Wie Stammzellen sich teilen – ein Puzzle ist gelöst

Den genauen Mechanismus haben Forscher am Wiener IMBA (Institut für Molekulare Biotechnologie) nun bei Fliegen aufgeklärt – das Wissenschaftsjournal Cell berichtet in seiner kommenden Ausgabe. Die Erkenntnisse sind auch für das Verständnis der Krebsentstehung relevant.

Bei der asymmetrischen Zellteilung entstehen aus einer Stammzelle zwei unterschiedliche Nachkommen: je eine weitere Stammzelle und eine spezialisierte Zelle, die definierte Aufgaben zu erfüllen hat. Derartige Teilungen finden laufend während der Embryonalentwicklung statt, aber auch beim Ersatz abgestorbener Zellen im erwachsenen Körper. Die Regulation dieses Vorgangs muss äußerst präzise sein. Würde eine Stammzelle immer nur mehr von Ihresgleichen hervorbringen, so führte diese exponentielle Vermehrung rasch ins Chaos, oder mit anderen Worten: zur Entstehung eines Tumors.

Der asymmetrischen Teilung geht meist eine Verschiebung von Proteinen (Eiweißstoffen) innerhalb der Zelle voraus mit dem Ergebnis, dass eine der Tochterzellen diese Proteine zur Gänze „erbt“, die andere hingegen leer ausgeht. Entdeckt wurde das Prinzip vor fünfzehn Jahren am Howard Hughes Medical Institute (San Francisco). Ein Team um Lily und Yuh Nung Jan untersuchte Stammzellen der Taufliege Drosophila und fand das Schlüsselprotein „Numb“, das nach der Teilung immer nur in einer Tochterzelle auftauchte. Der Mechanismus der einseitigen Verteilung blieb rätselhaft. Man dachte etwa an kleine Myosin-„Motoren“, die Proteine auf eine Seite der Zelle pumpen, oder winzige Bläschen, in denen sie transportiert werden.

Einer aus dem Team, den die Frage nicht mehr losließ, war der deutsche Biologe Jürgen Knoblich. Mittlerweile von Kalifornien nach Wien übersiedelt, beschäftigte er sich auch als Senior-Gruppenleiter am IMBA weiterhin intensiv mit dem Problem.

Erst in diesem Jahr gelang dem Team um Knoblich die lückenlose Auflösung des komplexen Puzzles. Am 3. Oktober stellen die Autoren ihre Ergebnisse in der Wissenschaftszeitschrift Cell vor. Sie beschreiben eine Kette von Reaktionen, die man sich wie molekulare Schalter vorstellen kann, welche hintereinander umgelegt werden. Die Schalter sind Proteine, „ein“ und „aus“ entspricht dem Zustand jeweils mit oder ohne angehängte Phosphatgruppe. Betätigt wird der Schalter durch das Molekül, das den Phosphatrest überträgt – eine Kinase.

Am Beginn der asymmetrischen Zellteilung steht die Aktivierung der Kinase Aurora A. Von diesem Molekül weiß man, dass es in bestimmten Tumorzellen übermäßig aktiv ist. Auch andere Moleküle, die an der asymmetrischen Zellteilung mitwirken, spielen bei der Tumorentstehung eine Rolle. Mutationen im Numb-Gen führen beispielsweise bei Fliegen zu Gehirntumoren. Da die (Stamm)zellteilung beim allen Organismen ähnlich reguliert wird, sind Parallelen zur Tumorenstehung beim Menschen sehr wahrscheinlich.

Für Jürgen Knoblich ist die Arbeit ein Meilenstein. Etwa ein Dutzend Labors waren weltweit auf der Suche nach den Puzzlesteinchen, die nun zusammengefügt wurden. „Es ist kein Zufall, dass es gerade hier am IMBA gelungen ist, die Mechanismen der asymmetrischen Zellteilung aufzuklären“, meint er. „Wir sind mit einer Kombination von Methoden an das Problem herangegangen, die in dieser Form nur hier möglich ist, auch dank der phantastischen Ausstattung des Instituts.“

Der multidisziplinäre Ansatz bestand darin, die Technik des „live-imaging“ mit Methoden der Genetik und der Biochemie zu kombinieren. Live-imaging erlaubt es, Zellen in Echtzeit bei der Teilung zuzusehen. Ein konfokales Laser Scanning Mikroskop erzeugt dabei virtuelle Schnitte durch das lebende Objekt.

Frederik Wirtz-Peitz, Doktorand im Team von Jürgen Knoblich, perfektionierte die Methode in vierjähriger Arbeit für seine Objekte, die Puppen der Taufliege. Für die biochemische Analyse der identifizierten Moleküle war nicht weniger Geduld nötig. Hunderte Fliegenlarven musste Co-Autor Takashi Nishimura sezieren, um Proteine aus Nervenzellen zu isolieren.

Dass sich die Arbeit gelohnt hat, davon sind die Forscher überzeugt. „Wir gehen davon aus, dass unsere Erkenntnisse zu einem großen Teil auf den Menschen übertragbar sind. Das Wissen um die Regulation der Zellteilung eröffnet auch der Medizin neue Perspektiven“, meint Jürgen Knoblich.

Frederik Wirtz-Peitz wird durch den Boehringer Ingelheim Fonds unterstützt, Takashi Nishimura durch das Human Frontier Science Program. Jürgen Knoblichs Gruppe erhält Förderungen von der ÖAW, dem FWF, WWTF, EU EUROSYSTEMS, und ONCASYM.

Publikation: Frederik Wirtz-Peitz, Takashi Nishimura, and Juergen A. Knoblich: Linking Cell Cycle to Asymmetric Division: Aurora A Phosphorylates the Par Complex to Regulate Numb Localization. Cell, 3.10.2008

Jürgen Knoblich
Jürgen Knoblich wurde 1963 in Memmingen, Deutschland, geboren. Er studierte Biochemie in Tübingen und London und wandte sich bald Fragen der Entwicklungsbiologie zu. Nach seiner Promotion 1994 ging Knoblich nach San Francisco, um im Labor von Yuh Nung Yan Erfahrungen als Postdoc zu sammeln. 1997 kam er schließlich nach Wien, wo er am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) eine eigene Gruppe aufbaute. Seit 2004 ist Jürgen Knoblich Senior Scientist und stellvertretender Direktor am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Seine wissenschaftlichen Arbeiten wurden wiederholt durch europäische Forschungsorganisationen wie EMBO, FEBS und ELSO ausgezeichnet.
IMBA
Das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften kombiniert Grundlagen- und angewandte Forschung auf dem Gebiet der Biomedizin. Interdisziplinär zusammengesetzte Forschergruppen bearbeiten funktionsgenetische Fragen, besonders in Zusammenhang mit der Krankheitsentstehung. Ziel ist es, das erworbene Wissen in die Entwicklung innovativer Ansätze zur Prävention, Diagnose und Therapie von Krankheiten einzubringen.
IMP- IMBA Research Center
Zwischen dem Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP), das 1988 von Boehringer Ingelheim gegründet wurde, und dem seit 2003 operativen Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) wurde eine enge Forschungskooperation vereinbart. Unter dem Namen „IMP-IMBA Research Center“ greifen die beiden Institute auf eine gemeinsame Infrastruktur im wissenschaftlichen und administrativen Bereich zu. Die beiden Institute beschäftigen insgesamt etwa 400 Mitarbeiter aus 30 Nationen und sind Mitglied des Campus Vienna Biocenter.
Kontakt:
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Tel. +43 1 79730-3625
Mobil: +43 (0)664 8247910
heidemarie.hurtl@imba.oeaw.ac.at
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