Pfeil in die Achillesferse der Leukämie: neuer Wirkstoff-Kandidat zeigt positive Resultate

Mit Hilfe der „Hairpin-Technologie“ wurde die Schwachstelle der Leukämiezelle, das Gen Brd4, gezielt ausgeschaltet. Eine deutliche Verbesserung des Krankheitsbildes war die Folge.<br>Foto: IMP<br>

Die akute-myeloische Leukämie (AML) ist eine aggressive Form der Leukämie, die bei 70% der Patienten nicht beherrschbar ist. Eine neue Therapiemöglichkeit steht nun in Aussicht – entdeckt durch eine in der klassischen Tumorforschung ungewöhnliche Herangehensweise: Gesucht wurde weniger nach dem Auslöser der Leukämie als vielmehr nach einer genetischen Achillesferse, einer Schwachstelle des Krebses. Gefunden wurde das Gen Brd4. Mit einem ebenfalls bereits entwickelten Inhibitor gegen dieses Protein konnten bereits erfolgversprechende Resultate erzielt werden. Gelungen ist die Entdeckung Wissenschaftlern aus dem Cold Spring Harbor Laboratory in New York, allen voran Johannes Zuber, der mittlerweile am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien eine eigene Forschungsgruppe etabliert hat, sowie sein früherer Kollege Junwei Shi.

„Der neue Wirkstoff-Kandidat zeigte sich nicht nur sehr wirksam gegen Leukämiezellen, sondern scheint in bisherigen Tests gesunden, nicht entarteten Körperzellen kaum zu schaden,“ freut sich Christopher Vakoc, der das Team in Cold Spring Harbor leitete, über die zwei wesentlichsten Voraussetzungen, damit der Wirkstoff überhaupt als solcher in Erwägung gezogen werden kann.

Johannes Zuber erklärt die innovative Herangehensweise, die die Forscher gewählt hatten: „Krebs ist ganz klar eine genetisch bedingte Erkrankung. Es ist aber nicht unbedingt notwendig, sich jede Mutation im Detail anzusehen. Wir haben uns mehr dafür interessiert, von welchen Genen ein Tumor abhängig ist, was ihn am Leben hält. Zum Beispiel wissen wir, dass die Chromatinanteile, die regulieren wie die DNA abgelesen wird, in Leukämie und anderen Krebszellen stark verändert sind.“ Die Gruppe der Chromatin modifizierenden Gene wurde daher als möglicher Therapieansatzpunkt systematisch getestet.

Systematische Schwachstellenanalyse bei Akuter Myeloischer Leukämie

Durchgeführt wurden diese Untersuchungen an einer besonders hartnäckigen Form der akuten-myeloischen Leukämie, die meist unempfindlich gegenüber Chemotherapie ist und nicht geheilt werden kann. Für die systematische Analyse von 243 bekannten Chromatin-Regulatoren nutzten die Wissenschaftler die „Hairpin-Technologie“, die Zuber als Postdoktorand im Labor des Wissenschaftlers Scott Lowe in Cold Spring Harbor für Studien in Tumormodellen optimiert hatte. Hierbei werden kleine RNA Moleküle, die aussehen wie Haarnadeln, dazu verwendet, um größere Moleküle der messenger-RNA (mRNA) zu zerstören. Die mRNA ist zuständig für die Übertragung der Information vom Erbgut (DNA) zum Ribosom („Proteinfabrik“). Wird sie zerstört, kann das betreffende Gen nicht in Protein umgesetzt werden und ist somit „ausgeschaltet“.

Wurde in der Studie der Forscher ein Gen ausgeschaltet, das offensichtlich für das Überleben des Tumors essenziell ist, zeigte sich die Folge als deutliche Verbesserung des Krankheitsbildes. Bei einem Gen, Brd4, war der Erfolg besonders drastisch. Die Unterdrückung des Gens führte zum sofortigen Teilungsstopp, ja sogar zum Tod von Leukämiezellen, verlangsamte so das Fortschreiten der Krankheit und verlängerte damit die Lebenszeit der an Leukämie erkrankten Maus signifikant.

“Mit Brd4 haben wir die Achillesferse dieser Leukämieform gefunden“, freut sich Zuber. Brd4 reguliert Myc, das als Onkogen an der Entstehung von 50% aller Krebsarten beteiligt ist und offenbar auch die Leukämiezellen am Leben hält.

Ein neuer Wirkstoff gegen Akute Myeloische Leukämie

Die Entwicklung einer Therapie gegen diese heimtückische Form der Leukämie könnte nun schneller gehen als gedacht. Zufälligerweise wurde von James Bradner am Bostoner Dana-Farber Cancer Institut genau gegen das entscheidende Gen Brd4 kürzlich der Inhibitor JQ1 entwickelt. Umfangreiche Tests zeigten, dass JQ1 die Chromatinbindung von Brd4 komplett blockiert und dadurch tödlich für Leukämie und möglicherweise auch andere Krebsarten ist. Zum Großteil wurden diese Analysen in Cold Spring Harbor durchgeführt, doch auch aus Wien gab es entscheidende Beiträge. Neben dem Aufbau seines eigenen Labors am IMP hat sich bereits eine erfolgversprechende Kooperation zwischen Johannes Zuber und der Forschungsgruppe von Peter Valent am Wiener AKH ergeben. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit wurden in Wien die ersten erfolgreichen Tests des neuen Wirkstoffs an Leukämiezellen von Patienten durchgeführt. Johannes Zuber hofft nun, „dass bald klinische Studien beginnen können“.

Originalpublikation:
Zuber, J. et. al. 2011. RNAi screen identifies Brd4 as a therapeutic target in acute myeloid leukemia. Nature.
Illustration, Download & Legende:
http://www.imp.ac.at/pressefoto-leukaemie
Legende: „Mit Hilfe der „Hairpin-Technologie“ wurde die Schwachstelle der Leukämiezelle, das Gen Brd4, gezielt ausgeschaltet. Eine deutliche Verbesserung des Krankheitsbildes war die Folge.“
Über Johannes Zuber:
Johannes Zuber wurde 1974 in Dresden geboren. Sein Medizinstudium an der Humboldt-Universität in Berlin schloss er 2003 mit einer Doktorarbeit in der molekularen Krebsforschung ab. Als Assistenzarzt an der Universitätsklinik Charité wurden Tumoren des blutbildenden Systems zum Schwerpunkt seiner klinischen und wissenschaftlichen Arbeit. Im Jahr 2005 wechselte er in die USA, wo er im Labor von Prof. Scott Lowe in Cold Spring Harbor an neuartigen Therapiemöglichkeiten für Leukämien forschte. Seit Jänner 2011 ist Johannes Zuber Gruppenleiter am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie in Wien.
Über das IMP:
Das Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie betreibt in Wien biomedizinische Grundlagenforschung. Hauptsponsor ist der internationale Unternehmensverband Boehringer Ingelheim. Mehr als 200 ForscherInnen aus über 30 Nationen widmen sich am IMP der Aufklärung grundlegender molekularer und zellulärer Vorgänge, um komplexe biologische Phänomene im Detail zu verstehen. Die bearbeiteten Themen umfassen die Gebiete der Zell- und Molekularbiologie, Neurobiologie, Krankheitsentstehung, Bioinformatik. Das IMP ist Gründungsmitglied des Campus Vienna Biocenter.
Kontakt:
IMP – Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie
Mag. Evelyn Missbach, Kommunikation
Dr. Bohr Gasse 7
1030 Wien
Tel. +43 1 797 30 – 3626
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