Stammzellen aus der Nase für neue medizinische Therapien

Stammzellen aus der Nasenmuschel: Die 630-fache Vergrößerung zeigt die Zellkerne (grün) und das Protein Nestin (rot), das typisch ist für Stammzellen. Foto: Universität Bielefeld<br>

Einem Forschungsteam unter Leitung der Zellbiologin Professorin Dr. Barbara Kaltschmidt von der Universität Bielefeld ist es gelungen, Stammzellen aus der menschlichen Nase zu kultivieren und in Nerven-, Knochen-, Fett- und Knorpelzellen umzuwandeln. Laut den Forschern ist ein Vorteil der Methode, dass in kurzer Zeit große Mengen von Zellen hergestellt werden können. Die Methode kann neue Behandlungen von akuten und chronischen Verletzungen im Gesicht ermöglichen. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler jetzt in den Fachzeitschriften „Stem Cells and Development“ und „European Cells & Materials“ veröffentlicht.

Stammzellen gelten als Alleskönner unter den Zellen. Während die meisten Zellen des Körpers eine spezielle Aufgabe haben – etwa Hautzellen, die den Körper vor schädlichen Einflüssen von außen schützen – sind Stammzellen nicht spezialisiert: Sie sind Ursprungszellen, aus denen Haut, Nerven oder auch Knochen entstehen können. Außerdem dienen sie dazu, im Fall von Verletzungen und Erkrankungen beschädigte Zellen zu reparieren. Die Stammzellen, die die Forscher für ihre neue Methode nutzen, werden als adulte Stammzellen bezeichnet – das sind die Zellen, die sich nach der Geburt im menschlichen Organismus befinden. Im Gegensatz zu embryonalen Stammzellen, die aus menschlichen Föten gewonnen werden müssen, gelten adulte Stammzellen bei Forschern als ethisch unbedenklich.

Das Forschungsteam unter Leitung von Professorin Barbara Kaltschmidt arbeitet mit Stammzellen aus der unteren Nasenmuschel. Damit sind diese Stammzellen sehr leicht zugänglich. Eine weitere Besonderheit: Sie können bis ins hohe Alter von Patienten isoliert und dazu angeregt werden, zu spezialisierten Zellen zu werden.

Mit der neuen Methode eröffnen sich den Wissenschaftlern zufolge neue Chancen für Behandlungen von Verletzungen und Krankheiten. So könnten die Stammzellen in der Chirurgie genutzt werden, um nach Verbrennungen oder Schnittverletzungen ein Gesicht mit neu kultivierten Haut-, Knochen- und Nervenzellen wieder herzustellen. Auch könnten die Stammzel-len zukünftig eingesetzt werden, um Nervenkrankheiten wie Parkinson und Alzheimer zu behandeln. Die Wissenschaftler verwenden für die Vermehrung der Stammzellen Blutplasma von Menschen und verzichten auf tierische Zusatzstoffe. Bei der Behandlung eines Patienten, wenn etwa neue Haut auf ein Gesicht aufgebracht werden soll, können so patienteneigene Stammzellen in eigenem Blutplasma kultiviert werden. Das hat den Vorteil, dass der Körper das neue Gewebe nicht abstößt. Hinzu kommt, dass durch die Verwendung des Blutplasmas eine dreidimensionale Matrix entsteht, welche die ursprüngliche Nische der Stammzellen nachahmt.

An der Entdeckung der Stammzellen waren neben den Forschern vom Lehrstuhl für Zellbiologie der Universität Bielefeld auch Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für molekulare Medizin in Münster sowie die Hals-Nasen-Ohren-Klinik des Klinikums Bielefeld und das Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen in Bad Oeynhausen beteiligt. Zusätzlich trugen Wissenschaftler der Fakultät für Physik der Universität Bielefeld zu den Forschungsergebnissen bei.

In weiteren Studien wollen die Forscher untersuchen, wie sich die adulten Stammzellen aus der Nase so „umprogrammieren“ lassen, dass sie noch plastischer werden. So sollen die Anwendungsmöglichkeiten für medizinische Zwecke vergrößert werden.

Die Stammzellforschung an der Fakultät für Biologie gehören zum Forschungsschwerpunkt „Molekular- und Nano-Wissenschaften“ (Molecular and Nano Sciences) der Universität Bielefeld. In diesem breiten Feld hat sich die Universität mit einem fokussierten Profil an den Schnittstellen zwischen Physik, Chemie, Biologie und Bioinformatik national und international deutlich sichtbar positioniert. Die aktuellen Forschungen reichen von Nanoschichten und Einzelmolekülprozessen bis hin zu bakteriellen, pflanzlichen und tierischen Zellen. Sie werden durch interdisziplinäre Kooperationen getragen und sind teilweise am Center for Biotechnology (CeBiTec) angesiedelt.

Originalveröffentlichungen:
Isolation of Novel Multipotent Neural Crest-Derived Stem Cells from Adult Human Inferior Turbinate, Stefan Hauser, Darius Widera, Firas Qunneis, Janine Müller, Christin Zander, Johannes FW Greiner, Christina Strauss, Patrick Lüningschrör, Peter Heimann, Hartmut Schwarze, Jörg Ebmeyer, Holger Sudhoff, Marcos J. Araúzo-Bravo, Boris Greber, Holm Zaehres, Hans Schöler, Christian Kaltschmidt, Barbara Kaltschmidt, 30. November 2011, www.liebertonline.com/doi/abs/10.1089/scd.2011.0419

Efficient animal-serum free 3D cultivation method for adult human neural crest-derived stem cell therapeutics, Johannes FW Greiner, Stefan Hauser, Darius Widera, Janine Müller, Firas Qunneis, Christin Zander, Ina Martin, Jana Mallah, Daniel Schützmann, Christian Prante, Hartmut Schwarze, Wolfgang Prohaska, André Beyer, Karsten Rott, Andreas Hütten, Armin Gölzhäuser, Holger Sudhoff, Christian Kaltschmidt, Barbara Kaltschmidt, 17. Dezember 2011, www.ecmjournal.org/journal/papers/vol022/vol022a30.php

Kontakt:
Professor Dr. Barbara Kaltschmidt, Universität Bielefeld
Fakultät für Biologie
Tel: 0521 106-5624 oder 0521 106-5797
E-Mail: barbara.kaltschmidt@uni-bielefeld.de
Stefan Hauser, Universität Bielefeld
Fakultät für Biologie
Tel: 0521 106-5629
E-Mail: stefan.hauser@uni-bielefeld.de

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Ingo Lohuis idw

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