Neues Autismus-Gen charakterisiert

Alles muss im Gleichgewicht sein – das gilt auch für das Gehirn. Wichtig ist hierbei das Gleichgewicht der verschiedenen Synapsen, also der Kontaktstellen im zentralen Nervensystem. Es wird dabei zwischen hemmenden und erregenden Synapsen unterschieden, die durch bestimmte Proteine stabilisiert und gesteuert werden.

Fehlen dort einzelne Bausteine oder ist deren Anzahl zu gering, also nicht ausgeglichen, kommt es zu schwerwiegenden Störungen. Vermutlich entsteht so auch Autismus, oder genauer der autistische Formenkreis. „Autismus ist keine festegelegte Erkrankung, Autismus äußert sich verschiedenartig. Das geht von leichten sozialen Fehlverhaltensweisen bis hin zur totalen Zurückgezogenheit“, erklärt Prof. Dr. Eckart Gundelfinger, Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Institutes für Neurobiologie, kurz LIN. Er hat gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Tobias Böckers bereits Mitte der 1990er Jahre den Grundstein für die jetzt vorliegenden Forschungsergebnisse gelegt.

„Herr Prof. Böckers, der heute Direktor des Ulmer Institutes für Anatomie und Zellbiologie ist, hat damals in unserer Arbeitsgruppe hier am LIN das sogenannte ProSAP1/Shank2 entdeckt, ein Protein, das maßgeblich für eine Fehlfunktion des Gehirns verantwortlich gemacht wird“ sagt Prof. Gundelfinger weiter. „Mutationen dieses Proteins sind auch bei autistischen Menschen nachgewiesen worden.“

In den neuesten Studien konnte dies weiter untermauert werden. Die Ergebnisse wurden jetzt im hochrenommierten Journal „Nature“ veröffentlicht. Kern des Fachbeitrags „Autistic-like behaviours and hyperactivity in mice lacking ProSAP1/Shank2“ ist der Nachweis des unmittelbaren Einflusses der genannten Proteine auf die Synapsentätigkeit im Gehirn. Um die Rolle von ProSAP1/Shank2 an der Synapse und letztlich bei der Entstehung von Autismus zu verstehen, haben die Forscher Mäuse genetisch modifiziert und ProSAP1/Shank2 ausgeschaltet, mit sichtbaren Auswirkungen: Tiere mit der Gen-Mutation sind hyperaktiv und zeigen sich immer wiederholende Handlungen – etwa bei der Fellpflege. In Verhaltensexperimenten werden zudem Auffälligkeiten in der sozialen und kommunikativen Interaktion deutlich. Bei den genetisch modifizierten Mäusen liege anscheinend ein molekularer Reifungsdefekt der Synapse vor. Eines Tages könnte die „Reparatur“ dieses Defekts eventuell Grundlage einer Autismus-Therapie bei Menschen sein.

Hintergrund:
Autismus-Spektrum-Störungen sind relativ häufig. Laut Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autimus „autismus Deutschland e.V.“ wird die Krankheitshäufigkeit auf insgesamt 6-7 pro 1.000 Kindern geschätzt. Dabei wird zwischen dem frühkindlichen Autismus und dem Asperger-Syndrom unterschieden. Der frühkindliche Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die in den ersten drei Lebensjahren beginnt. Autistische Kinder können zunächst keine Geste, kein Lächeln, kein Wort deuten. Jede Veränderung in Ihrer Umwelt kann sie stark verunsichern. Autistische Kinder spielen nur sehr wenig und benutzen ihr Spielzeug in immer gleicher, oft zweckentfremdeter Art und Weise. Sie entwickeln häufig stereotypes Verhalten wie das unablässige Drehen von Rädern und Wedeln mit Papier.
Beim Asperger-Syndrom dagegen ist häufig keine Verzögerung bzw. kein Entwicklungsrückstand in der Sprache oder der kognitiven Entwicklung vorhanden. Hingegen sind in der psychomotorischen Entwicklung und der sozialen Interaktion Auffälligkeiten festzustellen. Daneben gibt es auch Erkrankte, die eine sogenannte Inselbegabung haben. Die Interessen von Autisten sind dabei meist auf bestimmte Gebiete begrenzt, manche von ihnen besitzen auf dem Gebiet ihres besonderen Interesses darüber hinaus auch außergewöhnliche Fähigkeiten, zum Beispiel im Kopfrechnen, Zeichnen, in der Musik oder in der Merkfähigkeit.

Das Leibniz-Institut für Neurobiologie ist eines der international führenden Hirnforschungszentren. Die Mission des Institutes besteht im Studium der Mechanismen von Lernen und Gedächtnis sowie deren krankhafter Störungen auf allen Ebenen der Hirnorganisation. Klassische Forschungsfelder sind die Verarbeitung von akustischen Informationen und Sprache im Zentralen Nervensystem, die Langzeit-Veränderung stimulierter Nervenzellen durch neuronale Erregungsmuster sowie molekulare und zelluläre Mechanismen der Bildung und Aktivierung von Synapsen.

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