des DCC. „Wir vermuten, dass fehlerhafte oder unvollständige Komplexe die interne Qualitätskontrolle nicht passieren und dann abgebaut werden“, so Becker.
Doch nicht jedes ubiquitinierte Molekül wird gleich entsorgt: Die Forscher konnten modifizierte DCC-Komponenten nachweisen, die an Gene gebunden waren. „Wir leiten daraus die Hypothese ab, dass Ubiquitin-Markierungen nicht notwendigerweise die Beseitigung des markierten Proteins zur Folge haben müssen“, sagt Becker. „Möglicherweise fungieren diese Moleküle dann als Signalstrukturen – auch wenn noch unklar ist, welche Mechanismen hiervon betroffen sind.“ (suwe)

Publikation:
MSL2 Combines Sensor and Effector Functions in Homeostatic Control of the Drosophila Dosage Compensation Machinery
Raffaella Villa et.al.
Molecular Cell online, 18. Oktober 2012
Doi http://dx.doi.org/10.1016/j.molcel.2012.09.012

Ansprechpartner:
Professor Peter Becker
Adolf-Butenandt-Institut der LMU
Tel.: 089 / 2180 – 75427
E-Mail: pbecker@med.uni-muenchen.de

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