HIV: Spur führt ins Recycling-System der Zelle

Die Lebendzellaufnahme zeigt, wie das HIV- Protein Nef (rot) und das Autophagie-Protein GABARAP (grün) gemeinsam aus der Zelle sezerniert (ausgeschieden) werden. Copyright: Forschungszentrum Jülich

Am 10. Dezember wird in Stockholm der diesjährige Medizin-Nobelpreis für die Erforschung molekularer Grundlagen der Autophagie vergeben. Dieses „Recycling-System“ der Zelle steht, wie neuere Forschung gezeigt hat, mit zahlreichen krankheitsrelevanten Vorgängen im Organismus in Verbindung. Ein wichtiges Beispiel dafür sind virale Infektionen.

Wissenschaftler der Arbeitsgruppe „Virus-Wirt-Interaktionen“ am Jülicher Institute of Complex Systems (ICS-6) haben ein Protein des Humanen Immundefizienz-Virus (HIV) im Visier, das Bestandteile des Autophagiesystems zu kapern scheint – eine Spur, die jetzt mit neuen High-End-Methoden weiter verfolgt werden soll. Postdoc und Arbeitsgruppenmitglied Dr. Alexandra Boeske gibt im Interview einen Einblick in die Forschung und erklärt die entscheidenden Vorteile der Kombination von Struktur- und Zellbiologie.

Frau Dr. Boeske, der internationale Welt-Aids-Tag am 1. Dezember erinnerte daran, dass es für weltweit über 36 Millionen Menschen, die mit HIV infiziert sind, noch immer keine echte Heilung gibt. Sie gehen in Jülich einer Verbindung zwischen HIV und dem Autophagie-System in der Zelle nach. Was gibt es da für einen Zusammenhang?

Wir erforschen eine ganz bestimmte Wechselwirkung zwischen Bestandteilen von Autophagie-System und HI-Virus, die einen ungeklärten Schritt bei der Infektion erklären könnte. Dabei geht es vor allem um HIV-Nef, eins der nur 17 Proteine des Virus. Es kommt schon direkt mit dem Virus-Partikel in die Zelle, wird zusätzlich nach der Infektion in Massen produziert und gilt als entscheidend dafür, dass sich im Infektionsverlauf eine Immunschwäche, also AIDS, entwickelt. Wichtig ist dabei, dass Nef nicht nur in der infizierten Zelle zerstörerisch wirkt, sondern auch nach außen gelangt, wo es in gesunden Nachbarzellen eine Art Selbstzerstörungsprogramm auslöst, die sogenannte Apoptose. Bisher ist nicht klar, wie es dem Protein gelingt, aus der Zelle zu kommen – den klassischen Weg der Sekretion kann es nämlich nicht nutzen. Wir haben den Verdacht, dass es stattdessen eine Art „Highjacking“ von Teilen des Autophagiesystems betreibt, um nach außen transportiert zu werden.

Wie kann man sich dieses „Autophagiesystem“ genau vorstellen?

Bei der Autophagie bilden sich im Plasma der Zelle ständig kleine membranumhüllte Bläschen, sogenannte Vesikel, die zum Beispiel nicht benötigte Zellbestandteile umschließen. Sie verschmelzen dann mit einem anderen Vesikeltyp, den Lysosomen, die Enzyme enthalten, von denen der Inhalt in kleine Bausteine zerlegt wird. Diese stehen der Zelle dann wieder zur Verfügung. Dem Vorgang zugrunde liegt ein komplexes Gefüge von speziellen Proteinmolekülen, sogenannten ATGs. Die ersten 15 davon hat Yoshinori Ohsumi in den neunziger Jahren beschrieben, das ist die Pionierleistung, für die er in diesem Monat den Nobelpreis erhält. Seine Entdeckungen haben die heutige Autophagie-Forschung ins Rollen gebracht. Die Studien liefen dabei zwar an Hefezellen, aber der Prozess ist so fundamental, dass er sich in allen eukaryoten Lebewesen in ähnlicher Weise findet. Man hat seitdem noch weitere ATGs entdeckt und versteht heute, dass Autophagie wesentlich mehr ist als nur ein Recyclingsystem. Als Abwehr gegen Infektionskrankheiten kann sie zum Beispiel Fremdkörper wie Viren und Bakterien aus dem Verkehr ziehen. Manche Erreger haben aber gelernt, der Autophagie zu entgehen oder sie in manchen Fällen sogar zu manipulieren und für sich zu nutzen.

Und HIV wäre so ein Fall?

