Neue Adern brauchen Druck

Im Randbereich der Netzhaut einer Maus bilden sich neue Kapillarschleifen. Bild: Véronique Gebala.

Mit zeitlich hochaufgelösten Bildern hat die Arbeitsgruppe um Prof. Holger Gerhardt am MDC erstmals im Detail gezeigt, wie sich Blutkapillaren neu bilden: der Blutdruck presst die Zellmembran von Gefäßzellen nach innen, daraus wächst ein zusammenhängender Gefäßschlauch heran.

Die Zelle dirigiert den Prozess mit Hilfe der Fasern ihres Zellskeletts. Die Ergebnisse der Arbeit in Nature Cell Biology könnten helfen, die Angiogenese während der Embryonalentwicklung und bei Erkrankungen wie Krebs zu verstehen. Auch für die Störung der Gefäßbildung bei Diabetes könnte der Prozess eine Rolle spielen.

Die Forscherteams um Prof. Holger Gerhardt am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH), Deutschen Zentrum für Herz-Kreislaufforschung (DZHK) und am Flämischen Institut für Biotechnologie (VIB) in Belgien haben ein völlig neues Konzept der Neubildung von feinsten Kapillaren entdeckt.

Bekannt war, dass zunächst neue Zellen aus der Wand eines vorhandenen Blutgefäßes in die Umgebung sprießen. Wie genau sich anschließend der innere Hohlraum bildet, durch den später das Blut fließt, war bislang allerdings unklar.

Gerhardts Team nutzt modernste Konfokalmikroskopie und lebende Zebrafischembryonen, deren Gefäßzellen genetisch mit fluoreszierenden Proteinen markiert werden. Die Forscher beobachteten unter dem Mikroskop, wie der Blutdruck eine Einstülpung in die Gefäßsprosse presst und sie weiter vorantreibt. Die Zelle dirigiert den Prozess mit Proteinfasern aus Actin und Myosin. So wächst der Hohlraum der neuen Kapillare immer nur an der Spitze weiter.

Kapillaren werden gebildet, wenn neue Gewebeabschnitte mit Sauerstoff und Nahrung versorgt werden sollen: bei der Embryonalentwicklung oder der Wundheilung. Auch schnell wachsende Krebsgeschwüre lassen Gefäße sprießen, aber: „Die Gefäße in Tumoren sind nicht normal. Sie sind undicht und können den Gefäßdurchmesser häufig nicht kontrollieren“, sagt die Doktorandin und Erstautorin Véronique Gebala. Nicht nur für das Verständnis von Krebs sind die neuen Ergebnisse bedeutend.

„Wenn die Gefäßbildung wirklich so stark von der Hydrodynamik des Blutes abhängt, was bedeutet das für physiologische Blutdrucksituationen?“ fragt Gruppenleiter Gerhardt. Bei Diabetikern werden zum Beispiel die Gefäße der Netzhaut im Auge abgebaut, die natürlicherweise von starken Blutdruckschwankungen betroffen sind.

Inwieweit der neu entdeckte Mechanismus der Gefäßbildung für diese Krankheitsbilder mitverantwortlich ist, gilt es nun herauszufinden, sagt Gebala: „Der nächste logische Schritt ist die Untersuchung pathologischer Situationen.“

Holger Gerhardt ist Forschungsgruppenleiter am MDC und hat eine BIH-Professur für Experimentelle Herz-Kreislaufforschung an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, sowie eine DZHK-Professur.

Véronique Gebala1,3, Russell Collins1,3, Ilse Geudens2, Li-Kun Phng2,4, Holger Gerhardt1,2,3,5,6 (2016): „Blood flow drives lumen formation by inverse membrane blebbing during angiogenesis in vivo.“ Nature Cell Biology. doi:10.1038/ncb3320
1 Vascular Biology Laboratory, Cancer Research UK London Research Institute, London, Vereinigtes Königreich; 2 Vascular Patterning Laboratory, Vesalius Research Center, VIB, Department of Oncology, Katholische Universität Leuven, Belgien; 3 Derzeitige Adresse: Integrative Vaskuläre Biologie, Max-Delbrück Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC), Berlin; 4 Derzeitige Adresse: Abteilung für Zellbiologie, National Cerebral and Cardiovascular Center Research Institute, Osaka, Japan; 5 Deutsches Zentrum für Herz-Kreislaufforschung (DZHK), Standort Berlin; 6 Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH), Berlin

Li-Kun Phng und Holger Gerhardt haben gleichermaßen zur Arbeit beigetragen.

Weitere Informationen:

https://insights.mdc-berlin.de/de/2016/02/neue-adern-spriessen-unter-druck/ — Ausführlicher Artikel zum Thema

Media Contact

Josef Zens Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Ideen für die Zukunft

TU Berlin präsentiert sich vom 22. bis 26. April 2024 mit neun Projekten auf der Hannover Messe 2024. Die HANNOVER MESSE gilt als die Weltleitmesse der Industrie. Ihr diesjähriger Schwerpunkt…

Peptide auf interstellarem Eis

Dass einfache Peptide auf kosmischen Staubkörnern entstehen können, wurde vom Forschungsteam um Dr. Serge Krasnokutski vom Astrophysikalischen Labor des Max-Planck-Instituts für Astronomie an der Universität Jena bereits gezeigt. Bisher ging…

Wasserstoff-Produktion in der heimischen Garage

Forschungsteam der Frankfurt UAS entwickelt Prototyp für Privathaushalte: Förderzusage vom Land Hessen für 2. Projektphase. Wasserstoff als Energieträger der Zukunft ist nicht frei verfügbar, sondern muss aufwendig hergestellt werden. Das…

Partner & Förderer