Medikamente aus der CLOUD: Neuer Standard für die Suche nach Wirkstoffkombinationen

CLOUD Schema (c) Nature Chemical Biology / Stefan Kubicek

Zwei verschiedene Medikamente, gemeinsam eingenommen, wirken oft gänzlich anders als die einzelnen Substanzen – eine Tatsache, die auf Beipackzetteln häufig zu einer langen Liste von Warnhinweisen führt. Die Wechselwirkung der Wirkstoffe kann jedoch auch gezielt für neue Therapien genutzt werden, dabei lassen sich extrem zeitaufwendige und kostenintensive Zulassungsverfahren für neue Substanzen umgehen. Die richtige Kombination der über 30.000 zugelassenen pharmazeutischen Produkte für eine bestimmte Krankheit zu finden, war bisher jedoch eine enorme Herausforderung für die medizinische Forschung.

Hier gelang dem Team von Stefan Kubicek, Forschungsgruppenleiter am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, mit der Entwicklung der CLOUD-Wirkstoffsammlung ein entscheidender Durchbruch: Die nur 308 Substanzen der CLOUD repräsentieren das komplette Wirkungsspektrum und die strukturelle Bandbreite aller zugelassenen Medikamente.

Deren Potential hat sich bereits in einer ersten Studie, veröffentlicht in Nature Chemical Biology (DOI:10.1038/nchembio.2382) bestätigt: In der hochmodernen, vollautomatisierten chemischen Screeningplattform des CeMM gelang es, mit der CLOUD einen Synergieeffekt der zwei Wirkstoffe Flutamid und Phenprocoumon gegen Prostatakrebs nachzuweisen.

Für die Auswahl der Substanzen der CLOUD erarbeiteten die Wissenschaftler um Stefan Kubicek einen ausgeklügelten Selektionsprozess. Zunächst bestimmten und extrahierten sie 2171 einzigartige, pharmazeutisch aktive Substanzen, und verwarfen alle Produkte mit identischen Inhaltsstoffen.

Daraufhin entfernten sie große Biomoleküle wie z.B. Antikörper und Moleküle, die ihre biologischen Effekte nicht über Proteinbindung erzielen, nicht zur Krankheitsbehandlung oder nur äußerlich eingesetzt werden.

Mit den übrig bleibenden 954 systemisch aktiven kleinen Molekülen (die sog. „STEAM“-Sammlung) begann dann der wichtigste Auswahlprozess: Um die komplette Sammlung auf einer Standardanalyseplatte mit 384 Positionen unterzubringen, gruppierten die Wissenschaftler alle Moleküle der STEAM-Sammlung mit bekanntem Bindungspartner nach biologischer Aktivität und chemischer Struktur. Daraus resultieren 176 Gruppen, von denen viele durch ein einziges Molekül repräsentiert werden können, da sich die Aktivität und Struktur der Substanzen innerhalb der Gruppe stark ähneln.

Mit einem speziellen Algorithmus wurden so 239 repräsentative Substanzen ausgewählt – zusammen mit 34 Molekülen, deren Bindungspartner unbekannt sind und 35 weiteren, die als „Prodrug“ ihre aktive Form sonst erst während des Stoffwechsels erlangen, ergaben sich die 308 Substanzen der CLOUD.

Kubiceks Team, mit Marco Licciardello als Erstautor der vorliegenden Studie, gelang es bereits, das Potential dieser Auswahl an Substanzen für die Entdeckung neuer Wirkstoffkombinationen zu beweisen. Paarweise wurden alle Substanzen der CLOUD miteinander kombiniert und in klinisch relevanter Konzentration auf KBM7 Leukämiezellen – einer für Experimente gut geeigneten Zelllinie – aufgetragen.

Dabei stellte sich die heraus, dass Flutamid, ein Therapeutikum gegen Prostata-Krebs, in Kombination mit dem Thrombosemittel Phenprocoumon (PPC) einen starken Synergieeffekt aufweist. Gemeinsam wurden die beiden Substanzen dann mit Prostatakrebszellen getestet, die gegen Flutamid allein resistent waren – mit durchschlagendem Erfolg: Die Wirkstoffkombination tötete die resistenten Krebszellen effektiv und gezielt ab.