Genau – bei den infizierten Zellen wird die Autophagie-Maschinerie zwar aktiviert, aber die Verschmelzung mit den Lysosomen erfolgt nicht mehr. So häufen sich die Vesikel-Bläschen im Zellinneren an und gelangen schließlich nach außen. In einem Teil dieser Vesikel finden wir HIV-Nef dann gemeinsam mit einem bestimmten Typ von humanen ATG-Proteinen mit dem Namen GABARAP. Wir haben herausgefunden, dass ein Fehlen dieser GABARAP-Proteine in kultivierten menschlichen Zellen dazu führt, dass Nef nicht mehr nach außen transportiert werden kann. Solche zellbiologischen Beobachtungen kombinieren wir mit Strukturbiologie, um den Mechanismus zu verstehen. Am Biomolekularen NMR-Zentrum in Jülich konnten so zum Beispiel die 3D-Strukturen der humanen GABARAP-Proteine entschlüsselt und die Bindestelle für HIV-Nef auf der Moleküloberfläche identifiziert werden.

Könnte man diese Wechselwirkung mit einem Medikament vielleicht blockieren, als Behandlungsansatz?

Irgendwann vielleicht schon, wenn das, was wir im Zellkultursystem beobachten, auch im Patienten passiert. Schließlich muss Nef seine Ursprungszelle verlassen können, um sein Unwesen auch in primär nicht von der Infektion betroffenen Zellen treiben zu können. Aber im Moment denken wir an sowas noch nicht. Dafür wissen wir einfach noch zu wenig.

Was sind jetzt die nächsten Vorhaben?

Wir müssen zunächst verstehen, was wirklich in der Zelle vor sich geht und arbeiten an einem Modell, das Schritt für Schritt nachzeichnet, was HIV-Nef tut, um nach außen zu gelangen – inklusive aller möglichen Zwischenschritte. Das klingt zwar nach einer relativ kleinen Frage, aber in der Praxis ist das sehr aufwändig. Wir, also die Arbeitsgruppe von Dr. Silke Hoffmann, in der ich arbeite, die Gruppe von Dr. Melanie Schwarten und Prof. Dieter Willbold, haben von der Deutschen Forschungsgemeinschaft Mittel im Rahmen eines Sonderforschungsbereiches erhalten und konnten damit inzwischen ein starkes Team aufbauen. In der nächsten Zeit wollen wir nun eine ganze Reihe neuer Methoden einsetzen– zum Beispiel Cryo-Elektronenmikroskopie, um die genaue Beschaffenheit der Vesikel anzuschauen, oder das Gen-Editierverfahren CRISPR, um weitere für die Sekretion von Nef wichtige Faktoren zu identifizieren. Außerdem werden wir weitere Strukturen mit NMR-Spektroskopie aufklären, darunter die des Komplexes, der aus der Verbindung der beiden Proteine entsteht. Am Ende wissen wir dann hoffentlich genau, über welche Mechanismen HIV-Nef aus der Zelle geschleust wird.

Ist das in der Virologie häufig so, dass Struktur- und Zellbiologie so eng verbunden ist?

Nein, das ist sogar im Gegenteil noch sehr selten. Häufig machen die einen ihre Zellexperimente und finden vielleicht eine interessante Interaktion. Ganz andere Arbeitsgruppen bestimmen dann die Strukturen der beteiligten Moleküle. Die Spezialisierung ist da ziemlich groß. Das merke ich auch auf Konferenzen, da wird oft gestaunt darüber, dass wir in Jülich Struktur- und Zellbiologie direkt von Anfang an kombinieren.

Und ist das von Vorteil?

Auf jeden Fall. Ich arbeite jetzt seit sechs Jahren, seit meiner Diplomarbeit, an diesem Thema in Jülich und denke, man lernt durch diese Arbeitsweise mehr. Letztlich beruht das, was wir in der Zelle sehen, ja auf den strukturell bedingten Interaktionen der Moleküle. Die biologische Relevanz der Strukturen versteht man umgekehrt nur im Zusammenhang mit ihrer Funktion in der Zelle. Man lernt also sehr viel von einer Disziplin für die jeweils andere.

Institute of Complex Systems, Strukturbiochemime (ICS-6)

„Sauber bleiben. Erforschung der Autophagie in Jülich“ effzett 3/15, Seite 24 + 25

Prof. Dieter Willbold
Institute of Complex Systems, Strukturbiochemie (ICS-6)
Tel. +49 2461 61-2100 
E-Mail: d.willbold@fz-juelich.de

Peter Zekert
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