Das Molekül mit den vielen Eigenschaften

Hydrogele sind den meisten schon einmal begegnet: In natürlicher Form als Qualle am Strand oder als synthetische Flüssigkeitsspeicher in Babywindeln. Diese Netzwerke aus natürlichem Material oder Kunststoffen zeichnen sich durch eine hohe Elastizität aus und sind mit Wasser gequollen. Gele können sehr klein sein: Mikrogele messen teilweise nur 100 Nanometer. In diesem Maßstab reagieren die weichen, vernetzten Polymerteilchen besonders schnell.

Mikrogele lassen sich mit spezifischen Funktionen ausstatten und können Schadstoffe aufnehmen oder Wirkstoffe gezielt freisetzen. Auf einer entsprechenden Struktur aufgebracht machen sie sich als Membranfilter nützlich oder fungieren als Sensor. Dieses Potenzial im Nanomaßstab auszuschöpfen, stellt für die Wissenschaft eine große Herausforderung dar, denn die Entwicklung interaktiver und „intelligenter“ Systeme, wie sie für lebende Organismen charakteristisch sind, können bisher synthetisch nicht erreicht werden. „In unserem interdisziplinären Forschungsverbund wollen wir solche natürlichen Strukturen nachbauen und in entsprechende Systeme einbetten“, erläutert Univ.-Prof. Dr. rer.nat. Walter Richtering.

Interdisziplinäre Teams

Prof. Richtering, Leiter des Instituts für Physikalische Chemie, ist Sprecher des Sonderforschungsbereichs (SFB) „Funktionelle Mikrogele und Mikrogelsysteme“. In diesem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) seit Juli 2012 geförderten Projekt arbeiten Vertreter der Natur- und Ingenieurwissenschaften gemeinsam. Die Interdisziplinarität gehört zwar zu den Grundvoraussetzungen eines SFB, doch Prof. Richtering war es wichtig, dies zusätzlich in der Struktur zu verankern: „Die Wissenschaftler sollen nicht parallel, sondern täglich gemeinsam arbeiten, daher haben wir alle Projektteams fächerübergreifend besetzt.“ Auf diese Weise werden zum Beispiel Physiker und Verfahrenstechniker oder Chemiker und Mediziner eine Themenstellung bearbeiten. Spezielle technische Lösungen, wie ein eigens eingerichteter SharePoint und ein virtuelles Proben- und Datenmanagement, ermöglichen allen den Zugriff sowie den standortunabhängigen Austausch. „Wir werden dazulernen und uns mit der Sprache der anderen Disziplinen auseinandersetzen müssen“, sagt Prof. Richtering.

„Doch das ist machbar, schließlich gehört die enge und erfolgreiche Zusammenarbeit von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren zu den besonderen Merkmalen der RWTH. Dazu können wir auf die Kompetenzen des An-Instituts DWI-Interactive Materials Research zurückgreifen und kooperieren mit dem Forschungszentrum Jülich.“

In insgesamt 17 Teilprojekten, die in den Polymerwissenschaften, der Verfahrenstechnik und den Lebenswissenschaften angesiedelt sind, werden die Forscher des SFB komplexe Mikrogele designen, sie mit unterschiedlichen Funktionen ausstatten und diese in neue Anwendungssysteme integrieren. Das ist in erster Linie eine Aufgabe der Grundlagenforschung, die aber stets eine mögliche Umsetzung im technischen Maßstab sowie nachhaltige Herstellungsprozesse im Blick hat. Dabei nimmt neben den experimentellen Prozessen im Labor die Simulation mit Hochleistungscomputern einen wichtigen Stellenwert ein.

Sanfte Entgiftung
Die Aachener Wissenschaftler arbeiten zum Beispiel an einem Mikrogel, das sich bei der Behandlung von Durchfallerkrankungen nützlich machen soll. Die für die Beschwerden verantwortlichen Bakterien setzen schädliche Toxine im Darm frei und werden in der Regel mit Antibiotika bekämpft. Ein neues Mikrogel könnte die Heilung beschleunigen: Ausgestattet mit speziellen Rezeptoren als Andockstationen sollen die Toxine direkt gebunden und dadurch unschädlich gemacht werden. Anschließend verlassen sie mit dem Mikroschwamm den Körper.
Um aus diesem Plan ein funktionierendes Medikament zu machen, sind zahlreiche fachübergreifende Lösungen nötig: Chemiker „bauen“ das Mikrogel, Mediziner und Biotechnologen suchen nach möglichen Bindungen für die Toxin-Rezeptoren während Physiker erforschen, wie sich der beladene Nanoschwamm bewegt. Die Produktion solcher funktionalen Stoffe in einem für die therapeutische Anwendung relevanten Maßstab klären schließlich die Verfahrenstechniker.

Vom Seed Fund zum SFB
Als die DFG den SFB im Frühjahr 2012 genehmigte, lag eine intensive Vorbereitungszeit hinter den Wissenschaftlern. Dabei unterstützte die Hochschule die ersten Studien mit Hilfe der „Seed Fund“- und „Pathfinder“-Förderung. Diese Instrumente wurden im Rahmen des ersten Zukunftskonzepts der RWTH mit Mitteln der Exzellenzinitiative implementiert. Sie unterstützen vielversprechende und interdisziplinäre Forschungsprojekte in einem frühen Stadium.
Aus der Summe der Vorarbeiten erwuchs 2010 das erste Konzeptpapier. Eine Begutachtungsrunde und eine Vor-Ort-Begehung später kam dann der Zuschlag. Die Fördersumme für die ersten vier Jahre beträgt knapp 10,5 Mio. Euro. Damit können 33 Doktoranden und fünf Postdocs beschäftigt werden. Bei entsprechender positiver Evaluation beträgt der maximale Förderzeitraum 12 Jahre.
In den Aachener SFB ist ein Graduiertenkolleg integriert, in dem die Mitarbeiter in Seminaren, Vorträgen und Sommerschulen fortgebildet werden.

Sabine Busse
Weitere Informationen:
Univ.-Prof. Dr. rer.nat. Walter Richtering
Institut für Physikalische Chemie
Telefon: 0241 80 94761
E-Mail: richtering@rwth-aachen.de

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Thomas von Salzen idw

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