Licht statt Strom

Die Funktionsweise des Gehirns zu verstehen, ist eine der komplexesten Herausforderungen der Wissenschaft. Ein wichtiger Aspekt ist die elektrische Reizleitung in Nervenzellen.

Um neuronale Schaltkreise zu untersuchen, wird üblicherweise eine spitze Metallelektrode in Hirngewebe eingestochen und Strom eingeleitet. Die erzeugte Antwort entspricht jedoch nicht dem sehr komplexen Aktivierungsmuster natürlicher Nervenstimuli. Zudem verursacht der eingeleitete Gleichstrom Schäden im Gewebe durch unerwünschte elektrochemische Nebenreaktionen.

Eine Gruppe von Neuro- und Nanomaterial-Wissenschaftlern der Case Western Reserve University (Cleveland, Ohio, USA) entwickelte nun eine Methode, die wesentlich schonender arbeitet und natürlichere Nervenimpulse erzeugt. Wie sie in der Zeitschrift Angewandte Chemie berichtet, basiert sie auf einer mit Halbleiter-Nanopartikeln beschichteten Mikropipette, die bei Anregung mit sichtbarem oder infrarotem (IR) Licht Neuronen in Hirngewebe aktiviert. Anders als konventionelle Elektroden benötigen diese Photoelektroden weder Verkabelung noch einen Stromerzeuger.

Das Team um Ben W. Strowbridge und Clemens Burda beschichtet hauchfein ausgezogene Glasmikropipetten von innen mit Bleiselenid-Nanopartikeln. Bleiselenid ist ein Halbleiter, der durch IR-Licht angeregt wird. Ähnlich wie bei Solarzellen „katapultiert“ die Bestrahlung fest gebundene Elektronen aus dem Valenzband in das so genannte Leitungsband des Halbleiters, in dem sie frei beweglich sind. So kommt es kurzzeitig zu einer Ladungstrennung und damit zu einer elektrischen Spannung.

Mit einem geeigneten Laser lassen sich definierte Folgen sehr kurzer Lichtpulse erzeugen, die dann die entsprechenden Spannungspulse in der Mikropipette auslösen. In der Umgebung der Pipette entsteht ein elektrisches Feld, mit dem die Forscher Neuronen in Proben von Rattenhirn mit hoher zeitlicher Auflösung stimulieren konnten. Mit Messelektroden ließen sich die natürlichen Aktivierungsmustern sehr ähnlichen Nervenimpulse aufzeichnen.

Proben aus dem Bulbus olfactorius (Gehirnregion, die an der Verarbeitung von Geruchseindrücken beteiligt ist) und dem Hippocampus (Teil des Großhirns, der unter anderem für die Überführung von Gedächtnisinhalten aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis wichtig ist) wurden untersucht. Dabei wurden weder toxische Wirkungen noch eine Beschädigung der Nervenzellen, auch nach wiederholten Stimulationen, beobachtet.

Mit Hilfe der neuen Photoelektroden lässt sich das Zusammenwirken von Nervenzellen erforschen. Aber auch eine therapeutische Nutzung ist denkbar: So ließen sich einzelne Hirnregionen oder beschädigte und durchtrennte Nerven aktivieren, um ihre Funktion wiederherzustellen – ohne lästige Kabel.

Angewandte Chemie: Presseinfo 08/2009

Autor: Clemens Burda, Case Western Reserve University, Cleveland (USA), http://www.case.edu/nanobook/pages/faculty/cburda.htm

Angewandte Chemie 2009, 121, No. 13, doi: 10.1002/ange.200806093

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Dr. Renate Hoer GDCh

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