Neue Methode liefert 3D-Bilder über die Chemie der Zelle

Metall-Carbonyl-Komplexe sind Modellsubstanz für pharmazeutische Wirkstoffe: Die dreidimensionale Darstellung zeigt, wie ein Metall-Carbonyl-Komplex in einer Zelle verteilt ist. M. Obst/Universität Tübingen

Wie Wirkstoffe in Zellen aufgenommen und wo sie dort verarbeitet werden, lässt sich nur indirekt über aufwändige Experimente nachweisen. Um die chemische Zusammensetzung solcher Proben abzubilden, kombinieren Wissenschaftler deshalb bildgebende Spektroskopieverfahren mit infrarotem Licht (für Menschen nicht sichtbar) mit besonderen Mikroskopiemethoden.

Einem Team aus Tübinger und Schweizer Wissenschaftlern ist es nun erstmals gelungen, die Verteilung von molekularen Zellbestandteilen mit konventionellen Laborgeräten auch dreidimensional darzustellen. Das ist bahnbrechend, weil bisherige Abbildungen stets zweidimensional waren und sich nicht immer bestimmen ließ, in welchem Teil der Zelle ein chemischer Stoff zu finden ist.

Zwar konnten 2013 mit einem Elektronenbeschleuniger als Lichtquelle, einem „Synchrotron“, dreidimensionale Darstellungen erzeugt werden ‒ aber diese Methode lässt sich wegen hoher Kosten und beschränkten Zugangs zu Großforschungseinrichtungen nur eingeschränkt nutzen.

Die nun entwickelte Methode ist vergleichsweise kostengünstig und kann in der biologischen und pharmazeutischen Forschung sowie der Umweltforschung eingesetzt werden: Dr. Martin Obst und Professor Marcus Nowak vom Fachbereich Geowissenschaften der Universität Tübingen sowie die Schweizer Wissenschaftler Dr. Luca Quaroni (Université de Fribourg, Schweiz, derzeit Functional Genomics Center Zurich) und Professor Fabio Zobi (Université de Fribourg, Schweiz) koppelten dafür ein in Tübingen entwickelten Tomografiegerät mit einem modernen Infrarot-Labormikroskop, das mit einem bildgebenden Detektor ausgestattet ist.

Dieses nimmt in Kippserientechnik Projektionen der Zellproben in 38 verschiedenen Winkeln auf und liefert eine detaillierte spektromikroskopische Bildfolge, aus der sich der dreidimensionale chemische Aufbau der Zellen rekonstruieren lässt. Die Wissenschaftler erzeugten mit dem neuen Ansatz Abbildungen der dreidimensionalen Verteilung von molekularen Zellbestandteilen, ohne dass die Zelle dafür angefärbt oder in irgendeiner Weise verändert werden musste, wie dies etwa für eine Untersuchung mit sichtbaren Licht nötig ist. Das Team konnte zudem die Verteilung eines Metall-Carbonyl-Komplexes – einer Modellsubstanz für eine Klasse neuartiger pharmazeutischer Wirkstoffe – in einer einzelnen Zwiebelzelle abbilden und die Anreicherung der Substanz im Zellkern mengenmäßig erfassen.

Nach Einschätzung der Forscher wird die Möglichkeit, derartige dreidimensionale analytisch-mikroskopische Untersuchungen mit konventionellen Laborgeräten durchzuführen, bei Wissenschaftlern in der biologischen und pharmazeutischen Forschung auf großes Interesse stoßen. Die Tübinger Geowissenschaftler Martin Obst und Marcus Nowak selbst werden die Methode in der Umweltforschung und der Vulkanologie anwenden.

So untersucht Martin Obst beispielsweise im Schwarzwald, wie sich in sogenannten Biofilmen Metalle aus Bergbauabwässern anreichern. Diese Biofilme bestehen aus bis zu zentimeterdicken Schichten von Mikroorganismen und bilden sich fast überall dort, wo Wasser in Bergwerksstollen austritt. Marcus Nowak untersucht die räumliche Verteilung von gelöstem Wasser und Kohlendioxid in vulkanischen Gläsern, um Erkenntnisse über Entgasungsprozesse während vulkanischer Eruptionen zu erlangen.

Originalpublikation:
Quaroni L., Obst M., Nowak M., Zobi F.: Three-Dimensional Mid-Infrared Tomographic Imaging of Endogenous and Exogenous Molecules in a Single Intact Cell with Subcellular Resolution. Angewandte Chemie International Edition. Online-Vorabveröffentlichung am 13. November 2014, DOI: 10.1002/anie.201407728

Kontakt:
Dr. Martin Obst
Universität Tübingen
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät,
Fachbereich Geowissenschaften – AG Umweltanalytische Mikroskopie
Telefon: +49 – 07071 29-74701
martin.obst[at]uni-tuebingen.de

Media Contact

Antje Karbe idw - Informationsdienst Wissenschaft

Weitere Informationen:

http://www.uni-tuebingen.de/

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neue universelle lichtbasierte Technik zur Kontrolle der Talpolarisation

Ein internationales Forscherteam berichtet in Nature über eine neue Methode, mit der zum ersten Mal die Talpolarisation in zentrosymmetrischen Bulk-Materialien auf eine nicht materialspezifische Weise erreicht wird. Diese „universelle Technik“…

Tumorzellen hebeln das Immunsystem früh aus

Neu entdeckter Mechanismus könnte Krebs-Immuntherapien deutlich verbessern. Tumore verhindern aktiv, dass sich Immunantworten durch sogenannte zytotoxische T-Zellen bilden, die den Krebs bekämpfen könnten. Wie das genau geschieht, beschreiben jetzt erstmals…

Immunzellen in den Startlöchern: „Allzeit bereit“ ist harte Arbeit

Wenn Krankheitserreger in den Körper eindringen, muss das Immunsystem sofort reagieren und eine Infektion verhindern oder eindämmen. Doch wie halten sich unsere Abwehrzellen bereit, wenn kein Angreifer in Sicht ist?…

Partner & Förderer