Das Risiko für Typ-2-Diabetes steigt bereits im Normalbereich des Nüchtern-Blutzuckers

Die Studie könnte dazu beitragen, eine aktuelle Streitfrage unter Diabetologen zu klären. Die Forscher publizierten jetzt ihre Daten in der Fachzeitschrift Diabetic Medicine (Matthias Schulze et al.; 2009; DOI: 10.1111/j.1464-5491.2009.02919.x).

Bereits vor sechs Jahren hatte die Amerikanische Diabetes Gemeinschaft empfohlen, den Grenzwert für einen gestörten Nüchtern-Blutzucker von 110 mg/dl auf den derzeit gültigen Wert von 100 mg/dl zu senken. Dabei orientiert sich der aktuelle Wert an bisherigen Forschungsergebnissen. Seit der Neuregelung im Jahr 2003 ist jedoch ein Streit unter den Experten entbrannt. Einige Mediziner halten den neuen Wert für zu niedrig, um Diabetes-Risikopersonen gezielt zu identifizieren. Wiederum andere plädieren dafür, jeglichen Schwellenwert zu streichen.

Um zur Klärung dieser Streitfrage beizutragen, werteten die Wissenschaftler um Hans-Georg Joost die Daten einer 589 Personen umfassenden und nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Teilgruppe der prospektiven Potsdamer EPIC-Studie* aus. Alle Personen der Teilgruppe waren zum Zeitpunkt der Blutentnahme nüchtern. In einem Beobachtungszeitraum von sieben Jahren erkrankten 153 der Personen an einem Typ-2-Diabetes.

Die Forscher beobachteten eine nicht-lineare Beziehung zwischen den Nüchtern-Blutzucker-Werten und dem Diabetesrisiko, wobei der Anstieg des Diabetesrisikos bereits im Normalbereich begann – ab einem Nüchtern-Blutzucker-Wert von 84 mg/dl.

„Ein Wert, über dem das Diabetesrisiko deutlich ansteigt, könnte einen sinnvollen Schwellenwert darstellen. Würde man allerdings den Wert von 84 mg/dl als Grenzwert verwenden, so wäre der Anteil der Menschen, die fälschlicherweise als Risikoperson eingestuft würden, mit 86,8 Prozent zu hoch. Der Wert wäre damit ungeeignet, um Hoch-Risiko-Personen zu identifizieren. Dagegen werden beim ehemaligen Schwellenwert von 110 mg/dl mehr als die Hälfte der Neuerkrankten nicht erkannt“, sagt Matthias Schulze, Erstautor der Studie.

Nach der vorliegenden Studie liegt der statistisch optimale Cut-off bei einem Wert von 102 mg/dl. Dieser Wert kommt dem derzeitigen Grenzwert von 100 mg/dl sehr nahe. „Eine Klassifizierung nach dem derzeit festgelegten Grenzwert erscheint uns daher günstiger zu sein, um nicht zu viele Personen mit einem erhöhten Risiko von vornherein von Interventionsmaßnahmen auszuschließen“, erklärt Schulze.

„Es geht uns nicht darum, einen großen Teil der Bevölkerung für 'krank' zu erklären, sondern darum, die notwendige Prävention sinnvoll anzuwenden“, kommentiert Hans-Georg Joost. „Da unsere Daten auch nahe legen, dass eine genauere Risiko-Differenzierung über einen weiten Wertebereich des Nüchtern-Blutzuckers möglich ist, sollte jeder präventiven Maßnahme eine ärztliche, detaillierte Risikobestimmung vorangehen. Hierfür könnte der von uns entwickelte Deutsche Diabetes-Risiko-Test** um die Variable 'Nüchtern-Blutzucker' erweitert werden. Darüber hinaus wäre der Test auch zur Erfolgskontrolle von Präventionsmaßnahmen geeignet.“

Hintergrundinformation:

Typ-2-Diabetes (auch als Alterszucker oder -diabetes bekannt) ist eine Stoffwechselerkrankung, bei welcher der Körper das selbstproduzierte Insulin nicht ausreichend nutzen kann. Dadurch wird der Blutzuckerspiegel erhöht. Ein Typ-2-Diabetes entwickelt sich schleichend über Jahre, wobei Gefäße und Augen bereits frühzeitig geschädigt werden können. Zu den schweren Folgeschäden zählen: Herzinfarkt, Schlaganfall, Blindheit, ein Verlust von Gliedmaßen oder Nierenversagen.

