Muschelschalen in Plattenbauweise

Werkstoffwissenschaftler der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben erstmals nachgewiesen, dass Perlmutt in Muschelschalen nicht in einem klassischen Kristallisationsprozess, sondern durch Anlagerung von Nanopartikeln in einer organischen Gerüstmatrix gebildet wird.

Das könnte den Weg ebnen für ein besseres Verständnis über den Aufbau von Biomineralien und die Entwicklung neuartiger Hochleistungskeramiken. Die Erkenntnisse der Forschungsgruppe um Prof. Dr. Stephan E. Wolf wurden in der aktuellen Ausgabe der renommierten „Nature Communications“ veröffentlicht*.

Spezielle Mikroskopie-Technik

Um der Struktur von Perlmutt auf den Grund zu gehen, haben Wolf und sein Team eine besondere Technik angewandt: Aus der Schale einer 60 Zentimeter großen Pinna nobilis, einer im Mittelmeer beheimateten Steckmuschelart, schnitten sie mit einem Diamantdraht einen Keil, polierten ihn mit einem neuartigen Schleifmittel und untersuchten ihn unter einem Rastertransmissionselektronenmikroskop.

„Die Keil-Polier-Technik haben wir von der Halbleiterindustrie abgeschaut.“, erklärt Stephan Wolf. „Das Verfahren ermöglicht die Abbildung extrem großflächiger Bereiche, wie sie uns vorher nur schwer zugänglich waren.“

Klassisches Modell widerlegt

Die hochauflösenden Bilder des Rastertransmissionselektronenmikroskops zeigten einen sehr heterogenen Aufbau – von unregelmäßig geformten Calcit-Prismen auf der Außenseite über eine organische Schicht in der Mitte bis hin zum glatten Perlmutt im Inneren der Schale.

„Besonders interessant ist der Übergang von der organischen zur Perlmuttschicht“, sagt Stephan Wolf. „Hier finden wir erste Nanopartikel mit einer Größe zwischen 50 und 80 Nanometer, die sich zum Schaleninneren hin immer mehr aggregieren und zu Perlmuttplättchen verschmelzen, bis sie schließlich das hochgeordnete Perlmutt bilden, wie wir es alle kennen.“

Plattenbauweise in der Natur

Damit haben die Erlanger Forscher erstmals den Nachweis erbracht, dass sich Perlmutt nicht – wie lange angenommen – durch klassische Kristallisationsprozesse bildet, bei denen sich Atome bzw. Ionen in gesättigten Lösungen sukzessive ablagern, sondern durch eine Aggregation vorgefertigter Nanokristalle.

Stephan Wolf: „Würde man den Wachstumsprozess von Perlmutt bildlich auf den Bau von Häusern übertragen, dann bedient sich die Muschel einer Art Plattenbau, während die klassische Kristallisation mit dem Mauern einzelner Steine vergleichbar wäre.“

Hochfeste Struktur

Die Kalziumkarbonat-Nanopartikel lagern sich zu kristallinen Aragonit-Plättchen zusammen. Sie bilden die Grundlage des Perlmutts und verursachen sein typisches Schillern. „Die einzelnen, etwa 350 bis 500 Nanometer dicken Plättchen sind in organische Layer eingebettet, die sie wie Zement zusammenhalten“, erklärt Stephan Wolf.

„Dass diese Schichtstruktur wiederum aus kleineren Partikeln aufgebaut ist, die ebenfalls organisches Material einschließen, hat einen wesentlichen Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften der Muschelschale. Ein vergleichbares, aus einzelnen Ionen kristallisiertes Material würde viel schneller zerbrechen.“

Vorbild für neuartige Keramiken

Momentan arbeiten die Materialwissenschaftler der FAU daran, die Kristallisation aus Nanopartikeln im Labor nachzubilden – mit dem Ziel, neuartige Hochleistungskeramiken nach dem Vorbild der Natur zu entwickeln. Wolf: „Dabei haben wir nicht nur Form und Festigkeit der Werkstoffe im Blick, sondern auch den energetischen Vorteil – schließlich entsteht Perlmutt nicht im Brennofen, sondern in kaltem Meereswasser.“

*doi: 10.1038/ncomms10097

Ansprechpartner für die Medien:
Prof. Dr. Stephan E. Wolf
Tel.: 09131/85-27565
stephan.e.wolf@fau.de

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Dr. Susanne Langer idw - Informationsdienst Wissenschaft

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