Wählerische Fruchtfliegen: Ihre Reaktionen auf Nahrungsangebote sind vielfältiger als bislang angenommen

Wissenschaftler haben durch Verhaltensstudien herausgefunden, dass ein einzelner Geruchs-Stimulus in der Regel nicht ausreicht, damit die Insekten sofort und gezielt Futterquellen oder Orte zur Eiablage anfliegen. Zudem erwies sich das Verhalten der untersuchten „Wildtyp“-Varietäten als unterschiedlich: Natürliche Fruchtaromen (Bananen, Mangos) wurden von den meisten Fliegen bevorzugt, künstliche Aromen bewirkten aber, je nach Varietät, ganz eigene Verhaltensmuster. (Current Biology, Vol. 18, 23. September 2008)

Die Untersuchungen bestätigen die Ergebnisse chemisch-ökologischer Forschung an anderen Organismen: Das Verhalten von Tieren wie auch die Reaktionen von Pflanzen auf ihre Umwelt werden in der Natur weniger über ein besonderes Einzelsignal, sondern vielmehr über die genaue Zusammensetzung und Mengen bestimmter Duftstoffgemische gesteuert.

In den Experimenten wurden verschiedene Varietäten wilder Fruchtfliegen verwendet, die bereits neurophysiologisch sehr gut charakterisiert sind: Canton-S, Oregon-R-C, Oregon R-S, Berlin-K und Wild-Type-Berlin. Elektro-antennographische Messungen, die vor den eigentlichen Verhaltensexperimenten durchgeführt worden waren, um die Funktionsfähigkeit der Fühler (Antennen) zu prüfen, ergaben, dass die Rezeptoren und Nerven aller Fliegenvarietäten gegenüber fünf verschiedenen chemischen Reizen gleichartig reagierten. Auch die Vitalität und Mobilität aller Tiere war gleich. Dennoch war das Verhalten, in Zeiträumen von 24 Stunden gemessen, je nach Fruchtfliegen-Varietät und Nahrungs-(Duft-)angebot unterschiedlich: Manche reagierten schnell, andere sehr langsam. Als besonders interessant erwiesen sich dieselben Verhaltensstudien an drei zusätzlichen Fliegenvarietäten, die erst kürzlich in die Stammsammlung der Wissenschaftler aufgenommen wurden (Dalby-HL, Helsingborg-E und Helsingborg-F): Sie entpuppten sich als besonders wählerisch und ließen sich weder schnell noch unmittelbar von fruchtig riechenden Duftstoffen oder einzelnen Duftsignalen betören. „Diese noch vor kurzem in der freien Natur lebenden Fliegen zeigen wahrscheinlich den ursprünglichen Phänotyp des Verhaltens von Drosophila melanogaster: Sie reagieren, wie andere Insektenarten auch, sehr wählerisch auf Wirtssignale und verlassen sich nicht auf einen einzelnen Duftstoff, der ihre Antennen reizt. Und außerdem wird das Verhalten von Insekten nicht nur positiv von attraktiven Duftstoffen, sondern auch negativ von abstoßenden Signalen in der Luft gesteuert, die zum Beispiel von Früchten kommen, die den Tieren nicht als Nahrung dienen“, so Bill Hansson, Direktor der Abteilung Evolutionäre Neuroethologie am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena.

Die bereits seit Jahren in Laboren nachgezüchteten „alten“ Varietäten, besonders Canton-S und die beiden Oregons, verhielten sich nicht mehr so wählerisch in den Experimenten wie die neu gesammelten schwedischen Helsingborg-Fruchtfliegen. Dies kann auf genetische Unterschiede zwischen den einzelnen Varietäten zurückgeführt werden, die sich geographisch bedingt, also für einen jeweiligen Sammelort, oder aber durch künstliche Selektion von Fliegen im Verlauf der Vermehrung in den Laboren der Genetiker und Neurobiologen manifestiert haben. Die Experimente haben weiterhin gezeigt, dass das unterschiedliche Verhalten der insgesamt acht verschiedenen Drosophila Varietäten nicht das Syndrom einzelner genetisch-olfaktorischer Defekte ist, z.B. hervorgerufen durch Fehlen oder Mutation eines bestimmten Duftstoff-Rezeptors. Bei den Varietäten handelt es sich vielmehr um eine Anpassung sich entwickelnder „Ökotypen“ der Art Drosophila melanogaster an verschiedene Standorte und Lebensbedingungen, und damit an verschiedene Duftmischungen.

Die Anlockung fliegender Insekten durch so genannte Duft- oder Pheromonfallen spielt in der modernen Landwirtschaft eine immer größere Rolle. Mithilfe solcher Fallen können besonders auf Weinbergen und in Obstgärten Schädlinge dezimiert werden. Duftfallen dienen weiterhin der Überwachung von Schädlingen. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie helfen, solche Fallen zu verbessern und neue zu entwickeln.

Originalartikel: Agnieszka Ruebenbauer, Fredrik Schlyter, Bill S. Hansson, Christer Löfstedt, Mattias C. Larsson: Genetic Variability and Robustness of Host Odor Preference in Drosophila melanogaster. Current Biology 18 (2008), 1438-1443.

Kontakt: Bill S. Hansson, Max Planck Institut für chemische Ökologie, Hans Knoell Str. 8, 07745 Jena
Tel.: 03641 57 1400
hansson@ice.mpg.de
Bilder: Angela Overmeyer M.A., Max Planck Institut für chemische Ökologie
Tel.: 03641 57-2110
overmeyer@ice.mpg.de

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Dr. Jan-Wolfhard Kellmann Max-Planck-Institut

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