Die *Potsdamer EPIC (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition)-Studie mit mehr als 27.500 Studienteilnehmern/innen im Erwachsenenalter leitet Heiner Boeing vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE). Sie ist Teil der Gesamt-EPIC-Studie. Die EPIC-Sudie ist eine prospektive, 1992 begonnene Studie, die Zusammenhänge zwischen Ernährung, Krebs und anderen chronischen Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes untersucht. An der EPIC-Studie sind 23 administrative Zentren in zehn europäischen Ländern mit 519.000 Studienteilnehmern beteiligt.

Bei der Auswertung einer prospektiven Studie ist es wichtig, dass die Teilnehmer/innen zu Beginn der Studie noch nicht an der zu untersuchenden Krankheit leiden. Die Risikofaktoren für eine bestimmte Erkrankung lassen sich so vor ihrem Entstehen erfassen, wodurch eine Verfälschung der Daten durch die Erkrankung weitestgehend verhindert werden kann – ein entscheidender Vorteil gegenüber retrospektiven Studien.

**Informationen zum erweiterten Deutschen Diabetes Risikotest finden Sie im Internet unter:
http://www.dife.de/de/index.php?request=/de/presse/pressemitteilungen/pressemitt…

(siehe Pressemitteilung vom 01.09.2009: Blutwerte machen die Bestimmung des Diabetesrisikos noch präziser – genetische Marker tun dies nicht)

Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es erforscht die Ursachen ernährungsbedingter Erkrankungen, um neue Strategien für Prävention, Therapie und Ernährungsempfehlungen zu entwickeln. Forschungsschwerpunkte sind dabei Adipositas (Fettsucht), Diabetes und Krebs.

Zur Leibniz-Gemeinschaft gehören zurzeit 86 Forschungsinstitute und Serviceeinrichtungen für die Forschung sowie drei assoziierte Mitglieder. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute arbeiten strategisch und themenorientiert an Fragestellungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Bund und Länder fördern die Institute der Leibniz-Gemeinschaft daher gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen etwa 14.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon sind ca. 6.500 Wissenschaftler, davon wiederum 2.500 Nachwuchswissenschaftler. Näheres unter http://www.leibniz-gemeinschaft.de.

Kontakt:

Prof. Dr. Dr. Hans-Georg Joost
Wissenschaftlicher Direktor
Deutsches Institut für Ernährungsforschung
Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
Arthur-Scheunert-Allee 114-116
14558 Nuthetal/ Deutschland
Tel.: +49(0)33200-88 416
E-Mail: joost@dife.de
Prof. Dr. Matthias Schulze
Fachgebiet Public Health Nutrition
Technische Universität München
Hochfeldweg 1
85350 Freising/ Deutschland
Tel.: +49(0)8161-71-2002
E-Mail: matthias.schulze@wzw.tum.de
Dr. Gisela Olias
Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Institut für Ernährungsforschung
Potsdam-Rehbrücke
Arthur-Scheunert-Allee 114-116
14558 Nuthetal
Tel.: +49(0)33 200-88 278/335
Fax: +49(0)33 200-88 503
E-Mail: olias@dife.de

Media Contact

Dr. Gisela Olias idw

Weitere Informationen:

http://www.dife.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Bakterien für klimaneutrale Chemikalien der Zukunft

For­schen­de an der ETH Zü­rich ha­ben Bak­te­ri­en im La­bor so her­an­ge­züch­tet, dass sie Me­tha­nol ef­fi­zi­ent ver­wer­ten kön­nen. Jetzt lässt sich der Stoff­wech­sel die­ser Bak­te­ri­en an­zap­fen, um wert­vol­le Pro­duk­te her­zu­stel­len, die…

Batterien: Heute die Materialien von morgen modellieren

Welche Faktoren bestimmen, wie schnell sich eine Batterie laden lässt? Dieser und weiteren Fragen gehen Forschende am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit computergestützten Simulationen nach. Mikrostrukturmodelle tragen dazu bei,…

Porosität von Sedimentgestein mit Neutronen untersucht

Forschung am FRM II zu geologischen Lagerstätten. Dauerhafte unterirdische Lagerung von CO2 Poren so klein wie Bakterien Porenmessung mit Neutronen auf den Nanometer genau Ob Sedimentgesteine fossile Kohlenwasserstoffe speichern können…

Partner & Förderer