Neurowissenschaft: Dunkel ist schneller als hell
Enttarnung durch Hell-Dunkel Wechsel
Im Tierreich gibt es zahlreiche Beispiele dafür, wie Form und Muster von Körperoberflächen durch Ähnlichkeiten mit der Umgebung zur Tarnung genutzt werden. Dabei verwenden sowohl Jäger als auch Beute dieselbe Strategie. Um nicht entdeckt zu werden, imitieren Tiere die Hell-Dunkel Verteilung ihrer natürlichen Umgebung in ihrer Körperform und Farbe.
„Der elementar erste Schritt beim Sehen ist die Unterscheidung von Hell und Dunkel. Die Schwierigkeit für Sehsysteme ist es, aus der Verteilung von Kontrasten eine Ordnung zu erzeugen, in der Objekte und Formen identifiziert werden können. Räumlich und zeitlich zusammenhängende Lichtwechsel bei Bewegung können dafür ein wirkungsvoller Anhaltspunkt sein“, so der Leiter der Studie PD Dr. Dirk Jancke.
Mit einem hochauflösenden bildgebenden Verfahren wiesen die RUB Forscher nach, dass zeitgleiche Hell-Dunkel Wechsel zeitversetzte Aktivierungen in der Sehrinde auslösen. Die dadurch erzeugten Erregungswellen werden vermutlich in nachfolgenden Gehirnarealen zur Kodierung von Objektbewegungen genutzt.
Wettlauf von Signalen im Gehirn
In ihrer Studie präsentierten die Forscher auf einem Bildschirm graue Quadrate, die mit gleicher Intensität entweder schlagartig aufhellten oder abgedunkelt wurden und zeichneten die bei der Betrachtung entstehenden Gehirnaktivitäten auf. Das überraschende Ergebnis war, dass für dunkel werdende Reize die im Gehirn eintreffenden Signale deutlich schneller präsent waren, als für aufhellende Reize.
„Das heißt, zeitgleiche Lichtänderungen in der Außenwelt wurden im Gehirn zeitversetzt verarbeitet“, sagt Sascha Rekauzke, Erstautor der Studie. Ein geringer Zeitunterschied bei der Verarbeitung von Hell und Dunkel von wenigen Millisekunden war bereits bekannt. In den Ganglienzellen der Netzhaut bewirken Transmitter, die „Licht an“ signalisieren, eine direkte Öffnung von Ionenkanälen. Demgegenüber werden „Licht aus“ Signale indirekt, das heißt, erst über einen intrazellulären Umweg vermittelt.
Die RUB Forscher zeigten nun, dass der resultierende zeitliche Unterschied im Gehirn weiter verstärkt wird – bis auf etwa zehn Millisekunden. Das hat zur Folge, dass bei gleichzeitigen Lichtwechseln an zwei benachbarten Orten ein raumzeitlicher Versatz der Gehirnaktivierung entsteht. Dies führt zu einem Bewegungssignal in Form einer sich asymmetrisch ausbreitenden Erregungswelle.
Asymmetrie als universelles Prinzip
Asymmetrien werden in biologischen Systemen auf verschiedenste Weise genutzt. Ein geläufiges Beispiel: Beim Hören erreichen Schallwellen, die von seitlich versetzten Quellen ausgehen, die Ohren zu minimal unterschiedlichen Zeiten. Aus der zeitlichen Differenz entstehen in den Netzwerken der Nervenzellen Laufzeitunterschiede, die vom Gehirn als Richtung der Schallquelle interpretiert werden und deren Lokalisation erlauben. Dirk Jancke: „Unser Gehirn ist eine gigantische Vergleichsmaschine, oft basierend auf selbst produzierten Asymmetrien – und dies, wie wir in unserer Studie weiter untermauern konnten, bereits bei elementaren Wahrnehmungsprozessen.“
Förderung
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderte die Studie, unter anderem im Rahmen des Bochumer Sonderforschungsbereiches 874 „Integration und Repräsentation sensorischer Prozesse (Teilprojekt A2, Eysel/Jancke)“.
Titelaufnahme
S. Rekauzke, N. Nortmann, R. Staadt, Howard S. Hock, G. Schöner, D. Jancke (2016): Temporal asymmetry in dark-bright processing initiates propagating activity across primary visual cortex, Journal of Neuroscience, DOI: 10.1523/JNEUROSCI.3235-15.2016
Text: PD Dr. Dirk Jancke
Redaktion: Annegret Kalus
Weitere Informationen
PD Dr. Dirk Jancke, Optical Imaging Group, Institut für Neuroinformatik der Ruhr-Universität, 44780 Bochum, Tel. 0234/32-27845, E-Mail: dirk.jancke@rub.de
Angeklickt
Homepage SFB 874: www.rub.de/sfb874
Webseite Optical Imaging Lab: http://homepage.ruhr-uni-bochum.de/Dirk.Jancke/
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