"Genetischer Müll" löst Herzmuskelschwäche aus

Würzburger Forscher fanden eine solche erstmals im Herzen, blockierten sie und konnten damit nicht nur gefährdete Mäuse vor dem Ausbruch der Erkrankung schützen, sondern auch an Herzmuskelschwäche erkrankte Mäuse heilen. Die Ergebnisse beschreiben die Wissenschaftler der Universität Würzburg in dem renommierten Wissenschaftsmagazin Nature.

Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms brachte eine überraschende Nachricht mit sich: Nur ungefähr 1,5 Prozent der gesamten genetischen Information wird für die Herstellung unserer Proteine benötigt, wobei die Gene über eine Art Kopie, die Boten-RNA, in Proteine umgeschrieben werden. Der Rest der Gene galt lange als bedeutungsloser „genetischer Müll“, weil deren RNA ohne nennenswerte Funktion sei. 2006 wurde jedoch für die Entdeckung, dass RNAs, aus denen keine Proteine entstehen, auch wichtige Aufgaben im Körper besitzen den Medizin-Nobelpreis verliehen. Diese RNA-Stücke regulieren die Bildung der Proteine über Bindung an die Boten-RNA direkt. Geht hier etwas schief, produziert der Körper also beispielsweise zu viel oder zu wenig Proteine, gerät die Körperzelle aus dem Gleichgewicht – Krankheiten entstehen.

Wissenschaftler um Stefan Engelhardt vom Rudolf-Virchow-Zentrum sowie Thomas Thum und Johann Bauersachs von der Medizinischen Klink und Poliklinik I der Universität Würzburg haben nun erstmals ein kleines RNA-Stück, eine sogenannte micro-RNA, im Herzen ausfindig gemacht, das sowohl bei Mäusen als auch bei Menschen für die Entstehung der Herzmuskelschwäche mit verantwortlich ist. Diese micro-RNA reguliert die Bildung wichtiger Proteine im Herzen. Bei der Entwicklung einer Herzmuskelschwäche gerät diese Regulation aus dem Gleichgewicht: Das RNA-Stück blockiert die Bildung eines dieser Proteine, wodurch sich die Funktion von Zellen des Bindegewebes im Herzen (Herzfibroblasten) verändert. Dieser Umbau führt über kurz oder lang bei Patienten zur Herzmuskelschwäche. Ist das Herz einmal geschwächt, gibt es bisher keine Hoffnung auf Heilung.

Herzmuskelschwäche gehört zur Haupttodesursache in westlichen Ländern. „Bisher haben wir nur Medikamente wie Beta-Blocker, Diuretika oder ACE-Hemmer, die das Fortschreiten der Erkrankung verzögern und dazu führen, dass die Patienten länger leben können, heilen können wir sie aber bisher nicht“, so der Kliniker Johann Bauersachs. Große Hoffnung verspricht jetzt der Fund der Würzburger Herzforscher: Blockiert man diese micro-RNA bei Mäusen, so sind diese gegen die Herzmuskelschwäche geschützt. Sogar bereits erkrankte Mäuse konnten die Herzforscher mit der neuen Therapie heilen. Als Therapie verabreichten die Forscher den Mäusen ein synthetisch hergestelltes Stück RNA, das wie eine Art Gegenstück auf die gefundene micro-RNA passt und diese so unschädlich macht. Diese Therapie ist eine überaus vielsprechende Herangehensweise, die sich von der herkömmlichen stark unterscheidet. Angegriffen wird nicht am Protein, sondern an der RNA selbst.

Die Ergebnisse sind vermutlich direkt auf den Menschen übertragbar, da das RNA-Stück auch bei Menschen die Herzmuskelschwäche auslöst. Natürlich müsste ein solcher Blocker beim Menschen erst noch in klinischen Studien getestet werden, doch die Würzburger Herzforscher sehen großes Potential in diesem neuen Ansatz: „Wir haben jetzt ein ganz neues therapeutisches Werkzeug. Der micro-RNA-Blocker ist chemisch relativ einfach aufgebaut und sehr leicht herzustellen. Wir kooperieren bereits mit einer Firma diesbezüglich“, so Stefan Engelhardt. Die weitere Entwicklung dieser neuwertigen Therapie laufe derzeit auf Hochtouren.

Thum, T., Gross, C., Fiedler, J., Fischer, T., Kissler, S., Bussen, M., Galuppo, P., Just, S., Rottbauer, W., Frantz, S., Castoldi, M., Soutschek, J., Koteliansky, V., Rosenwald, A., Basson, M.A., Licht, J.D., Pena, J.T.R., Muckenthaler, M., Tuschl, T., Martin, G.R., Bauersachs, J. and Engelhardt, S. (2008) miR-21 derepresses fibroblast MAPkinase signalling and contributes to myocardial disease. Nature, Nov. 30 [DOI: 10.1038/nature07511].

Kontakt:
Prof. Dr. med. Stefan Engelhardt
Rudolf-Virchow-Zentrum/ DFG-Forschungszentrum für Experimentelle Biomedizin
Seit Oktober: Neuer Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Technischen Universität München, die Arbeiten sind im Rudolf-Virchow-Zentrum der Universität Würzburg entstanden.
Tel: 089-4140-3260
Email: stefan.engelhardt@virchow.uni-wuerzburg.de
Prof. Dr. Johann Bauersachs, Medizinische Klinik I, Universitätsklinikum Würzburg
Tel. 0931-201 36301
Email: Bauersachs_J@klinik.uni-wuerzburg.de
Dr. Dr. Thomas Thum
Nachwuchsgruppe des Interdisziplinären Zentrums für Klinische Forschung und der Medizinischen Klinik I, Universitätsklinikum Würzburg
Tel. 0931-201 36455
Email: Thum_T@klinik.uni-wuerzburg.de
Sonja Jülich
Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Rudolf-Virchow-Zentrum/
DFG-Forschungszentrum für Experimentelle Biomedizin der Universität Würzburg
Tel: 0931-201-48714
Fax: 0931-201-48702
Mobil: 0174-2118850 (ab 28.11.08 nur Mobil zu erreichen!)
Email: sonja.juelich@virchow.uni-wuerzburg.de

Media Contact

Sonja Jülich idw

Weitere Informationen:

http://www.rudolf-virchow-zentrum.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neue universelle lichtbasierte Technik zur Kontrolle der Talpolarisation

Ein internationales Forscherteam berichtet in Nature über eine neue Methode, mit der zum ersten Mal die Talpolarisation in zentrosymmetrischen Bulk-Materialien auf eine nicht materialspezifische Weise erreicht wird. Diese „universelle Technik“…

Tumorzellen hebeln das Immunsystem früh aus

Neu entdeckter Mechanismus könnte Krebs-Immuntherapien deutlich verbessern. Tumore verhindern aktiv, dass sich Immunantworten durch sogenannte zytotoxische T-Zellen bilden, die den Krebs bekämpfen könnten. Wie das genau geschieht, beschreiben jetzt erstmals…

Immunzellen in den Startlöchern: „Allzeit bereit“ ist harte Arbeit

Wenn Krankheitserreger in den Körper eindringen, muss das Immunsystem sofort reagieren und eine Infektion verhindern oder eindämmen. Doch wie halten sich unsere Abwehrzellen bereit, wenn kein Angreifer in Sicht ist?…

Partner & Förderer