Riesensalamander, Geckos und Olme – Verschwundene Artenvielfalt in Sibirien

Heute nur noch fossil in West-Sibirien zu finden: die Knoblauchkröte © Davit Vasilyan

Der sibirische Winkelzahnmolch, vier Braunfrosch- und vier Krötenarten, ein Grünfrosch, zwei Eidechsen und fünf-Schlangenarten – diese 17 Arten repräsentieren aktuell die Fauna der Amphibien und Reptilien Westsibiriens. Damit zählt die Region zu den artenärmsten dieser Tierstämme in Eurasien und Nordafrika.

„Das war aber nicht immer so“, erklärt Prof. Dr. Madelaine Böhme, Direktorin des Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP) an der Universität Tübingen, und fährt fort: „Unsere aktuelle Studie zeigt, dass die Anzahl von Amphibien- und Reptilienarten in der Erdgeschichte deutlich höher war.“

Das internationale Wissenschaftlerteam rund um die Tübinger Paläontologin und Dr. Davit Vasilyan vom JURASSICA Museum in Porrentruy hat Fossilien der vergangenen zwölf Millionen Jahre aus über 40 Fundstellen in Westsibirien untersucht. Gesammelt wurden diese in 40-jähriger Forschungstätigkeit von ihrem russischen Kollegen Dr. Vladimir Zazhigin.

„Wir konnten über 50 verschiedene Arten bestimmen – von Schwanzlurchen, Fröschen über Schuppenechsen bis zu Schildkröten. Das hat selbst unsere kühnsten Erwartungen übertroffen“, freut sich Böhme. Unter den Funden entdeckte das Team zum Beispiel Nachweise für Riesensalamander, eine Gruppe von bis zu 1,80 Meter großen Schwanzlurchen, die heute nur in regenreichen Gebieten Japans und China heimisch sind. Ebenso unerwartet waren Belege für mehrere Krokodil-Molch-Arten, deren heutige Verwandte in China und Vietnam leben.

„Zudem haben wir erstmalig einen asiatischen Vertreter aus der ausgestorbenen Frosch-Familie Paleobatrachidae nachgewiesen“, ergänzt Böhme und weiter: „Auch einen ‚alten Bekannten’ haben wir unter den Fossilien wiederentdeckt: Der sibirische Winkelzahnmolch lebte auch schon vor zwölf Millionen Jahren in der Region jenseits des Urals.“ Heutige Vertreter dieser Lurch-Gattung haben sich an die unwirtlichen klimatischen Bedingungen angepasst und überleben eingefroren im Boden Temperaturen bis zu minus 40 Grad Celsius.

Die Fossilfunde geben nicht nur Aufschluss über die Tierwelt der Vergangenheit, sondern lassen auch Rückschlüsse auf Klima, Niederschläge und Vegetation zu: Der Fund eines sechs Millionen Jahre alten Geckos der Gattung Alsophylax deutet beispielsweise darauf hin, dass dessen damaliger Lebensraum der heutigen kasachischen Steppe ähnelte. Für diese Zeit, in der auch Springmäuse, Kamele und Strauße die westsibirische Ebene besiedelten, errechnete das Wissenschaftlerteam eine Jahresniederschlagsmenge von nur 250 Millimetern.

Funde von Land- und Wasserschildkröten, deren letzte Vertreter vor etwa 5 Millionen Jahren aus West-Sibirien verschwanden, lassen zudem deutlich wärmere Klimata vermuten.
„Die Gesamtheit der Funde belegt die wechselvolle Biodiversität Sibiriens und die dynamische Klimageschichte dieser Region: Sehr feuchte Abschnitte mit der vierfachen heutigen Regenmenge verwandelten sich innerhalb einiger hunderttausend Jahre in Gebiete mit trockenem Steppenklima. Die zunehmend kühleren Temperaturen führten dann wahrscheinlich zum Verlust zahlreicher Amphibien- und Reptilienarten“, resümiert Böhme.

Kontakt
Prof. Dr. Madelaine Böhme
Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP) an der Universität Tübingen
Tel.: 0151-22385151
madelaine.boehme@senckenberg.de

Judith Jördens
Pressestelle
Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Tel. 069- 7542 1434
pressestelle@senckenberg.de

Publikation
Vasilyan D, Zazhigin V, Böhme M. (2016) Neogene amphibians and reptiles (Caudata, Anura, Gekotta, Lacertilia, Testudines) from south of Western Siberia, Russia and Northeastern Kazakhstan. PeerJ 5:e3025; DOI 10.7717/peerj.3025 https://peerj.com/articles/3025.

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