Wie sich Insektenpanzer molekular knacken lassen

Lichtmikroskopische Aufnahme einer lebenden Drosophila, die nicht genügend vom Wachstumsfaktor idgf6 produzieren kann. Folge sind Defekte im Atemorgan und auch im Chitinpanzer. Foto: Dr. Matthias Behr

Was in der Taufliege (Drosophila) – dem „Haustier“ der Entwicklungsbiologen – funktioniert, lässt sich in der Regel auch auf andere Insekten übertragen: Werden bei den Fliegen die Gene für das Enzym Chitinase 2 und den Wachstumsfaktor idgf6 weitgehend inaktiviert, dann entsteht ein brüchiger Panzer, der keinen ausreichenden Schutz für die Taufliegenlarve bietet.

„Krankheitserreger können dann leicht in die Tiere eindringen, weshalb sie meist schon als Larven absterben“, sagt Privatdozent Dr. Matthias Behr, der vom Life & Medical Sciences (LIMES) Institut der Bonner Alma mater an den Sächsischen Inkubator für die klinische Translation (SIKT) der Universität Leipzig wechselte. Das Projekt wurde mit Mitteln des an der Universität Bonn angesiedelten Sonderforschungsbereichs 645 finanziert.

Maßgeschneiderte Hemmstoffe als Ziel

Mit der aktuellen Entdeckung ergeben sich vollkommen neue Ansatzpunkte, um Schädlinge in der Landwirtschaft und gefährliche krankheitsübertragende Insekten in Schach zu halten. Das Enzym Chitinase 2 und der Wachstumsfaktor idgf6 werden im Prinzip von allen Insekten und auch anderen Gliederfüßern wie Krebsen oder Spinnen für die Bildung ihres Panzers benötigt.

„Allerdings gibt es kleine artbedingte Unterschiede, mit denen sich absehbar maßgeschneiderte Hemmstoffe für die richtige Ausbildung des Chitinpanzers bestimmter Arten entwickeln lassen“, sagt Erstautorin Yanina-Yasmin Pesch vom LIMES-Institut der Universität Bonn. Passgenau könnte mit noch speziell zu entwickelnden Substanzen die Chitinhülle einer Gliedertierspezies angegriffen werden, während andere Arten unbeschadet bleiben.

Dr. Behr nennt zwei Beispiele für mögliche Anwendungen: die kürzlich nach Deutschland eingewanderte Kirschessigfliege (Drosophila suzukii) und als neuen Krankheitserreger das Zika-Virus. Die Kirschessigfliege verursacht in der Landwirtschaft enorme Schäden, weil sie eine Vielzahl reifender Früchte befällt.

Das Zika-Virus wird durch Moskitostiche auf Menschen übertragen und hat sich in den letzten Monaten rasend schnell verbreitet. Das Virus steht unter anderem im Verdacht, für Fehlbildungen bei Ungeborenen verantwortlich zu sein. Die Forscher hoffen, dass sich mit ihrer Entdeckung künftig solche gefährlichen Insekten besser bekämpfen lassen.

Vermeintliches Abbauenzym hilft beim Aufbau des Panzers

Noch eine überraschende Erkenntnis förderten die Wissenschaftler der Universitäten Bonn und Leipzig sowie des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen zutage: „Bislang ging die Wissenschaft davon aus, dass es sich bei der Chitinase 2 um ein Abbauenzym handelt“, berichtet Pesch.

„Nun hat sich aber herausgestellt, dass das Enzym überaschenderweise für den Aufbau des Chitinpanzers unverzichtbar ist.“ Beim Zusammenbau der schützenden Umhüllung kürzt die Chitinase das Chitin auf die richtige Länge – die auf diese Weise exakt zugeschnittenen Baustoffe werden dann mit anderen Materialien in den Panzer eingebaut.

Wie das Forscherteam schon in einer vorherigen Studie gezeigt hat, übernimmt das Protein „Obstructor-A“ dabei eine Schlüsselfunktion: Wie ein Baustellenmanager sorgt es dafür, dass die verschiedenen Baustoffe an der richtigen Stelle in den Schutzpanzer eingefügt werden. „Schritt für Schritt fördert unsere Forschung molekulare Details über diese Achillesferse der Insekten zutage“, sagt Dr. Behr.

Publikation: Chitinases and Imaginal disc growth factors organize the extracellular matrix formation at barrier tissues in insects, Fachjournal “Scientific Reports”

Kontakt für die Medien:

Privatdozent Dr. Matthias Behr
Sächsischer Inkubator für die klinische Translation (SIKT)
Universität Leipzig
Tel. 0341/9739584
E-Mail: matthias.behr@uni-leipzig.de

M.Sc. Yanina-Yasmin Pesch
Life & Medical Sciences (LIMES) Institut
Universität Bonn
Tel. 0228/7362713
E-Mail: ypesch@uni-bonn.de

http://www.nature.com/articles/srep18340 Publikation im Internet

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