Vielfalt der Mikroorganismen: Medizin aus dem Meer

Gut 2000 Röhrchen, jedes kaum größer als ein Finger, gefüllt mit prallem maritimen Leben. Gesammelt weltweit zur Sommersonnenwende am 21. Juni 2014 und 2015, nach einheitlichen Standards in den Küstengewässern dieser Welt, vom Nordpolarmeer bis hin zu tropischen Regionen. Geschickt per Post nach Bremen. Was genau ist da drin? Wie wird es von der Umwelt beeinflusst? Und: Wie lässt es sich nutzen?

Der „Ocean Sampling Day“ war zentraler Bestandteil des von der EU geförderten Projekts „Micro B3“ (Mikrobielle Diversität, Bioinformatik und Biotechnologie). 2014 strömten erstmals weltweit Wissenschafter aus, um Wasserproben zu nehmen. In diesem Jahr stießen „Bürgerwissenschaftler“ hinzu, um sich an der Probennahme zu beteiligen. So entstand ein einmaliger, globaler Schnappschuss der mikrobiologischen Diversität.

„Erstmals erfassen wir in diesem Projekt mit molekularen Techniken die genetische Vielfalt der marinen Mikroorganismen weltweit und untersuchen, wie sich die biologische Diversität verändert“, sagt Projekt-Koordinator Prof. Frank Oliver Glöckner von der Jacobs University und dem Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen.

Insbesondere der Einfluss des Menschen auf die Kleinstlebewesen, die Entwicklung von Resistenzen gegenüber Antibiotika, die etwa über die Landwirtschaft ins Meer gelangen, interessiert die Wissenschaftler. Aber auch ihre kommerzielle Verwertbarkeit ist für die 32 Partner aus 14 europäischen Ländern von Belang.

Mikroorganismen sind ein zentraler Bestandteil der marinen Nahrungskette. Sie bauen totes biologisches Material ab und führen es dem Nährstoffkreislauf wieder zu. Sie produzieren Biomasse, Sauerstoff und vertilgen Kohlendioxid. Ist das Meer aus dem Tritt, dann auch deshalb, weil die kleinsten Meeresbewohner beeinträchtigt sind.

Die Kleinstlebewesen sind aber auch Träger von genetischen Informationen, die für industrielle Zwecke genutzt werden können. „Das Meer ist das größte Ökosystem der Erde“, sagt Prof. Glöckner. „Von der Wasseroberfläche bis hin zur Tiefesee umfasst es eine riesige Bandbreite von teils extremen Lebensformen, die sich an die unterschiedlichsten Habitate angepasst haben. Von dem dort vorhandenen genetischen Material kennen wir nur einen Bruchteil.“

Schon heute stammen viele Enzyme aus dem Meer und extremen Habitaten. So zum Beispiel die lukrative „Taq-Polymerase“, die im Labor zur Vervielfältigung von DNA eingesetzt wird und aus einem Bakterium gewonnen wurde, das in den heißen Quellen des Yellowstone Parks lebt. Oder das Medikament „Zovirax“, eine Lippenherpescreme. Insbesondere die Waschmittelindustrie ist an Enzymen interessiert, die Verunreinigungen, wie zum Beispiel Eiweiß, bei niedrigen Waschtemperaturen abbauen können. Mehr als 18.000 Naturstoffe und 4900 Patente sind nach Angaben von Prof. Glöckner bereits aus marinen Organismen entstanden.

Mindestens zwei weitere Patente kommen durch Micro B3 hinzu. Zum einen geht es um ein Enzym, das den Phosphatausstoß in der Tierhaltung reduzieren soll. Und zum zweiten um ein neues Antibiotikum, das zunächst in der Fischzucht eingesetzt werden soll, womöglich aber auch für medizinische Anwendungen geeignet ist.

Noch ist die Auswertung der Proben in vollem Gange. Als erste „Hotspots“ für den sichtbaren Einfluss des Menschen, angezeigt durch ein erhöhtes Vorkommen von Antibiotikaresistenzen, haben sich die Azoren, der Golf von Mexiko bei New Orleans sowie die Küste vor Montevideo erwiesen. „Warum das so ist, wissen wir noch nicht. Wir sind erst am Anfang, die Rolle der Mikroorganismen zu verstehen“, sagt Prof. Glöckner. Ende des Jahres läuft Micro B3 aus. Der Bioinformatiker und Molekularbiologe versucht mit seinen Kollegen derzeit, Gelder einzusammeln. „Das Interesse der Forscher und Bürger an einer Fortsetzung des Ocean Sampling Days“, sagt Glöckner, „ist ungebrochen.“

Weitere Informationen unter:
http://www.microb3.eu

Fragen beantwortet:
Prof. Dr. Frank Oliver Glöckner | Professor für Bioinformatik und Micro B3 Koordinator
f.gloeckner@jacobs-university.de | Tel.: +49 421 200- 3167

Über die Jacobs University:
Die Jacobs University ist eine private, unabhängige, englischsprachige Universität in Bremen. Hier studieren junge Menschen aus der ganzen Welt in Bachelor-, Master- und PhD-Programmen. Internationalität und Transdisziplinarität sind die besonderen Kennzeichen der Jacobs University: Forschung und Lehre folgen nicht einem einzigen Lösungsweg, sie gehen Fragestellungen aus der Perspektive verschiedener Disziplinen an. Dieses Prinzip macht Jacobs Absolventen zu begehrten Nachwuchskräften, die erfolgreich internationale Karrierewege einschlagen.

Kontakt:
Kristina Logemann | Brand Management, Marketing & Communications
k.logemann@jacobs-university.de | Tel.: +49 421 200- 4454

Media Contact

Kristina Logemann idw - Informationsdienst Wissenschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Astronomen entdecken starke Magnetfelder

… am Rand des zentralen schwarzen Lochs der Milchstraße. Ein neues Bild des Event Horizon Telescope (EHT) hat starke und geordnete Magnetfelder aufgespürt, die vom Rand des supermassereichen schwarzen Lochs…

Faktor für die Gehirnexpansion beim Menschen

Was unterscheidet uns Menschen von anderen Lebewesen? Der Schlüssel liegt im Neokortex, der äußeren Schicht des Gehirns. Diese Gehirnregion ermöglicht uns abstraktes Denken, Kunst und komplexe Sprache. Ein internationales Forschungsteam…

Batteriematerial für die Natrium-Ionen-Revolution

Leistungsstark, sicher und umweltfreundlich – Natrium-Ionen-Batterien haben viele Vorteile gegenüber herkömmlichen Batterien. Da sie keine kritischen Rohstoffe wie Lithium oder Kobalt enthalten, könnten sie zudem Anwendungen wie stationäre Energiespeicher und…

Partner & Förderer