Molekularbiologe etabliert "chemische Genetik" zur Steuerung von Pflanzenhormonen

Auf der Suche nach chemischen Substanzen, die diesen Signalweg gezielt beeinflussen können, etabliert er eine Screening-Plattform die das Testen tausender verschiedener Moleküle ermöglicht. Gefördert wird das Projekt vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF).

Strigolaktone sind Pflanzenhormone, die erstmals beim Befall des pflanzlichen Parasits „Striga“ entdeckt wurden. Nur Pflanzen, die Strigolaktone bilden, werden von den Parasiten befallen und zugrunde gerichtet. Strigolaktone ermöglichen es Pflanzen darüber hinaus, mit Pilzen Symbiosen eingehen zu können, um dadurch um zusätzliche Nährstoffe aus dem Boden aufzunehmen. Die dritte derzeit bekannte Wirkung erzielen Strigolaktone bei der Ausbildung von Sprossverzweigungen. Hemmt man die Bildung des Strigolakton-Hormon, steigt die Zahl der Sprossverzweigungen im Experiment.

Eine gezielte Steuerung aller drei bekannten Wirkungen der Strigolaktone hätte hohes Potential in landwirtschaftlichen Anwendungen. Gerade in Ländern mit Lebensmittelknappheit könnte Parasitenbefall verhindert und der Ertrag erhöht werden. Weiters ist die Verzweigungsrate von Kulturpflanzen ein wichtiges Züchtungsmerkmal, das Quantität und Qualität der Ernte massiv beeinflusst.

Auf der Suche nach einer Substanz mit gezielter Wirkung

„Wir wollen Substanzen finden, die die Strigolakton-Wirkung entweder blockieren oder anregen, um sie danach gezielt je nach Bedarf einzusetzen“, beschreibt Tobias Sieberer das interdisziplinäre Projekt, das vom WWTF gefördert wird. Sieberer und seine Projektpartner Gang Dong von den Max F. Perutz Laboratories und Gerhard Ecker vom Department für medizinische Chemie der Universität Wien wählen einen innovativen Ansatz: Virtuelles und reelles „High-throughput Screening“ einer Vielzahl an chemischen Substanzen. Gang Dong ist Strukturbiologe und wird die 3D-Struktur der Proteine des Strigolakton-Biosynthesewegs aufklären. In Gerhard Eckers virtueller Datenbank von 3D- Strukturen bekannter kleiner Moleküle werden die Proteinmodelle auf mögliche Inhibitoren durchsucht. Mit dieser eingeschränkten Auswahl an strukturell passenden Inhibitor-Kandidaten werden im Anschluss weitere Funktionstests in der Modellpflanze Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand) gemacht.

Ein zweiter Ansatz zur Suche nach Wirkstoffen wird mit Hilfe der Arabidopsis-Pflanze durchgeführt. „Das Projekt ermöglicht die Anschaffung einer chemischen Bibliothek mit über 30.000 strukturell unterschiedlichen Molekülklassen. Wir lassen die Pflanzen in Gegenwart je einer dieser Substanzen unter Laborbedingungen wachsen“, erläutert der Pflanzenforscher seinen Teil des Projektes. Die Labor-Version der Ackerschmalwand trägt ein so genanntes Reportergen. Beeinflusst die chemische Substanz die Strigolaktone in der Pflanze, dann gibt das Reportergen ein Zeichen ab, die Pflanze fluoresziert.

Bakterium hilft bei Pflanzenforschung

Auch das Bakterium Escherichia coli machen sich die Wissenschafter auf ihrer Suche nach der Substanz zur Strigolakton-Steuerung zu Nutze. Ein Laborstamm des Bakteriums produziert Betakarotin, ein Farbstoff der u.a. in Karotten vorkommt, und wächst daher als orange Kolonie. Mit Hilfe molekularbiologischer Techniken bringen die Forscher die Proteine der Strigolakton-Biosynthese in das Bakterium ein. Sind die Proteine aktiv, erkennen sie das Betacarotin als Substrat und bauen es ab und die Escherichia coli-Kolonien bleiben farblos. Nun testen die Forscher wieder verschiedene chemische Substanzen in Gegenwart der Bakterien. Inhibitor-Moleküle der Strigolakton-Biosynthese sind an den deutlich orangen Kolonien zu erkennen, denn die Aktivität der Biosyntheseproteine ist durch die chemische Substanz unterdrückt, die Bakterien häufen wieder Betakarotin an und werden orange.

