Medizin aus Moos
Diabetiker benutzen in Bakterien produziertes Insulin zur Behandlung ihrer Stoffwechselstörung. Auch sonst sind gentechnisch hergestellte Proteine in der Medizin auf dem Vormarsch: Sie werden sowohl in der Diagnose als auch in der Therapie eingesetzt. Früher wurde Insulin aus Schlachthausabfällen gewonnen, heute wird es gentechnisch in Bakterien produziert.
Komplexere Proteine müssen jedoch in komplexeren Organismen synthetisiert werden. Dies geschieht meistens in Bioreaktoren mit tierischen Zelllinien. Alternativ hierzu entwickelt der Freiburger Biotechnologe Prof. Dr. Ralf Reski das Kleine Blasenmützenmoos Physcomitrella patens zu einem sicheren und kostengünstigen Medizinlieferanten.
Nun gelang es seiner Gruppe unter Leitung von Dr. Eva Decker erstmals, im Moosbioreaktor ein menschliches Protein zu produzieren, dessen Fehlen bei 50 Millionen Menschen zu altersbedingter Blindheit führt. Es bekam von den zuständigen EU Behörden den Status eines Arzneimittels für seltene Leiden zugesprochen. Dieser offizielle „orphan drug“-Status bedeutet, dass Entwicklung und Zulassung solcher Arzneimittel behördlich besonders gefördert werden. Bei vielen Menschen nimmt die Menge dieses Proteins im Alter ab – mit schwerwiegenden Konsequenzen. „Mit dem Komplementfaktor H haben wir im Moos ein Protein produziert, das sonst im Blut vorkommt und wichtig ist für das Immunsystem“, sagt Eva Decker. „Eine zu geringe Menge dieses Proteins bei älteren Menschen ist die Hauptursache der altersabhängigen Makuladegeneration (AMD), die besonders in Industrieländern ein Problem ist.“
Biochemiker vom Freiburger Zentrum für Biosystemanalyse um Dr. Andreas Schlosser zeigten mithilfe von Hochleistungs-Massenspektrometern, dass der vom Moos produzierte Faktor H vollständig vorliegt. Infektionsbiologen vom Hans-Knöll-Institut in Jena um Prof. Dr. Peter F. Zipfel wiesen nach, dass Faktor H aus Moos im Biotest voll funktionstüchtig ist. „Da es Faktor H gegenwärtig nicht in der Apotheke zu kaufen gibt, ist eine Behandlung der AMD mit diesem Protein nicht möglich“, sagt Peter Zipfel. „Bisher konnte man Faktor H kaum gentechnisch produzieren. Ich bin überzeugt, dass der Moosbioreaktor hierfür erstmals eine interessante Option bietet.“
„Es wird aber noch dauern, bis es Medikamente aus Moos in der Apotheke zu kaufen gibt“, sagt Ralf Reski, Mitglied im Innovationsrat Baden-Württemberg. „Mit Methoden der Systembiologie und der Synthetischen Biologie optimieren wir den Moosbioreaktor weiter. Die Durchführung klinischer Studien und der Aufbau einer industriellen Produktion sind jedoch langwierig und teuer. Deshalb sind sie Aufgabe von Unternehmen, nicht der universitären Forschung.“
Die Arbeiten wurden gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Freiburger Initiative für Systembiologie und dem Exzellencluster BIOSS.
Der Titel der Originalveröffentlichung lautet: Annette Büttner-Mainik, Juliana Parsons, Hanna Jérôme, Andrea Hartmann, Stephanie Lamer, Andreas Schaaf, Andreas Schlosser, Peter F. Zipfel, Ralf Reski, Eva L. Decker (2010): Production of biologically active recombinant human Factor H in Physcomitrella. Plant Biotechnology Journal, doi: 10.1111/j.1467-7652.2010.00552.x.
Kontakt:
PD Dr. Eva Decker
Pflanzenbiotechnologie
Fakultät für Biologie, Universität Freiburg
Tel.: 0761-203-6968
pbt@biologie.uni-freiburg.de
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