Tragekomfort ist messbar Körper, Klima und Kleidung

Dazu gehört, dass die Textilien bei Kälte eine ausreichende Wärmeisolation bieten. Bei Wärme oder körperlicher Belastung soll der Schweiß schnell vom Körper weggeführt und an die Umgebung abgegeben werden, um die Kühlung des Körpers zu unterstützen.

An den Hohenstein Instituten im schwäbischen Bönnigheim hat man seit 1946 eine Reihe von Messmethoden entwickelt, mit denen sich die Wechselwirkung zwischen Körper, Klima und Kleidung, der sogenannte physiologische Komfort, objektiv beurteilen lässt. Dabei wird grundsätzlich zwischen thermophysiologischen Aspekten, d. h. dem Wärme- und Feuchtemanagement, und dem Empfinden auf der Haut (Hautsensorik) unterschieden.

Messmethoden Thermophysiologie

Hohensteiner Hautmodell
Das Hohensteiner Hautmodell simuliert die Wärme- und Feuchteabgabe der Haut. Es besteht aus einer elektrisch auf Hauttemperatur beheizbaren, porösen Sintermetallplatte, der Wasser zugeführt wird. Diese befindet sich in einem Klimaschrank, so dass die verschiedensten Umgebungsbedingungen simuliert werden können. Dazu lassen sich Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftbewegung nach Wunsch einstellen.

Die Messungen mit dem Hautmodell liefern für Stoffe und Gewebe spezifische Kenngrößen wie z. B. Wärmeisolation, Wasserdampfdurchgangswiderstand als Maß für die „Atmungsaktivität“, Schweißtransport und Schweißpufferung, Trocknungszeit usw. Diese Kenngrößen charakterisieren die thermophysiologische Qualität der textilen Materialien.

Thermische Gliederpuppen Charlie, Charlie und Charlene;
Mit Hilfe der ebenfalls an den Hohenstein Instituten entwickelten thermischen Gliederpuppen Charlie, Charlie und Charlene lässt sich die Wärmeisolation konfektionierter Kleidungsstücke, Bettwaren und Schlafsäcke ermitteln. Mit den sogenannten Thermoregulationsmodellen des Menschen wird die Wärmeproduktion von Erwachsenen und Kindern nachgestellt. Die Gliederpuppen bestehen aus Kupfer bzw. Kunststoff und sind mit einem computergesteuerten Heizsystem versehen, mit dem sich die Wärmeproduktion für verschiedene Körpersektionen getrennt voneinander regeln lässt. Je mehr Wärme z. B. an Armen oder Beinen abgegeben wird, desto schlechter ist dort die Wärmeisolation des Kleidungsstückes. Da diese ganz gravierend von den Ventilationseffekten beeinflusst werden, die durch Bewegungen zustande kommen, bewegt sich die Gliederpuppe Charlie bei der Untersuchung von Kleidung an einem Gestänge so, als würde sie flott marschieren.

Die Untersuchungen an den thermischen Gliederpuppen sind eine wichtige Ergänzung zu denen am Hautmodell, da sich Einflüsse durch die Konfektion der Kleidungsstücke (Passform, elastische Bündchen, Rollkragen usw.) berücksichtigen lassen. Da die Charlie und Charlene nicht schwitzen, lässt sich das Feuchtemanagement und damit ein wichtiger Aspekt des thermophysiologischen Tragekomforts nur beurteilen, wenn als Basis Untersuchungen am Hautmodell vorliegen.

Thermoregulationsmodell schwitzende Hand und schwitzender Fuß

In der schwitzenden Hand und dem schwitzenden Fuß sind die Funktionsprinzipien des Hautmodells und der thermischen Gliederpuppen miteinander kombiniert worden, d. h. die Wärme- und Feuchtigkeitsabgabe bei kontrollierten klimatischen Umgebungsbedingungen. Mit den im Jahr 2008 an den Hohenstein Instituten in Betrieb genommenen Messinstrumenten lassen sich damit sowohl die Wärmeisolation wie auch die Atmungsaktivität von Handschuhen sowie Socken und Schuhen beurteilen.

Polsterprüfgerät
Sowohl bei ausgekühlten wie auch aufgeheizten Kfz-Sitzen dauert es einige Zeit, bis sich ein angenehmer Sitzkomfort eingestellt hat. Mit Hilfe des Polsterprüfgerätes wird der Temperatureindruck (Initialwärmefluss), den ein Mensch beim ersten Kontakt empfindet, ermittelt. Darüber hinaus wird die effektive Wärmeisolation von Sitzen während längerer Autofahrten bei den unterschiedlichsten Umgebungstemperaturen erfasst.
Menschliche Probanden
Mit Hilfe des Hohensteiner Hautmodells und den thermischen Gliederpuppen Charlie und Charlene lässt sich der thermophysiologische Komfort objektiv messen und beurteilen. Um diese, heute weltweit im Bereich der Bekleidungsphysiologie etablierten, Untersuchungsmethoden und die damit verbundenen Beurteilungsmodelle entwickeln zu können, waren zahlreiche Messreihen mit menschlichen Probanden notwendig. Diese kommen bei den Hohenstein Instituten auch heute noch zum Einsatz wenn es gilt, ein vollständig neues Produkt zu entwickeln oder die Ergebnisse der Untersuchungen mit Hautmodell und thermischer Gliederpuppe zu bestätigen.
Klimakammern
In den drei Klimakammern der Hohenstein Institute lassen sich die verschiedensten Umgebungsbedingungen nachstellen: Die Temperaturspanne reicht von -25 °C bis +50 °C und ermöglicht z. B. die Untersuchung von Schlafsäcken unter extremen Bedingungen. Mit Hilfe einer Beregnungsanlage lässt sich Niederschlag in unterschiedlichster Intensität nachstellen und eine Wärmewand simuliert intensive Sonneneinstrahlung ebenso realistisch wie offenes Feuer, wenn es z. B. darum geht den Tragekomfort von Feuerwehrkleidung zu untersuchen.

