Können Biomarker die individuelle Wirksamkeit eines Antidepressivums vorhersagen?

DNA Pills Quelle: Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Mit einem konzeptionell neuartigen, translationalen Forschungsansatz identifizierte ein internationales Forscherteam sogenannte Transkriptom-Signaturen, die mit einem besonders guten Ansprechen auf die antidepressive Behandlung verknüpft waren. Ein möglicher, die Wirksamkeit eines Antidepressivums modulierender Schlüsselmechanismus ist der Glucocortikoidrezptor. Die erzielten Forschungserkenntnisse sind in der aktuellen Ausgabe der hochrangigen Fachzeitschrift PLOS Biology veröffentlicht.

Warum spricht ein Patient auf eine antidepressive Therapie an, ein anderer hingegen nicht? Wie lässt sich vorhersagen, welches Antidepressivum bei welchem Patienten wirkt? Derzeit ist dies kaum möglich. Um die Wirksamkeit einer antidepressiven Behandlung zukünftig besser voraussagen zu können, haben Wissenschaftler der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz gemeinsam mit internationalen Kooperationspartnern einen konzeptionell neuartigen, translationalen Forschungsansatz gewählt.

Mit Hilfe eines von ihnen neu entwickelten Tiermodells ließen sich mit einem molekularen Fingerabdruck vergleichbare, sogenannte Transkriptom-Signaturen identifizieren, die mit einem besonders guten Ansprechen auf die antidepressive Behandlung verknüpft waren. Als einen möglichen Schlüsselmechanismus, der die Wirksamkeit eines Antidepressivums moduliert, identifizierten die Forscher einen wichtigen Stresshormonrezeptor, den sogenannten Glucocortikoidrezptor.

Die erzielten Erkenntnisse sollen dazu dienen, klinisch nutzbare Biomarker zu entdecken und somit eine verbesserte, patientenindividuelle Behandlung depressiver Episoden entwickeln zu können. Sie sind in der aktuellen Ausgabe der hochrangigen Fachzeitschrift PLOS Biology veröffentlicht.

Psychische Erkrankungen, und hier insbesondere depressive Erkrankungen, stellen weltweit eine der häufigsten Ursachen für krankheitsbedingten Erwerbsausfall dar und sind von enormer gesundheitsökonomischer Relevanz. Für die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geschätzten weltweit rund 350 Millionen Betroffenen und ihre Angehörigen bedeutet die Erkrankung eine existentielle Belastung und einen massiven Verlust an Lebensqualität.

Ärzte und Betroffene sehen sich aktuell jedoch mit dem erheblichen Problem konfrontiert, dass sich nicht vorhersagen lässt, ob ein bestimmtes Antidepressivum bei dem jeweiligen Patienten den gewünschten Behandlungserfolg erzielen wird. Dies bedeutet, dass Therapieentscheidungen in der Depressionsbehandlung nach wie vor nicht auf der Grundlage wissenschaftlicher, objektiver Kriterien gefällt werden können, sondern nach einem „trial and error“-Prinzip vorgenommen werden müssen. Nur ein Drittel der Patienten mit Depression profitieren tatsächlich von der ersten, ihnen verschriebenen Substanz. Die anderen Zweidrittel müssen weitere Therapieversuche durchlaufen, um die für sie effektivste und passende antidepressive Behandlung zu finden.

Nach aktuellem wissenschaftlichem Kenntnisstand sind voraussagekräftige Biomarker ein möglicher Ansatzpunkt, um die Qualität der Behandlung von schweren Depressionen erheblich verbessern zu können. Die beispielsweise durch eine Blutuntersuchung zu erfassenden, individuellen biologischen Merkmale können als messbarer Indikator dienen, um festzustellen, ob eine Behandlung erfolgreich sein wird. Die klinische Biomarkerforschung wird allerdings durch zahlreiche zusätzliche Einflussfaktoren, wie beispielsweise Alter, Geschlecht und zahlreiche andere Umweltfaktoren erheblich erschwert.

Die Mehrzahl dieser störenden Einflussfaktoren lässt sich in einem tierexperimentellen Modell unter Laborbedingungen kontrollieren. Aus diesem Grund haben Wissenschaftler der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz in enger Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Dr. Elisabeth Binder, Direktorin des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München und weiteren Kooperationspartnern an der Emory University in Atlanta (USA) einen neuartigen Forschungsansatz verfolgt.

Ziel war es, die klinische Fragestellung bestmöglich in ein Tiermodell zu übersetzen. Die Forscher konnten zeigen, dass die Reaktion im Tiermodell auf ein Antidepressivum ähnlich heterogen ist wie bei Patienten mit einer depressiven Erkrankung. Unter der Federführung von Univ.-Prof. Dr. Marianne Müller, Leiterin Translationale Psychiatrie in Mainz, wurden zunächst im Tiermodell bestimmte, aus Blut stammende Biomarker – ein sogenanntes Transkriptomprofil – identifiziert, welches mit einem überdurchschnittlich guten Ansprechen auf die antidepressive Therapie assoziiert ist. Das Transkriptom umfasst alle von der DNA in RNA umgeschriebenen Gene einer Zelle.

„Ein tierexperimentelles Modell muss dann natürlich an seiner Relevanz für die klinische Anwendung gemessen werden und erfordert eine Validierung am Patienten“, erklärt Tania Carrillo-Roa, eine der Erstautoren dieser interdisziplinären Studie. In einem zweiten Schritt überprüften die Wissenschaftler die Befunde. Dazu glichen sie diese mit Transkriptomdaten und klinischen Verläufen von depressiven Patienten aus zwei kontrollierten Studien ab.

„Unsere Befunde zeigen, dass der von uns gewählte Ansatz geeignet ist, um prädiktive Transkriptomsignaturen zu identifizieren, die eine hohe Voraussagekraft auch für das Ansprechen auf eine antidepressive Behandlung beim Menschen haben. In unseren weiterführenden Analysen haben wir mit dem Glucocortikoidrezeptor, der eine zentrale Rolle in der Regulation des Stresshormonsystems spielt, einen möglichen Schlüsselmechanismus gefunden, der die Wirksamkeit von Antidepressiva moduliert“, erklärt Professorin Müller. „Langfristig sollen unsere Befunde dazu beitragen, eines Tages eine individualisierte Behandlung depressiver Erkrankungen anbieten zu können.“

Weitere Informationen zur Studie: Citation: Carrillo-Roa T., Labermaier C., Weber P., Herzog DP., Lareau C., Santarelli S., et al. (2017): “Common genes associated with antidepressant response in mouse and man identify key role of glucocorticoid receptor sensitivity. PLoS Biol 15 (12): e2002690. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.2002690

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Univ.-Prof. Dr. Marianne B. Müller,
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz und Forschungszentrum Translationale Neurowissenschaften (FTN) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Telefon 06131 39-21349, , E-Mail: Marianne.Mueller@uni-mainz.de

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Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Rund 3.300 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz ausgebildet. Mit rund 7.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die Universitätsmedizin zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor.

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