Moose im Kälteschlaf

Für die Lebenswissenschaften werden die sichere langfristige Lagerung von lebenden Materialien wie Zellen oder ganzen Organismen sowie deren weltweiter Austausch zwischen interessierten Forschungsgruppen immer wichtiger. Die Universität Freiburg unterstützt diesen freien Materialaustausch nun durch die Einrichtung eines internationalen Zentrums für die Forschung mit Moosen.

Die rasanten Fortschritte in den modernen Lebenswissenschaften beruhen auf der Untersuchung und der Veränderung von einzelnen Zellen, Organen oder ganzen Organismen. Dabei ändern die Forscher nicht nur ganz gezielt einzelne Gene, sondern untersuchen auch natürlich vorkommende Varietäten in Mutanten oder erforschen die genetische Vielfalt, die die Evolution zur Verfügung gestellt hat, in sogenannten Ökotypen.

Ihre neuen Erkenntnisse verbreiten die Forscher dann international in wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Um diese Experimente unabhängig überprüfen zu können, sind andere Wissenschaftler darauf angewiesen, exakt dieselben lebenden Materialien in ihren eigenen Laboren untersuchen zu können. Zur Förderung dieses freien Austauschs verlangen immer mehr Fachzeitschriften, dass die in einer neuen Publikation beschriebenen Zelllinien und Organismen in einem internationalen Ressourcenzentrum hinterlegt werden – und zwar in lebender Form. Die Universität Freiburg schließt nun eine Lücke in diesem System der dezentralen Ressourcenzentren und eröffnet ein „International Moss Stock Center (IMSC)“ in ihren Räumen.

Neben den sehr gut untersuchten Samenpflanzen führten die Moose lange Zeit ein Schattendasein in den Laboren der Molekularbiologen. Nicht zuletzt durch die Arbeiten Freiburger Wissenschaftler um den Biologen Prof. Dr. Ralf Reski änderte sich dies in den letzten Jahren, so dass das Kleine Blasenmützenmoos Physcomitrella patens inzwischen als Modellsystem für die Systembiologie wie auch die Synthetische Biologie weltweit Beachtung findet. So entschlüsselten die Freiburger Wissenschaftler in einem internationalen Konsortium vor zwei Jahren das komplette Genom dieses Mooses und entdeckten kürzlich mithilfe von sogenannten Knockout-Moosen einen neuen Mechanismus der Genregulation.

Schon vor über zehn Jahren entwickelten Reski und Mitarbeiter in einer Kooperation mit der BASF AG ein Verfahren, genetisch veränderte Moose dauerhaft zu lagern. Sie versetzen die Pflänzchen mithilfe von flüssigem Stickstoff in den Kälteschlaf. „Wir haben inzwischen eine langjährige Erfahrung mit der von uns entwickelten Kryokonservierung von Moosen. Auch nach über zehn Jahren Lagerung können wir die eingefrorenen Proben wieder auftauen und zu neuem Leben erwecken“, sagt Reski. Ausfälle gäbe es bisher keine, so dass die Freiburger Wissenschaftler ihre Ressourcen und Know-how der wissenschaftlichen Gemeinschaft jetzt als Dienstleistung zur Verfügung stellen können.

Der Sprecher der Freiburger Initiative für Systembiologie (FRISYS), der Genetiker Prof. Dr. Wolfgang R. Hess, ergänzt: „Physcomitrella hat sich in den letzten Jahren zu einem international hoch anerkannten Modellsystem der pflanzlichen Systembiologie entwickelt, weshalb wir die Gründung des IMSC mit Nachdruck begrüßen und unterstützen.“

Da Moose aber auch in der Biotechnologie als Produzenten für komplexe Biopharmazeutika, dem sogenannten „Molecular Farming“, eine immer größere Rolle spielen, betont Reski: „Durch unsere Kooperationen mit verschiedenen Firmen kennen wir deren speziellen Bedürfnisse. Deswegen bietet das IMSC auch die professionelle Lagerung von kommerziell wichtigen Moos-Linien, wie zum Beispiel Master Cell Banks (MCBs), an.“

Finanziell getragen wird das IMSC nicht nur von Reskis Lehrstuhl für Pflanzenbiotechnologie sondern auch von dem Freiburger Zentrum für biologische Signalstudien (BIOSS).

Kontakt:
Prof. Dr. Ralf Reski
Universität Freiburg, Fakultät für Biologie
Lehrstuhl Pflanzenbiotechnologie
Tel.: 0761/203-6968
Fax: 0761/203-6967
E-Mail: pbt@biologie.uni-freiburg.de

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Rudolf-Werner Dreier idw

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