Künstlicher Gendefekt enthüllt möglichen Angriffspunkt für Erbkrankheit

Immunofluoreszenzmikroskopie von HAP1 Zellen ohne FANCC-Gen, für 24 h mit MMC behandelt und gegen BRCA1, %§BP1 und DAPI gefärbt. CeMM/Lydia Robinson-Garcia

Die Fähigkeit, DNA zu reparieren, ist für einen gesunden Organismus unverzichtbar. Zehntausende Schäden ereignen sich jeden Tag im Erbgut der Zellen, es verwundert daher nicht, dass die Evolution eine ganze Palette an Reparaturmechanismen hervorgebracht hat, die es den Zellen ermöglicht, die Schäden möglichst schnell zu beheben.

Die Bedeutung dieser Prozesse wird offensichtlich, wenn sie versagen: Die Zellen von Patienten mit Fanconi-Anämie (FA) sind nicht in der Lage, Vernetzungen der DNA – eine bestimmte Art von DNA-Schäden – zu reparieren. Die Folgen sind verheerend, neben zahlreichen anderen Symptomen entwickeln sich in den meisten FA-Patienten Tumore. Bisher gibt es keine kurative Behandlung der Krankheit.

DNA-Schäden und die komplexen Reparaturmechanismen sind der Forschungsschwerpunkt von Joanna Loizou, Forschungsgruppenleiterin am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, und die Suche nach neuen Therapieansätzen für die Fanconie-Anämie ist eines ihrer Ziele.

In ihrer neuesten Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Nature Communications (DOI 10.1038/s41467-018-04649-z), haben WissenschaftlerInnen aus ihrem Team nach zusätzlichen Genen gesucht, die mit den defekten DNA-Reparaturgenen der FA-Patienten interagieren, und die für die Ausprägung der Krankheit essentiell sind.

Denn, so die Hypothese, wenn man diese Gene ebenfalls zerstört, ließe sich die Fähigkeit der Zelle, DNA-Vernetzungen zu reparieren, wiederherstellen. Die Forschungsarbeit erfolgte in Kooperation mit WissenschaftlerInnen der University of Cambridge, dem Leiden University Medical Center, der University of California, der University of Toronto und der Gruppe von Jörg Menche am CeMM.

Was wie ein Widerspruch klingt, ist ein erprobtes Konzept: Durch zusätzliches Ausschalten weiterer Gene bei einem bereits vorhandenem Gendefekt kann es zu einer Umlagerung der hochkomplexen molekularen Netzwerke der Zelle kommen. Mechanismen wie die DNA-Reparatur können auf diesem Weg wieder funktionsfähig gemacht werden.

Einen solcher Ansatz wurde auch in dieser Studie von den WissenschaftlerInnen – mit Georgia Velimezi, ehemalige Postdoktorantin und Lydia Garcia-Robinson, PhD Studentin in Loizou´s Gruppe als Co-Erstautorinnen – angewandt. Mit einer genomweiten Analyse, in der jedes Gen von FA-Zellen einzeln ausgeschaltet wurde, fanden sie tatsächlich eines, das die Fähigkeit zur Reparatur von DNA-Vernetzungen wiederherstellte.

Das gefundene Gen codiert für ein Enzym, USP48, das einen wichtigen Regulationsfaktor für Proteine entfernen kann. Wenn USP48 in FA-Zellen nicht mehr vorhanden ist, reagieren die Zellen viel weniger empfindlich auf DNA-schädigende Substanzen und können die Schäden viel besser reparieren.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Inaktivierung von USP48 die chromosomale Stabilität der FA-Zellen erhöht“ erklärt Joanna Loizou. „Das unterstreicht die Bedeutung dieses Enzyms in der Kontrolle der DNA-Reparatur und macht es zu einem vielversprechenden Ziel für Wirkstoffe. Wenn es gelänge, gezielt inhibierende Moleküle gegen USP48 zu entwickeln, wäre das ein völlig neuer potentieller Ansatz um die verheerenden Symptome von FA-Patienten zu mildern.“

Die Studie „Map of synthetic rescue interactions for the Fanconi anemia DNA repair pathway identifies USP48“ erschien in der Zeitschrift Nature Communications am 11. Juni 2018. DOI: 10.1038/s41467-018-04649-z

Autoren: Georgia Velimezi#, Lydia Robinson-Garcia#, Francisco Muñoz-Martínez, Wouter W. Wiegant, Joana Ferreira da Silva, Michel Owusu, Martin Moder, Marc Wiedner, Sara Brin Rosenthal, Kathleen M. Fisch, Jason Moffat, Jörg Menche, Haico Van Attikum, Stephen P. Jackson and Joanna I. Loizou. (#Co-Erstautor)

Förderung: Die Studie wurde von der European Molecular Biology Organization (EMBO), dem FWF der Wissenschaftsfonds, der Europäischen Kommission, dem Europäischen Forschungsrat (ERC), den National Institutes of Health (NIH), Cancer Research UK, dem Wellcome Trust und dem Boehringer Ingelheim Fonds (BIF) gefördert.

Joanna Loizou absolvierte ihr Doktoratsstudium an der Universität Manchester/Sussex, bei Keith Caldecott. Während ihrer postdoktoralen Arbeit an der International Agency for Research on Cancer (IARC) der Weltgesundheitsorganisation WHO in Frankreich forschte sie an der Regulation und Bedeutung von epigenetischen Modifikationen bei der DNA Reparatur. Am London Research Institute (LRI) der Cancer Research UK (CR- UK) erforschte sie die DNA Reparatur in der Entwicklung des Immunsystems und in der Unterdrückung von Lymphomen. Joanna Loizou ist seit 2011 Forschungsgruppenleiterin am CeMM.
http://cemm.at/research/groups/joanna-i-loizou-group/

Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter der wissenschaftlichen Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Instituts befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. www.cemm.at

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