Laute Nachbarn stören nicht! Evolutionäre Anpassung bei Pfeilgiftfröschen

Vier prominente Vertreter der artenreichen und lautstarken Pfeilgiftfroschfauna von Panguana, Peru. Im Uhrzeigersinn von links oben: Allobates femoralis, Ameerega picta, Ranitomeya lamasi und Ameerega hahneli. Bild: Universität Wien<br>

Wie soll sich da der richtige angesprochen fühlen? Pfeif- und Pfeilgiftfrösche in Peru haben eine Lösung gefunden: Jede Art reagiert ausschließlich in jenen Frequenzbereichen, die klar von den Rufen der Nachbararten abgegrenzt sind. WissenschafterInnen um Walter Hödl vom Department für Evolutionsbiologie der Universität Wien publizieren die Ergebnisse dieser Freilandstudie in der aktuellen Ausgabe der renommierten Zeitschrift „PNAS“.

Bei Tieren, die sich über Laute verständigen, hat die akustische Umgebung einen wesentlichen Einfluss auf die Evolution arteigener Signale – und darauf, wie und ob sie erkannt werden. Für die Kommunikation innerhalb der eigenen Art stellen naturgemäß die Lautäußerungen gleichzeitig aktiver Arten ein Problem dar. Das beeinflusst die Evolution akustischer Signale. Die einmalige Artendichte der „bunten Juwelen des Regenwaldes“ im peruanischen Schutzgebiet von Panguana ermöglichte es den ForscherInnen, den Einfluss synchron rufender Pfeilgiftfroscharten auf das Kommunikations- system bei Fröschen zu untersuchen.

Analyse des phonotaktischen Antwortverhaltens der Frösche

„Bisher haben sich akustische Freilandstudien vorwiegend mit den Sendern beschäftigt. Unser innovativer Ansatz war es, auch die Empfänger mit einzubeziehen“, sagt Walter Hödl, Tropen- und Evolutionsbiologe der Universität Wien. In 570 Rückspielversuchen wurde das phonotaktische Antwortverhalten territorialer Männchen auf modifizierte arteigene Balzlaute im Regenwald untersucht. Hödls Mitarbeiter Herbert Gasser erläutert: „Die bei Pfeilgiftfröschen verlässlich auslösbare Orientierung und Anwanderung an eine Schallquelle gab uns eindeutige Hinweise auf die Signalwahrnehmung und -erkennung bei den untersuchten Arten.“ Und genau darin liegt die entscheidende Erkenntnis.

Froschmännchen werben um ihre Weibchen mit artspezifischen Rufen

Im peruanischen Amazonasregenwald tummeln sich eine Pfeif- und neun Pfeilgiftfroscharten am Waldboden. In ihrer Fortpflanzungsperiode machen die tagaktiven Frösche lautstark auf sich aufmerksam. Mit ihren markanten Stimmen locken die fortpflanzungsaktiven Männchen – und nur diese sind lautbegabt – die paarungsbereiten Weibchen an. Ihre Mitbewerber halten sie mit ihren stark frequenzmodulierten Rufen auf Distanz oder vertreiben sie, wenn der Schallpegel einen bestimmten Schwellenwert überschreitet. „Bei der von uns untersuchten Froschgemeinschaft konnten wir weder zeitliche noch räumliche Auftrennungen im Balz-Rufverhalten der einzelnen Arten feststellen“, so Hödl. „Alle Froscharten müssen offensichtlich die optimalen Niederschlagsbedingungen gleichzeitig nutzen, um sich erfolgreich anzuzeigen und fortzupflanzen.“

Frösche kommunizieren störungsfrei im Stimmenwirrwarr des Regenwaldes

In der akustischen Arena ist es für die Männchen eine besondere Herausforderung, zu erkennen, wo und ob ein Frosch der eigenen Art ruft, da sich die Lautäußerungen der einzelnen Arten in ihrem zeitlichen und spektralen Muster partiell überlappen. Einfacher gesagt: Die Arten rufen gleichzeitig durcheinander und das teilweise auch noch im gleichen Frequenzbereich. Damit dabei trotzdem kein Chaos entsteht, ist folgende evolutionäre Lösung gefunden worden. Jede Froschart besitzt ihren artspezifischen – gegenüber den spektralen und zeitlichen Rufmustern von Nachbararten klar getrennten – akustischen Kanal. Die Tiere reagieren also nur auf jene Lautanteile, die unmissverständlich von ihren Artgenossen kommen, wenngleich sie bei ihren Rufen auch Frequenzen verwenden, die mit Nachbararten ident sein können.

Entscheidend für die Erhaltung der Art ist also das Reaktions- und Erkennungsvermögen des artspezifischen Frequenzbereichs und nicht die Gesamtheit des akustischen Signals selbst. Mit ihrer selektiven Signalwahrnehmung vermeiden die Frösche Fehlreaktionen auf artfremde Rufe.“Für uns Menschen erscheint das Stimmenwirrwarr im Regenwald nahezu unauflösbar“, so Hödl abschließend, „aber den Fröschen ist es damit möglich, völlig störungsfrei in ihrem akustisch dicht gedrängten Lebensraum zu kommunizieren.“

Die Ergebnisse wurden in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlicht. Die Publikation ist das Ergebnis der erfolgreichen Zusammenarbeit mit kolumbianischen, brasilianischen und peruanischen MitarbeiterInnen in einem vom FWF finanzierten Forschungsprojekt der Arbeitsgruppe von Walter Hödl am Department für Evolutionsbiologie der Universität Wien.

Publikation
Acoustic interference and recognition space within a complex assemblage of dendrobatid frogs. Adolfo Amézquita, Sandra Victoria Flechas, Albertina Pimentel Lima, Herbert Gasser, Walter Hödl. In: PNAS Online Early Edition, October 3-7, 2011. DOI: 10.1073/pnas.1104773108.
Wissenschaftlicher Kontakt
Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Walter Hödl
Department für Evolutionsbiologie
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