Positives Feedback für Tumore – Regulatorprotein setzt ungebremste Zellteilung in Gang

Normalerweise verhindern Zellen derart ungebremstes Wachstum durch strenge Kontrollmechanismen, die wuchernde Zellen vorzeitig altern oder absterben lassen.

Wissenschaftler um Professor Heiko Hermeking und Dr. Antje Menssen vom Pathologischen Institut der LMU konnten nun aufklären, wie das zentrale Regulatorprotein c-MYC diese Kontrolle unterläuft und so zur Krebsentstehung beiträgt: Hohe c-MYC-Konzentrationen, welche in den meisten Tumorarten vorliegen, aktivieren das Enzym SIRT1, das Zellalterung und Zelltod verhindert. Gleichzeitig wird eine positive Feedbackschleife in Gang gesetzt, durch die c-MYC und SIRT1 immer weiter aktiviert werden.

Normale Zellen unterbrechen die Feedbackschleife, indem sie das c-MYC Gen bei fehlenden Wachstumssignalen inaktivieren – in Tumorzellen funktioniert dies nicht mehr, und es kommt zur Immortalisierung. „Unsere Befunde legen nahe, dass Tumorarten wie etwa Lymphome, Dickdarm-, oder Brustkrebs, bei denen c-MYC eine zentrale Rolle spielt, besonders stark auf eine pharmakologische Inhibition der an der Feedbackkette beteiligten Enzyme reagieren sollten“, erläutert Menssen die medizinische Bedeutung der Ergebnisse. Insbesondere könnte eine kombinierte Therapie, die an verschiedenen Stellen der Feedbackschleife ansetzt, den Krebs effektiver bekämpfen. (PNAS 19.-23.12)

Das c-MYC Protein steuert zahlreiche grundlegende Prozesse wie Zellwachstum und Zellteilung und ist daher für Prozesse, bei denen sich Zellen vermehren müssen, wie etwa Embryonalentwicklung und Blutbildung, essenziell. Zuviel c-MYC allerdings hat fatale Folgen: Eine permanente c-MYC-Produktion kann Zellen immortalisieren und zur Krebsentstehung beitragen. Deshalb wird das c-MYC-Gen, das für die Bildung des entsprechenden Proteins verantwortlich ist, in normalen Zellen sehr streng kontrolliert: Nur wenn eine Zelle positive Wachstumssignale erhält, wird das Gen aktiviert. Falls diese Sicherung versagt, gibt es sogar noch einen zweiten zellinternen Kontrollmechanismus: Erhöhte c-MYC-Konzentrationen lösen die vorzeitige Alterung der Zelle – die sogenannte zelluläre Seneszenz – sowie den programmierten Zelltod aus. In Tumorzellen funktioniert diese Qualitätssicherung allerdings oft nicht – in einigen Tumoren und Zelltypen wurde sogar beobachtet, dass die Sicherungsmechanismen durch c-MYC selbst unterdrückt werden. „Bisher war weitgehend unklar, wie c-MYC dies schafft“, sagt Hermeking. Um die beteiligten Mechanismen aufzuklären, nahmen die Wissenschaftler das Enzym SIRT1 als möglichen Komplizen von c-MYC ins Visier. „SIRT1 erschien uns als geeigneter Kandidat, da für ein verwandtes Enzym bereits gezeigt wurde, dass es in niederen Organismen die Lebensdauer von Zellen verlängern kann. In menschlichen Zellen hemmt SIRT1 einen Regulator, der Zellalterung und Zelltod vorantreibt“, so Hermeking.

Tatsächlich konnte das Wissenschaftler-Team, zu dem auch Molekularbiologen von der Universität Aachen und dem Karolinska-Institut in Stockholm gehörten, im Detail zeigen, dass c-MYC das Enzym SIRT1 sogar auf mehreren Wegen aktiviert: Zum einen über die Aktivierung des Enzyms NAMPT (Nicotinamid Phosphoribosyltransferase), das einen für die Funktion von SIRT1 notwendigen Baustein bereitstellt. Zum anderen hemmt c-MYC einen Inhibitor von SIRT1 und verschafft SIRT1 so freie Bahn. SIRT1 wiederum schließt den Kreis, indem es dafür sorgt, dass der c-MYC-Abbau gebremst wird – so entsteht eine positive Feedback-Schleife, in der c-MYC und SIRT1 immer weiter aktiviert werden und letztlich c-MYC in der Zelle akkumuliert.

In den meisten Tumoren wird das c-MYC Protein in großen Mengen produziert. Von bestimmten Tumoren wie Lymphomen, Dickdarmkrebs oder Brustkrebs weiß man, dass c-MYC eine kausale Rolle für die Krebsentstehung spielt, da das c-MYC kodierende Gen verändert vorliegt, beziehungsweise Faktoren, die es regulieren aufgrund von Mutationen permanent aktiv sind. Für die Entwicklung neuer Therapien gegen diese Krankheiten sind die Ergebnisse der Wissenschaftler hoch interessant, da diese Tumore besonders stark auf eine medikamentöse Hemmung der beiden Enzyme SIRT1 oder NAMPT reagieren sollten. Interessanterweise haben Studien in den letzten Jahren gezeigt, dass in verschiedenen Tumoren auch der NAMPT-Level erhöht ist. Ein chemischer Inhibitor von NAMPT wird bereits in klinischen Studien getestet. „Durch unsere Untersuchung ist nun klar geworden, dass die von c-MYC in Gang gesetzte Feedbackschleife der Grund für die erhöhte Produktion von NAMPT sein könnte. Eine kombinierte Therapie, mit der die Funktion von SIRT1 und NAMPT gehemmt wird, könnte daher synergistisch wirken und neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnen“, erläutert Menssen.

Die lebensverlängernde Wirkung eines täglichen Glases Rotwein dagegen wird durch die Erkenntnisse der Wissenschaftler infrage gestellt: Bisher wurde die pharmakologische Aktivierung von SIRT1 durch das im Rotwein enthaltene Resveratrol als möglicherweise gesundheitsfördernd angesehen. Teilweise wird die Anwendung von SIRT1-Aktivatoren wie Resveratrol sogar kommerziell verfolgt – etwa um den Alterungsprozess zu verlangsamen oder um Fettleibigkeit und Diabetes vorzubeugen. „Vor dem Hintergrund unserer Ergebnisse sollten derartige Aktivatoren nur nach weiteren Studien verwendet werden“, mahnt Hermeking zur Vorsicht.

Das Projekt wurde durch ein Habilitationsstipendium der Exzellenzinitiative der LMU für Dr. Antje Menssen, sowie von der Deutschen Krebshilfe e.V. und von der Max-Planck-Gesellschaft gefördert. (göd)

Publikation:
„The c-MYC oncoprotein, the NAMPT enzyme, the SIRT1-inhibitor DBC1, and the SIRT1 deacetylase form a positive feedback loop”;
A. Menssen, P. Hydbring, K. Kapelle, J. Vervoorts, J. Diebold, B. Lüscher, L.- G. Larsson, H. Hermeking;
PNAS Early Edition PNAS 19.-23.12;
doi: 10.1073/pnas.1105304109
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Heiko Hermeking
Pathologisches Institut der LMU
Tel.: 089 / 2180 – 73 685
Fax: 089 / 2180 – 73 697
E-Mail: Heiko.Hermeking@med.uni-muenchen.de
Website: http://www.pathologie.med.uni-muenchen.de/020wissenschaft/009ag_hermeking/index.html
Dr. Antje Menssen
Pathologisches Institut der LMU
Tel.: 089 / 2180 – 73 673
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