Spuren im Erbgut verraten Krebsursache

Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum waren an einem weltweiten Forschungsprojekt beteiligt, das in Tausenden von Krebsgenomen unterschiedliche Schadensmuster erfasste und auf spezifische Ursachen zurückführte.

Dabei entdeckten die Forscher unter anderem ein Enzym zur Virenabwehr als bisher unbekannte mögliche Ursache krebserregender Mutationen. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift „Nature“ veröffentlicht.

Jeder Krebs geht auf Erbgutveränderungen zurück. Meist sind sie im Laufe des Lebens in einzelnen Körperzellen entstanden, seltener von den Eltern ererbt. Zu den Erbgutveränderungen kommt es durch verschiedene Mechanismen, etwa durch Kopierfehler bei der DNA-Verdoppelung oder durch defekte DNA-Reparaturenzyme. Mutagene Substanzen oder UV-Strahlen können die DNA schädigen oder zelleigene Enzyme das Erbgut verändern.

„Über die Entstehung mancher Erbgutschäden weiß man gut Bescheid“, sagt Prof. Dr. Stefan Pfister, Genomforscher im Deutschen Krebsforschungszentrum. So kennen wir etwa die spezifischen Defekte, die Substanzen im Tabakrauch oder die UV-Strahlen des Sonnenlichts auslösen. Bei den meisten Krebsarten ist jedoch nicht bekannt, wie es zu den krebserregenden Mutationen kommt. Um effektive Prävention zu betreiben oder auch gezieltere Behandlungen zu entwickeln, ist diese Kenntnis dringend notwendig“, erklärt Pfister, der auch als Kinderarzt im Universitätsklinikum Heidelberg arbeitet.

Unter der Federführung von Michael Stratton vom Sanger Institute des Wellcome Trust analysierte nun ein internationales Team von Genomforschern insgesamt fast 5 Millionen Mutationen in insgesamt rund 7000 Tumor-Genomen bei 30 verschiedenen Krebsarten. Im Deutschen Krebsforschungszentrum waren Wissenschaftler aus den Abteilungen von Stefan Pfister und Peter Lichter beteiligt.

Das spezifische Muster von Mutationen, als „Signatur“ bezeichnet, entspricht der Spur, die unterschiedliche Arten der DNA-Schädigung oder der fehlerhaften DNA-Reparatur im Erbgut hinterlassen. Das Ziel des Forschungsprojekts war, die spezifischen Schädigungsmuster auf ihre Ursachen zurückzuführen.

Eine häufige Signatur, die bei fast allen Krebsarten auftritt, spiegelt das Alter bei der Diagnose wider. Die in dieser Signatur zusammengefassten Mutationen bilden sich offenbar während der gesamten Lebenszeit mit konstanter Rate. Bei allen anderen der insgesamt 21 Signaturen fehlt die Korrelation mit dem Alter. Sie entstehen offenbar mit individuell unterschiedlicher Rate. Das deuten die Forscher als Reaktion auf krebserregende Substanzen oder aber als Folge der Entgleisung zellulärer Regelmechanismen nach dem Start einer bösartigen Entartung.

Die Wissenschaftler fanden bei Tabakrauch-bedingten Krebsarten die typischen DNA-Defekte, die auftreten, wenn die Zelle Schäden repariert, die aus der Anlagerung polyzyklischer Kohlenwasserstoffe aus dem Tabakrauch resultieren. Eine andere Signatur, die der Reparatur von UV-bedingten Doppelstrangbrüchen zugeordnet werden kann, tritt vorwiegend bei verschiedenen Arten von Hautkrebs auf. Auch bestimmte Krebsmedikamente verändern die DNA und hinterlassen eine typische Spur im Genom.

Mehrere andere Signaturen lassen sich als Resultat fehlerhafter Arbeit unterschiedlicher DNA-Reparatursysteme interpretieren. Darüber hinaus entdeckten die Forscher Mutationsmuster, die auf die Aktivität eines bestimmten Abwehrsystems hindeuten, mit dem die Zelle sich vor Viren schützt: Die so genannten APOBEC-Enzyme destabilisieren das Erbgut der Eindringlinge durch eine chemischen Veränderung. Genau diese Veränderung findet sich in starkem Maße bei bestimmten Krebsarten. Die Forscher halten dies für eine Art Kollateralschaden, für den Preis, den der Organismus für den Virenschutz zahlen muss. „Sollte sich diese Vermutung bestätigen, so wären wir auf einen sehr wichtigen neuen Mechanismus der Krebsentstehung gestoßen“, sagt Stefan Pfister.

Die meisten Signaturen jedoch können keiner bekannten Ursache zugeordnet werden und sind möglicherweise die Spur von noch unbekannten DNA-Reparaturmechanismen. „In diese Richtung müssen wir unbedingt weiterforschen und herausfinden, welche biochemischen Mechanismen tatsächlich hinter den unbekannten Mutations-Mustern stecken. Nur so können wir die tatsächlichen Ursachen einer Krebserkrankung erkennen und möglicherweise gezielt dagegen vorgehen“, so Stefan Pfister.

Erbgutschäden – ein komplexes Bild

Die Forscher analysierten für jeden einzelnen Austausch, welcher der vier DNA-Bausteine (Nukleotide) durch welchen anderen ersetzt wurde. Dabei berücksichtigten sie außerdem die beiden Bausteine links und rechts der Austauschstelle. Auf diese Weise kamen 96 Mutationstypen zusammen, die 21 verschiedenen als „Signaturen“ bezeichneten Mustern zugeordnet wurden. Darüber hinaus unterschieden sie, ob die Mutation auf dem abgelesenen oder auf dem nicht abgelesenen DNA-Strang auftrat. Dazu kann es als Folge der Arbeit spezieller DNA-Reparaturenzyme kommen, die nur für Schäden am abgelesenen Strang zuständig sind. Außerdem wurden kleine Einfügungen oder Verluste von DNA-Bausteinen erfasst.

Die Anzahl an Mutationen variierte bis zu 10.000-fach sowohl zwischen verschiedenen Krebsarten als auch innerhalb einer Art von Patient zu Patient. Die wenigsten Mutationen fanden sich bei Krebserkrankungen der Kinder, die meisten dagegen bei Krebs, der im Zusammenhang mit Mutagenen wie Sonne oder Tabak steht. Bei vielen Krebserkrankungen konzentrieren sich die Mutationen auf kleine Bereiche des Erbguts, ein Phänomen, das die Forscher als „Kataegis“ (abgeleitet vom griechischen Wort für Donner) bezeichnen.

Ludmil B. Alexandrov et al.: Signatures of mutational processes in human cancer. Nature 2013, DOI: 10.1038/nature12477

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.

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