Langsamer geht's schneller: Wie die Signalübertragung in Zellen von trägen Enzymen profitiert

Enzymatische Reaktionen sind von fundamentaler Bedeutung für lebende Zellen: Ein Enzym bindet an ein Protein, das dadurch eine chemische Veränderung erfährt und so in die Lage versetzt wird, eine für die Zelle lebenswichtige Funktion zu erfüllen. Oft ist das modifizierte Protein seinerseits ein Enzym, das nach seiner Veränderung weitere biochemische Reaktionen anstößt.

Ein prominentes Beispiel hierfür ist das Enzym MAP-Kinase (mitogen-activated protein kinase), das eine wichtige Funktion bei der Herstellung neuer Proteine innerhalb der Zelle hat. Es erfüllt diese Aufgabe nur, wenn es an zwei Stellen durch dasselbe Enzym verändert („phosphoryliert“) und dadurch aktiviert worden ist.

Aber nicht jedes Mal, wenn sich eine MAP-Kinase und ein aktivierendes Enzym im Zellplasma treffen, kommt es tatsächlich zu dieser doppelten enzymatischen Reaktion. In der Regel müssen die Partnermoleküle mehrere Anläufe unternehmen, bis die MAP-Kinase phosphoryliert ist. Erschwerend kommt hinzu, dass beide Molekülsorten nur in geringen Mengen im Zellplasma vorkommen. Wenn also die Partnermoleküle nach einem nicht erfolgreichen Versuch weit auseinanderdriften würden, könnte es sehr lange dauern, bis sich wieder eine Gelegenheit zur Phosphorylierung ergibt.

Wie kann die Zelle diese Abstände verkürzen und dafür sorgen, dass sich die MAP-Kinase und das aktivierende Enzym schnell wieder treffen? Wie ist gewährleistet, dass die Partnermoleküle auch nach mehreren missglückten Anläufen nahe beieinander bleiben, um einen weiteren Reaktionsversuch zu unternehmen? Diese Frage hat ein Forschungsteam um Prof. Dr. Matthias Weiss, Lehrstuhl für Experimentalphysik I an der Universität Bayreuth, jetzt durch Computersimulationen aufklären können.

Solange MAP-Kinase und aktivierendes Enzym auf Partnersuche sind, wandern sie ziellos im Zellplasma umher („Diffusion“). Diese Diffusion verläuft, wie das Team von Prof. Weiss in den letzten Jahren experimentell zeigen konnte, meist anomal. Anomale Diffusion ist dadurch charakterisiert, dass – bildlich ausgedrückt – der Bewegungsdrang von Molekülen schnell erlahmt und sie lange Wege scheuen. Physikalisch gesprochen: Das Umfeld, in dem MAP-Kinase und aktivierendes Enzym zwecks Partnersuche unterwegs sind, wächst nicht proportional mit der Suchzeit an, sondern nur mit einer geringeren Potenz, z.B. mit der Quadratwurzel der Suchzeit. In den Bayreuther Experimenten wurde auch die Ursache dafür erkennbar. Weil sich im Zellplasma eine große Zahl von Makromolekülen auf engem Raum befindet, ist die Bewegungsfreiheit von Proteinen stark eingeschänkt.

Damit fördert die anomale Diffusion die Aktivierung der MAP-Kinase. Zwar dauert es zunächst relativ lange, bis sich zwei Partnermoleküle begegnen. Aber haben sie sich erst einmal gefunden, bleiben sie für lange Zeit in unmittelbarer Nähe zueinander – bis schließlich beide enzymatischen Reaktionen (Phosphorylierungen) erfolgt sind und die MAP-Kinase aktiviert ist. Die Computersimulationen zeigen dabei auch, dass die anomale Diffusion umso effizienter wirkt, je mehr aufeinanderfolgende Phosphorylierungen für die Aktivierung eines Enzyms nötig sind. Denn dann kommt es besonders auf ein schnelles Wiederfinden der Partner an.

„Die Aktivierung der MAP-Kinase ist nur ein Ausschnitt aus einer ganzen Kette von zellulären Prozessen, die in einer Kaskade aufeinanderfolgen“, erklärt Prof. Dr. Matthias Weiss. So muss das Enyzm, das die MAP-Kinase aktivieren soll, seinerseits durch ein vorausgehendes Signal aktiviert werden. Auch hier – wie an vielen weiteren Stellen – kann die anomale Diffusion im Zellplasma ihre effizienzfördernde Wirkung entfalten. So kommt die anomale Diffusion letztlich der gesamten Kaskade von Prozessen zugute. Es ist paradoxerweise der Trägheit der Molekularbewegung zu verdanken, dass das Endsignal umso schneller im Zellkern ankommt.

Veröffentlichung:

Marcel Hellmann, Dieter W. Heermann and Matthias Weiss,
Enhancing phosphorylation cascades by anomalous diffusion,
in: EPL (Europhysics Letters), Vol. 97, Number 5
DOI: 10.1209/0295-5075/97/58004
Kontaktadresse für weitere Informationen:
Prof. Dr. Matthias Weiss
Lehrstuhl für Experimentalphysik I
Universität Bayreuth
D-95440 Bayreuth
Tel.: +49 (0)921 55-2500 und -2501
E-Mail: matthias.weiss@uni-bayreuth.de

Media Contact

Christian Wißler Universität Bayreuth

Weitere Informationen:

http://www.uni-bayreuth.de

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