Ergebnisse des interdisziplinären Projekts für Grundlagenforschung und Anwendung wichtig

Das Projekt ermöglicht somit die Etablierung der österreichweit ersten akademischen Einrichtung, die die Anwendung einer solch umfassenden chemischen Bibliothek erlaubt. In pharmazeutischen Unternehmen sind Bibliotheken dieser Art routinemäßig für die Medikamentensuche in Verwendung. Für ForscherInnen in öffentlichen Einrichtungen ist deren Nutzung jedoch kostenintensiv und erzielte Forschungsergebnisse unterliegen komplizierten Patentbestimmungen. „Unsere Datenbank soll interessierten Wissenschaftern aus dem Wiener Raum in Form von Kooperationen zur Verfügung stehen“, erläutert Sieberer die Möglichkeit auch viele andere Modellorganismen mit dieser Bibliothek zu erforschen. Ergebnisse dieser „chemischen Genetik“ dienen sowohl der Grundlagenforschung als auch der angewandten Forschung. Im Falle des Strigolakton-Projekts bedeutet dies, dass die gefundenen Inhibitoren zur weiteren Erforschung der Grundmechanismen der Biosynthese und Signalweiterleitung des Hormons eingesetzt werden. Aber auch in der angewandten Forschung kann so ein Weg gesucht werden, um mit den Substanzen gezielt den Verzweigungsgrad der Sprossen oder etwa der Infektionsrate von Parasiten zu beeinflussen.

Pflanzenforschung in Wien stärken

Tobias Sieberer, geboren 1972 in Amstetten, studierte Genetik an der Universität Wien und promovierte 2003 im Fach Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur. Mit der Unterstützung eines Erwin-Schrödinger-Stipendiums des FWF und eines EMBO-Langzeit-Stipendiums verbrachte er seinen Post-Doc-Aufenthalt an der Universität von York, Großbritannien. 2007 kehrte er als selbstständiger Gruppenleiter an die Max F. Perutz Laboratories zurück, wo er seine Stelle durch ein APART-Habilitationsstipendium der Akademie der Wissenschaften finanziert. „Molekulare Pflanzenwissenschaften haben im angelsächsischen Raum und den Benelux Staaten große Tradition, in Österreich befinden sie sich gerade erst im Aufbau. Hier mitzuwirken und den Standort Wien zu prägen, ist sehr spannend“, bekräftigt Sieberer das Potenzial Wiens als internationalen Spitzen-Standort für sein Forschungsfeld. Eine unterstützende Rolle schreibt er hier der Förderlandschaft Österreichs und besonders dem WWTF zu. „Mit dem WWTF haben wir eine äußerst attraktive Förderinstitution in Wien, die speziell auch den Brückenschlag zwischen Grundlagenforschung und mittelfristiger Anwendung unterstützt“. Wünschen würde er sich jedoch auch längerfristige Projektförderungen und insbesondere die Einführung eines „tenure track“-Systems für Nachwuchsforscher in Österreich die – so wie Sieberer selbst – ihre eigene Gruppe aufbauen und sich international etablieren.

Die Max F. Perutz Laboratories sind ein 2005 gegründetes Joint-Venture der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien am Campus Vienna Biocenter. Diese inter-universitäre Kooperation ist ein neuer und innovativer Ansatz um Forschung und Lehre an beiden Universitäten zu stärken. Am Institut in der Bohr-Gasse forschen 60 Arbeitsgruppen im Bereich Molekularbiologie. Seit 2007 leitet der Biochemiker Graham Warren das Institut. www.mfpl.ac.at

Rückfragehinweis:
Dr. Tobias Sieberer
Max F. Perutz Laboratories
Department für Mikrobiologie, Immunbiologie
und Genetik der Universität Wien
1030 Wien, Dr. Bohr-Gasse 9
T +43-1-4277-749 37
tobias.sieberer@univie.ac.at
Pamela Paulic
Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien
1010 Wien, Dr.-Karl-Lueger-Ring 1
T +43-1-4277-175 31
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