Mit ihren Experimenten konnte Stefan Kubiceks Gruppe in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Universität Wien, der Uppsala University, Enamine Kiev und dem Max Planck Institut für Informatik in Saarbrücken zeigen, dass die CLOUD eine ideale Substanzsammlung für die Entdeckung neuer Wirkstoffkombinationen darstellt.

Darüber hinaus lassen sich damit viele andere pharmakologische Analysen mit hohem Durchsatz und in kurzer Zeit durchführen – eine Reihe weiterer CeMM-Entdeckungen wurden bereits mit der CLOUD gemacht. Für Stefan Kubicek ist das erst der Anfang: „Angesichts der bisherigen Erfolge halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass die Wirkstoffsammlung der CLOUD in Zukunft ein weltweiter Standard für alle möglichen Analyseverfahren wird“, so der Chemiker.

Bilder im Anhang:

1) Schematische Darstellung des CLOUD-Selektionsprozesses (© Nature Chemical Biology / Stefan Kubicek), 2) Immunofluoreszenz-Aufnahmen von Prostatakrebszellen, die mit 15mM Flutamide, 35 µM PPC oder der Kombination von beidem für 24 Stunden behandelt wurden. Maßstab 20 µM (© Nature Chemical Biology / Stefan Kubicek), 3) Studienleiter Stefan Kubicek (© CeMM/Sazel)

Die Studie „A combinatorial screen of the CLOUD uncovers a synergy targeting the androgen receptor“ erschien in der Zeitschrift Nature Chemical Biology vorab online am 22. Mai 2017. DOI:10.1038/nchembio.2382

Autoren: Marco P Licciardello, Anna Ringler, Patrick Markt, Freya Klepsch, Charles-Hugues Lardeau, Sara Sdelci, Erika Schirghuber, André C Müller, Michael Caldera, Anja Wagner, Rebecca Herzog, Thomas Penz, Michael Schuster, Bernd Boidol, Gerhard Dürnberger, Yasin Folkvaljon, Pär Stattin, Vladimir Ivanov, Jacques Colinge, Christoph Bock, Klaus Kratochwill, Jörg Menche, Keiryn L Bennett & Stefan Kubicek

Förderung: Die vorliegende Studie wurde von einem Marie Curie Career Integration Grant, dem Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, der Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung sowie dem Wissenschaftsfonds FWF gefördert.

Stefan Kubicek studierte organische Chemie in Wien und Zürich und promovierte in der Gruppe von Thomas Jenuwein am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien. Darauf folgte seine Arbeit als Postdoc bei Stuart Schreiber am Broad Insitute von Harvard und MIT im US-Amerikanischen Cambridge. 2010 begann er als Gruppenleiter am CeMM zu arbeiten. Er ist Leiter des Chemischen Screenings am CeMM, der Österreichischen Plattform für Chemische Biologie (PLACEBO) und des Christian Doppler Labors für Chemische Epigenetik und Antiinfektiva.

Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter der wissenschaftlichen Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Instituts befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. www.cemm.at 

Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an:

Mag. Wolfgang Däuble
Media Relations Manager

CeMM
Research Center for Molecular Medicine
of the Austrian Academy of Sciences
Lazarettgasse 14, AKH BT 25.3
1090 Vienna, Austria
Phone +43-1/40160-70 057
Fax +43-1/40160-970 000
wdaeuble@cemm.oeaw.ac.at

www.cemm.at

Media Contact

Mag. Wolfgang Däuble idw - Informationsdienst Wissenschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

KI-basierte Software in der Mammographie

Eine neue Software unterstützt Medizinerinnen und Mediziner, Brustkrebs im frühen Stadium zu entdecken. // Die KI-basierte Mammographie steht allen Patientinnen zur Verfügung und erhöht ihre Überlebenschance. Am Universitätsklinikum Carl Gustav…

Mit integriertem Licht zu den Computern der Zukunft

Während Computerchips Jahr für Jahr kleiner und schneller werden, bleibt bisher eine Herausforderung ungelöst: Das Zusammenbringen von Elektronik und Photonik auf einem einzigen Chip. Zwar gibt es Bauteile wie MikroLEDs…

Antibiotika: Gleicher Angriffspunkt – unterschiedliche Wirkung

Neue antimikrobielle Strategien sind dringend erforderlich, um Krankheitserreger einzudämmen. Das gilt insbesondere für Gram-negative Bakterien, die durch eine dicke zweite Membran vor dem Angriff von Antibiotika geschützt sind. Mikrobiologinnen und…

Partner & Förderer