Konflikt von pflanzlichen und tierischen Hormonen im Darm herbivorer Insekten?

Eine der Inaktivierung von Prostaglandin-Hormonen in Tieren vergleichbare Reaktion wurde jetzt im Darm von zwei pflanzenschädigenden Raupenarten entdeckt. Die Tiere besitzen ein Enzym, welches cis-OPDA, ein hochaktives Pflanzenhormon, strukturell verändert und damit inaktiviert.

Raupen nehmen cis-OPDA durch Blattnahrung in vergleichsweise großen Mengen auf. Wird die Substanz nicht entschärft, kann sie die Entwicklung des Insekts negativ beeinflussen. Die Ergebnisse zeigen eine enge Verknüpfung von strukturell verwandten pflanzlichen und tierischen Hormonen; pflanzenfressende Raupenarten entwickelten ein enzymatisches Abwehrsystem, das bereits bei der Darmpassage die in der Nahrung vorhandenen hochaktiven Wirkstoffe entschärfen kann. (Proceedings of the National Academy of Sciences USA, Early Edition, 8.9.2009)

Cis-OPDA (12-Oxophytodiensäure) ist ein hochreaktives Pflanzenhormon und dient gleichzeitig als Vorläufermolekül für den metabolischen „Masterswitch“ Jasmonsäure. Beide Hormone signalisieren in Blättern und Sprossen von Pflanzen Insektenfrass und lösen zusammen mit anderen Hormonen die Verteidigungsbereitschaft der Pflanze aus. Cis-OPDA führt zudem im Insektendarm zu einer für das Tier negativen Wechselwirkung, wenn es in die Hämolymphe gelangt: Es bewirkt vorzeitige Verpuppung und greift möglicherweise auch in die Immunreaktion der Raupen ein.

Paulina Dabrowska, eine der ersten Doktorandinnen der International Max Planck Research School (IMPRS) in Jena und inzwischen promoviert, untersuchte den Verbleib von Pflanzenhormonen, nachdem diese durch Raupen via Blattnahrung aufgenommen und den Darm passiert haben. Werden Hormone, die bekanntermaßen auf Entwicklung und Stoffwechsel von tierischen und pflanzlichen Lebewesen in geringster Dosis empfindlich eingreifen können, im Insekt abgebaut, umgewandelt, oder gar nicht beeinflusst?

Bei der Untersuchung des Hormons cis-OPDA stellte sich schnell heraus, dass im Insektendarm eine Umwandlung stattgefunden haben muss. Die junge polnische Chemikerin fand, dass dabei ein Enzym im Spiel sein muss: „Zuerst stellten wir fest, dass kein cis-OPDA mehr im Kot der Tiere vorhanden war. Stattdessen zeigten unsere Massenspektrometer iso-OPDA an, das aber nur mithilfe einer Enzymkatalyse entstehen kann“. Kontrollexperimente in einem stark alkalischen Milieu, vergleichbar dem des Raupendarms (pH ca. 10), zeigten, dass ohne Katalyse keine cis-iso Umwandlung stattfinden konnte.

Bei der Umwandlung von der cis- zur iso-OPDA wird im Molekül lediglich eine Doppelbindung verschoben, dabei aber die räumliche Struktur des Moleküls drastisch verändert: Aus einem gewinkelten Molekül mit einer reaktiven Doppelbindung (cis-OPDA) wird ein planares Molekül, dessen Doppelbindung nur noch unter forcierten Bedingungen reagieren kann. Eine analoge Reaktion wurde bereits früher für Prostaglandine beschrieben, und zwar beim Übergang vom aktiven Prostaglandin A1 zum inaktiven Prostaglandin B1.

OPDA und Prostaglandine sind strukturell und auch von ihrer Biosynthese her eng verwandte Moleküle. Umwandlungen an diesen Substanzen können von Enzymen katalysiert werden, die beispielsweise Glutathion als Hilfssubstrat verwenden. Paulina Dabrowska und Dalial Freitak, ebenfalls ehemalige Doktorandin der IMPRS, suchten daher im Genom der Baumwolleule nach entsprechenden Genen, die solche Enzyme kodieren, und fanden 16 verschiedene im Darm vorkommende Glutathion-S-Transferasen“ (GST's). Nur eine von ihnen katalysierte die Umwandlung vom cis-OPDA zum iso-OPDA. „Dies ist ein deutlicher Hinweis, dass von den 16 GSTs, die die Baumwolleule für viele verschiedene Stoffwechselwege benötigt, diese eine spezielle GST die evolutionäre Anpassung an ihre Wirtspflanzen darstellt“, so Prof. Wilhelm Boland, in dessen Abteilung Bioorganische Chemie zusammen mit der Abteilung Entomologie von Prof. David Heckel die Arbeiten durchgeführt wurden.

Die Versuchstiere waren Raupen der Arten Spodoptera littoralis (Baumwollwurm) und Helicoverpa armigera (Baumwolleule), beides gefährliche Schädlinge im weltweiten Baumwollanbau. Das Wirtsspektrum der Schädlinge beschränkt sich allerdings nicht nur auf Baumwolle, sondern auch auf viele andere Pflanzenarten. Die Fähigkeit, cis-OPDA zu inaktivieren, findet sich insbesondere bei solchen „Generalisten“, also Raupen mit einem breiten Fraßspektrum, seltener oder gar nicht jedoch bei spezialisierten Raupen [WB/JWK].

Originalveröffentlichung:
Paulina Dabrowska, Dalial Freitak, Heiko Vogel, David G. Heckel, Wilhelm Boland: The phytohormone precursor OPDA is isomerized in the insect gut by a single, specific Glutathione transferase. Proceedings of the National Academy of Sciences USA, Early Edition, 8. 9. 2009. DOI: 10.1073/pnas.0906942106
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Wilhelm Boland, MPI chemische Ökologie, Hans Knöll Str. 8, 07743 Jena, Tel.: 03641 – 57 1200, boland@ice.mpg.de

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Dr. Jan-Wolfhard Kellmann Max-Planck-Institut

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