Ventilatoren, ein Fahrsimulator für die Untersuchung von Autositzen mit Probanden und Wasserbassins, in denen `Charlie 3´ z. B. die Überlebenszeit für Piloten unter Extrembedingungen im Eiswasser testet, ergänzen die Standardausstattung der Hohensteiner Klimakammern.

Messmethoden Hautsensorik
Die hautsensorischen Eigenschaften gehören neben dem Wärme- und Feuchtemanagement von Textilien zu den maßgeblichen Aspekten für deren Tragekomfort. Hautnahe Kleidung soll nicht auf der Hautoberfläche „ankleben“ und auch größere Schweißmengen an hautferne Kleidungsschichten transportieren. Um die Anforderungen an den hautsensorischen Komfort zu erfüllen, ist vor allem die Konstruktion des textilen Grundmaterials relevant, aus dem ein Kleidungsstück besteht.

Um die Oberflächenstruktur von textilen Materialien und damit deren hautsensorischen Komfort zu beurteilen, wurden in der Abteilung Bekleidungsphysiologie an den Hohenstein Instituten verschiedene Laboruntersuchungen entwickelt:

Klebekraft
Eine poröse gesinterte Glasplatte, der Wasser mittels einer kalibrierten Motorbürette zugeführt wird, simuliert die schwitzende Haut. Die Textilprobe, befestigt an einem Zylinder, wird über die Platte gezogen. Die dazu notwendige Kraft ergibt den sogenannten Klebeindex, anhand dessen sich beurteilen lässt, ob das Textil beim Schwitzen unangenehm an der Haut kleben wird.
Anzahl der Kontaktpunkte und Oberflächenindex
An einen Oberflächenscanner bzw. ein Mikroskop angekoppelte Bildanalyse-Systeme zeigen für Textilien die Anzahl der Kontaktpunkte sowie einen Oberflächenindex als Maßstab für die Kontaktfläche des textilen Materials mit der Haut bzw. die Haarigkeit der Oberfläche. Im Rahmen jahrzehntelanger Forschung haben die Hohensteiner Wissenschaftler Richtwerte für die optimale Zahl von Kontaktpunkten und den Oberflächenindex definiert.
Biegesteifigkeit
Zur Ermittlung der Steifigkeit eines textilen Materials wird in einer Messeinrichtung per Laserstrahl der Biegewinkel des auf einem dünnen Stab aufgelegten Stoffstreifens gemessen. Die Hohensteiner Wissenschaftler haben auf Basis ihrer jahrelangen Erfahrung für verschiedene Produkt- und Einsatzbereiche Vorgaben definiert, die einen optimalen Tragekomfort gewährleisten und mechanische Hautirritationen aufgrund zu hoher Biegesteifigkeit ausschließen.
Sorptionsindex
Weil die Sensibilität der Haut für mechanische Irritationen mit zunehmender Feuchtigkeit größer wird, ist es für den sensorischen Tragekomfort von Vorteil, wenn ein textiles Material den Schweiß möglichst rasch von der Haut abtransportiert. Der Sorptionsindex gibt die Geschwindigkeit an, mit der ein auf das Textil auftreffender Wassertropfen von diesem absorbiert wird. Dazu wird ein Wassertropfen auf die Textilprobe aufgebracht und über eine Videokamera beobachtet. Der Kontaktwinkel des Wassertropfens auf der Textiloberfläche wird kontinuierlich ermittelt und damit festgehalten wie schnell das Material flüssigen Schweiß aufnimmt.
Eine Note für den Tragekomfort
Die Ergebnisse der Untersuchungen am Hautmodell und den Thermoregulationsmodellen fließen zusammen mit der Beurteilung der Hautsensorik in die so genannte Trage- bzw. Schlafkomfortnote ein. Dies ist möglich, da Forschungsarbeiten gezeigt haben, dass z. B. bei Alltagskleidung die Tragekomfortempfindung zu ca. 66% durch die thermophysiologischen und zu ca. 34% durch die hautsensorischen Eigenschaften der Textilien verursacht wird.

Die Beurteilung des Tragekomforts erfolgt im „Schulnotensystem“ von 1 für „sehr gut“ bis 6 für „ungenügend“. Die Komfortnoten werden heute von zahlreichen Herstellern im Handel in Form des Hohensteiner Qualitätslabels am Produkt aufgeführt und ermöglichen dem Verbraucher den einfachen Vergleich zwischen unterschiedlichen Produkten.

Media Contact

Rose-Marie Riedl idw

Weitere Informationen:

http://www.hohenstein.de

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