Warum sind Kieselalgen so erfolgreich?

Kieselalgen (Diatomeen) spielen eine Schlüsselrolle für die Photosynthese in den Weltmeeren und werden deshalb intensiv untersucht. Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft haben in internationaler Zusammenarbeit eine neue Entdeckung zur Evolution der Photosynthese in Diatomeen gemacht.

Bisher ging man davon aus, dass Diatomeen ihre Fähigkeit zur Photosynthese ausschließlich von Rotalgen geerbt haben. Die Molekularbiologen haben jetzt gezeigt, dass sich im Genom der Diatomeen erhebliche Mengen an Erbmaterial finden, das von Grünalgen abstammt. Die photosynthetischen Zellstrukturen der Diatomeen, vereinen somit Eigenschaften aus Rotalgen- und Grünalgenvorfahren, was ihren enormen Erfolg in den Weltmeeren erklären könnte.

Die Ergebnisse werden nun in der jüngsten Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift „Science“ vorgestellt.

Die Photosynthese, Basis allen Lebens auf der Erde, wird je etwa zur Hälfte auf dem Land und im Meer erbracht. An Land sind vor allem komplexe grüne Pflanzen dafür verantwortlich, in den Meeren die Algen und zwar vorwiegend einzellige Vertreter. Darunter stellen die Kieselalgen (Diatomeen) mit einem Anteil von etwa 40 Prozent die wichtigste Gruppe. Landpflanzen, Rot- und Grünalgen unterscheiden sich in ihrer evolutionären Geschichte grundsätzlich von den Diatomeen: Sie entstammen der Symbiose eines photosynthetischen Bakteriums (Cyanobakterium) mit einer höher entwickelten, farblosen Wirtszelle mit Zellkern (eukaryotische Zelle). Da dabei eine Zelle als Symbiont in einer anderen Zelle lebt, nennt man den Vorgang Endosymbiose. Im Ergebnis entstanden so die photosynthetischen Organellen in Pflanzen- und Algenzellen, die Plastiden oder Chloroplasten.

Auch Diatomeen besitzen Plastiden, doch diese entwickelten sich, in dem zwei höhere Zellen miteinander verschmolzen: Eine eukaryotische Wirtszelle nahm einen photosynthetischen Rotalgen-Einzeller auf. Bei dieser sekundären Endosymbiose entstehen so genannte sekundäre Plastiden. Bisher ging man davon aus, dass die aufnehmende Zelle farblos und nicht photosynthetisch war. „In einer internationalen Zusammenarbeit gelang es uns zu zeigen, dass die aufnehmende Wirtszelle bereits Chloroplasten besaß, die denen von Grünalgen ähneln. In den Genomen von zwei Diatomeen-Arten konnten wir Spuren dieser „kryptischen“ Chloroplasten entdecken“, erklärt Klaus Valentin, Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung. Tatsächlich fänden sich in den Genomen sogar mehr Spuren des Grünalgen- als des Rotalgen-Vorfahren. Daraus könne man schließen, dass die Plastiden heutiger Diatomeen tatsächlich eine Mischform aus zwei Plastidentypen, denen aus Grünalgen und Rotalgen, darstellen. „Diatomeen verfügen dadurch wahrscheinlich über mehr stoffwechselphysiologisches Potenzial als jede der beiden Ausgangstypen einzeln, was den großen Erfolg der Diatomeen in den Meeren erklären könnte“, so Valentin weiter. „Ihre Plastiden könnten quasi das „Beste beider Welten“ vereinen.“

Mittlerweile haben Valentin und sein Kollege Bànk Beszteri Spuren einer grünen Endosymbiose auch in anderen Meeresalgen entdeckt, die ähnlich wie Diatomeen ebenfalls aus einer sekundären Endosymbiose hervorgegangen sind. Dazu gehören beispielsweise die Braunalgen. „Unser nächstes Ziel ist es nun herauszufinden, welchen Vorteil diese Form der Symbiose den Meeresalgen genau gebracht hat. Wir wollen diesen Vorteil quantifizieren und die Stoffwechselwege identifizieren, die in Diatomeen zusätzlich vorhanden sind oder besser funktionieren als in Rot- oder Grünalgen alleine. Vielleicht können wir so verstehen, warum die Algen mit sekundären Plastiden in den Meeren so erfolgreich sind während an Land Pflanzen mit primären Plastiden das Rennen gemacht haben.“

Der Originaltitel der Science-Veröffentlichung lautet:
„Genomic footprints of a cryptic plastid endosymbiosis in diatoms. During their evolution the dominant phytoplankters in the world's oceans sampled genes from both red and green algae.“ (Autoren: Ahmed Moustafa, Bánk Beszteri, Uwe G. Maier, Chris Bowler, Klaus Valentin, Debashish Bhattacharya)

Ihr Ansprechpartner im Alfred-Wegener-Institut ist Dr. Klaus Valentin, vormittags zu erreichen unter 0471 4831-1452, nachmittags unter 0173 3241067 (E-Mail: Klaus.Valentin@awi.de), sowie in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Magdalena Hamm (Tel. 0471 4831-2008, E-Mail: medien@awi.de).

Das Alfred-Wegener-Institut forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der mittleren sowie hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 16 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.

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Margarete Pauls idw

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