Wer Vögel füttert, kann morgens länger schlafen

Wenn ab Weihnachten die Tage wieder länger werden, fangen die ersten Kohlmeisen an zu singen, und zwar nur die Männchen, wie bei den einheimischen Singvogelarten üblich. Der Frühling und die Brutzeit sind noch fern, aber die Tiere üben bereits ihren Gesang, mit dem sie ihr Revier gegen andere Männchen verteidigen. Zahlreiche Kohlmeisenreviere befinden sich in unseren Städten und Gärten, und in vielen dieser Reviere steht ein Futterhäuschen oder sind Meisenknödel aufgehängt.

Wie die Fütterung das Verhalten der Vögel beeinflusst, ist jedoch kaum bekannt – dabei ist das Füttern von Vögeln wohl jene Betätigung, die weltweit am meisten Menschen bewusst mit wildlebenden Tieren in Berührung bringt. Man weiss, dass Blaumeisen, die im Winter gefüttert werden, zur Brutzeit früher Eier legen und mehr Nachkommen haben als ihre nicht gefütterten Artgenossen. Immer häufiger jedoch bleibt die Vogelfütterung nicht nur auf den Winter beschränkt, sondern wird bis in den Frühling oder sogar ganzjährig praktiziert.

Werden Weibchen untreu?
Katja Saggese und PD Dr. Valentin Amrhein von der Universität Basel haben nun zusammen mit Kollegen der Universität Oslo und der Schweizerischen Vogelwarte Sempach untersucht, wie Kohlmeisen-Männchen reagieren, wenn bis Anfang April, kurz vor Beginn der Eiablage, in ihren Revieren Vogelfutter angeboten wird. Dafür hängten sie in 28 Kohlmeisen-Revieren Futtersilos auf. In der Hälfte dieser Reviere wurden die Silos zwei Wochen lang mit Futter gefüllt und zusätzlich Meisenknödel aufgehängt, die andere Hälfte der Reviere diente als Kontrolle ohne Meisenknödel und mit leeren Futtersilos. Jeweils vor Beginn der Fütterung, am Ende der zwei Wochen Fütterung und nochmals zwei Wochen danach wurde der Gesang der Männchen mit Richtmikrophonen aufgenommen, und zwar je eine Stunde vor und nach Sonnenaufgang.

Resultat der Studie: Männchen, die in ihrem Revier gefüttert wurden, fingen morgens durchschnittlich 20 Minuten später an zu singen als ihre nicht gefütterten Kollegen. Dieser Effekt war auch noch zwei Wochen nach Ende der Fütterung feststellbar. Der Grund für diesen verzögerten Gesangsbeginn ist noch unklar; möglicherweise lenken andere Vögel und männliche Rivalen, die durch die Fütterung in das Revier gelockt werden, das revierbesitzende Männchen vom Singen ab.

Das mag angenehm sein für die fütternden Garten- und Balkonbesitzer, denn sie werden erst 20 Minuten später von singenden Kohlmeisen geweckt. Frühere Studien haben aber gezeigt, dass der Gesang der Vögel vor Sonnenaufgang eine besondere biologische Rolle spielt. Bei einigen Vogelarten wie etwa der Nachtigall ist der Morgengesang besonders wichtig zur Revierverteidigung. Bei der Kohlmeise wird vermutet, dass der frühmorgendliche Gesang auch dazu dient, das eigene Weibchen vom Fremdgehen abzuhalten. Möglicherweise sind also gefütterte Männchen, eben weil sie morgens später anfangen zu singen, weniger erfolgreich bei der Verteidigung des eigenen Weibchens, haben mehr «Kuckucksjunge» im Nest und damit einen geringeren Fortpflanzungserfolg.

Winterfütterung sinnvoll
Soll man nun im Winter überhaupt Vögel füttern, und wenn ja, wie lange? Laut PD Dr. Valentin Amrhein, der die Studie geleitet hat, ist die Winterfütterung pädagogisch sehr wertvoll: «Es gibt wahrscheinlich viele Menschen, die – genauso wie ich – bereits als Kinder die Wintergäste auf dem Balkon beobachtet haben und so zur Vogelkunde und zum Naturschutz gekommen sind. Man muss sich aber bewusst sein, dass man durch Füttern auch das Verhalten der Tiere beeinflusst. Aufgrund unserer Ergebnisse rate ich, spätestens Ende März mit dem Füttern aufzuhören, damit die Tiere im April ungestört dem Brutgeschäft nachgehen können.»

Die Schweizerische Vogelwarte Sempach und der Schweizer Vogelschutz (SVS) empfehlen massvolles Füttern vor allem bei Dauerfrost und geschlossener Schneedecke. Von der Winterfütterung profitieren meist nur die häufigsten Brut- und Gastvögel wie eben Kohlmeise und Blaumeise. Um seltenere und gefährdete Arten zu fördern, sollte man vor allem um die Erhaltung von vielfältigen und gesunden Lebensräumen besorgt sein.

Weitere Auskünfte
PD Dr. Valentin Amrhein, Universität Basel, Zoologisches Institut, E-Mail: v.amrhein@unibas.ch

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Christoph Dieffenbacher idw

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