Huntington Krankheit: Neu entdeckte Genvarianten beeinflussen Krankheitsbeginn

UK Hamburg-Eppendorf Prof. Michael Orth forscht zur Huntington Krankheit

Die Huntington Krankheit ist eine vererbbare Nervenkrankheit, die durchschnittlich nach etwa 18 Jahren zum Tod führt. Ursache dieser seltenen Erkrankung ist eine Zunahme der CAG-Wiederholungen im so genannten Huntingtin-Gen. Das Ausmaß dieser Verlängerung beeinflusst wesentlich den Krankheitsbeginn.

Allerdings bricht die Huntington Krankheit bei einigen Patienten sehr viel früher oder später aus, als es die CAG-Wiederholungen erwarten lassen. Anhand von DNA-Proben und klinischen Daten von Huntington-Patienten hat eine internationale Forschergruppe (Genetic Modifier in HD Consortium, GeM-HD), der die Ulmer Neurologen Professor Michael Orth und Professor Bernhard Landwehrmeyer angehören, nach weiteren Erbgut-Varianten gesucht, die den Krankheitsbeginn unabhängig von der Huntington-Genmutation beeinflussen. Ihre Ergebnisse sind im renommierten Journal Cell erschienen und könnten für die Medikamentenentwicklung bedeutend sein.

Erste Symptome der neurodegenerativen Huntington Krankheit treten meist zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr auf: Betroffene zeigen unkontrollierte Bewegungen, Verhaltensauffälligkeiten und eine Demenz. Mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 50 Prozent geben Patienten die Krankheit, bei der Nervenzellen in wichtigen Hirnregionen absterben, an ihre Kinder weiter.

Die Huntington Krankheit ist bis heute unheilbar, weshalb Forscher nach Ansatzpunkten für neue Medikamente fahnden, die den Krankheitsausbruch verhindern oder wenigstens verzögern können – bisher vor allem in Zellkulturen oder im Tiermodell. Allerdings lassen sich diese Ergebnisse nicht immer auf den Menschen übertragen. Mit einem neuartigen Ansatz hat die internationale Forschergruppe deshalb untersucht, welche natürlich vorkommenden Gen-Variationen neben dem Huntingtin-Gen den Krankheitsausbruch beeinflussen.

Dazu haben die Wissenschaftler eine genomweite Assoziationsstudie mit DNA-Proben von über 4000 Patienten durchgeführt und 2,5 Millionen Varianten einzelner Nukleotide analysiert. In einem zweiten Schritt wurden Beziehungen zwischen dem Alter bei Krankheitsausbruch und dem Genotyp hergestellt. So konnten Genorte mit Varianten identifiziert werden, die offenbar den Krankheitsverlauf vor Ausbruch eindeutiger Symptome beeinflussen.

Die erste Variante auf dem Chromosom 15 beschleunigt den Ausbruch um circa sechs Jahre und die zweite verschiebt erste Symptome um 1,4 Jahre nach hinten. „Möglicherweise beziehen sich beide Varianten auf ein einziges modifizierendes Gen, beeinflussen es aber in unterschiedliche Richtungen“, erklärt Michael Orth. Wichtige Gene nahe der Chromosom 15-Region bestimmen die Erbgutreparatur und Signalvorgänge in Zellen. Zudem scheinen Gene nahe Chromosom 8 eine Rolle bei der Huntington-Krankheit zu spielen.

Die Studie gibt Hinweise auf biologische Prozesse, die den Verlauf der Huntington Krankheit beeinflussen. In Zukunft wollen die Forscher herausfinden, wie diese Einflussnahme funktioniert, um ihre Erkenntnisse – wenn möglich – für die Medikamentenentwicklung zu nutzen. Entsprechende Arzneimittel könnten den Beginn der Huntington Krankheit sogar noch weiter verzögern als die natürliche genetische Variante.

„Unsere Studie ist die erste dieser Art, die mithilfe einer genomweiten Genotypisierung krankheitsmodifizierende genetische Varianten bei einer Erbkrankheit mit bekannter Genmutation gefunden hat“, resümiert Michael Orth.

Die Proben stammen von Patienten aus Nordamerika und Europa. Nach ersten Ergebnissen aus US-Kohorten haben Mitglieder der Forschergruppe – unter anderem von der Harvard University, der Cardiff University und der Ulmer Universitätsklinik für Neurologie – ein Konsortium zur Erforschung von Huntington-Modifikatoren gegründet („Genetic Modifiers of Huntington’s Disease“) und Hunderte weitere Proben analysiert.

Kontakte zu betroffenen Familien bestanden unter anderem über die Beobachtungsstudie REGISTRY im Zuge des europäischen Huntington-Netzwerks, die von Bernhard Landwehrmeyer (Universitätsklinik für Neurologie, Ulm) koordiniert wird.

Die Forschergruppe ist von den US National Institutes of Health, dem UK Medical Research Council und der Huntington-Stiftung CHDI unterstützt worden.

Weitere Informationen: Professor Dr. Michael Orth: michael.orth@uni-ulm.de

Genetic Modifiers of Huntington’s Disease (GeM-HD) Consortium. Identification of Genetic Factors that Modify Clinical Onset of Huntington’s Disease. Cell 162, 516–526 July 30, http://dx.doi.org/10.1016/j.cell.2015.07.003

Media Contact

Annika Bingmann idw - Informationsdienst Wissenschaft

Weitere Informationen:

http://www.uni-ulm.de/

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Astronomen entdecken starke Magnetfelder

… am Rand des zentralen schwarzen Lochs der Milchstraße. Ein neues Bild des Event Horizon Telescope (EHT) hat starke und geordnete Magnetfelder aufgespürt, die vom Rand des supermassereichen schwarzen Lochs…

Faktor für die Gehirnexpansion beim Menschen

Was unterscheidet uns Menschen von anderen Lebewesen? Der Schlüssel liegt im Neokortex, der äußeren Schicht des Gehirns. Diese Gehirnregion ermöglicht uns abstraktes Denken, Kunst und komplexe Sprache. Ein internationales Forschungsteam…

Batteriematerial für die Natrium-Ionen-Revolution

Leistungsstark, sicher und umweltfreundlich – Natrium-Ionen-Batterien haben viele Vorteile gegenüber herkömmlichen Batterien. Da sie keine kritischen Rohstoffe wie Lithium oder Kobalt enthalten, könnten sie zudem Anwendungen wie stationäre Energiespeicher und…

Partner & Förderer