Halbautomatisierte Methode revolutioniert Entschlüsselung von Genfunktionen

Das DNA-Engineering wird durch das Protein Redâ vermittelt. ©BIOTEC

Forscher des Biotechnologischen Zentrums der TU Dresden (BIOTEC) haben gemeinsam mit britischen Kollegen eine halbautomatisierte Technologie entwickelt, um schneller und effizienter die Funktion verschiedener Maus-Gene zu entschlüsseln.

Derzeit arbeiten weltweit vier Wissenschaftskonsortien daran, gezielt ein Gen nach dem anderen in speziell gezüchteten Mäusen auszuschalten, um danach festzustellen, welche Funktion jedes einzelne Gen besitzt. Einen technologischen Durchbruch für diese Forschungsarbeiten am Tiermodell stellt die neue Methode dar, die effektiv im großen Umfang mutierte Gene in embryonale Stammzellen (ES-Zellen) einbauen kann.

Diese halbautomatisierte Technologie erreicht einen hohen seriellen Durchsatz, der zuverlässig zahlreiche ES-Zellen mit jeweils einer bestimmten Genmutation generiert. Daraus können dann schneller Knockout-Mäuse mit einem spezifischen Gendefekt gezüchtet werden als mit bisher üblichen Methoden. Diese Forschungsergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht (DOI: 10.1038/nature10163).

Die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms (Sequenzierung) durch das internationale Humangenomprojekt (HUGO) im Jahr 2001 stellt den bisherigen Höhepunkt der genetischen Forschung dar: Rund 22.000 Gene des Menschen sind seitdem bekannt, die in den Doppelsträngen der DNA (Desoxyribonukleinsäure) aneinandergereiht sind und den genetischen Code tragen, der immer wieder abgelesen wird, um Proteine zu generieren. „Wir kennen die menschlichen Gene“, erläutert Prof. Dr. A. Francis Stewart vom Biotechnologischen Zentrum der TU Dresden (BIOTEC) die derzeitige wissenschaftliche Herausforderung, „aber wir wissen für die Mehrzahl davon noch immer nicht, welche Aufgaben diese im Menschen haben, um daraus medizinische Anwendungen zu entwickeln.“

Das zweite Säugetier, dessen komplette DNA entschlüsselt wurde, war die Maus. 99 Prozent des menschlichen Genoms sind funktional mit dem Maus-Genom verwandt und entstammen einem gemeinsamen Vorläufer. 2007 erhielten drei amerikanische Wissenschaftler den Medizin-Nobelpreis für eine neue Technik, in Mäusen systematisch ein Gen auszuschalten. Die Folgen dieses Gen-Ausfalls zeigen, welche Aufgabe die betreffende Erbanlage im gesunden Tier hat. An diesen genetisch veränderten Mausstämmen, den so genannten Knockout-Mäusen, lässt sich stellvertretend für den Menschen beispielsweise lernen, welche Erbanlagen die Entwicklung der Organismen steuern oder wie sich Zellen miteinander unterhalten. Die Züchtung von genetisch unterschiedlich mutierten Knockout-Mäusen dauert Jahre. Derzeit arbeiten vier internationale wissenschaftliche Konsortien mit vereinten Kräften daran, bis zu 20.000 Maus-Gene durch Gen-Targeting in ES-Zellen zu inaktivieren, um diese der Wissenschaftsgemeinschaft frei zur Verfügung zu stellen, die daraus Knockout-Mäuse generiert.

„Mit unserer neu entwickelten halbautomatisierten Technologie erreichen wir durch gezielt erzeugte Genmutationen (Gen-Targeting) im Hochdurchsatzverfahren eine sehr hohe Effizienz“, berichtet der Dresdner Genetiker, der innerhalb des europäischen Netzwerkes „European Conditional Mouse Mutagenesis Program“ (EUCOMM) mit seinem britischen Kollegen William C. Skarnes zusammengearbeitet hat. Stewart kann praktisch jede Änderung im Säugetiergenom durch homologe Rekombination in ES-Zellen der Maus einbauen, von der Punktmutation bis hin zur Neuordnung von Chromosomen.

Um aus dem Gen-Targeting eine standardisierte Methode mit einem hohen, zuverlässigen Durchsatz zu entwickeln, mussten verschiedene technische Herausforderungen gelöst werden: Für jedes Gen wird zum Beispiel ein künstlicher Gen-Targeting-Vektor (Transportvehikel) gebaut. Die von Stewart entwickelte Methode des Rekombineering stellt die Schlüsseltechnologie zur effizienten Generierung von Targeting Vektoren dar und beruht auf homologer Rekombination mittels Phagen Proteinen. Das mutierte Gen wird in ES-Zellen eingeschleust und erlaubt damit eine Produktion von systematisch genetisch veränderten ES-Zellen bisher unbekannten Ausmaßes. Der Dresdner Genetiker und sein britischer Kollege können die von ihnen nun in großer Anzahl produzierten ES-Zellen tiefgefroren weltweit an Genforscher verschicken, damit schneller als bisher viele genetisch unterschiedliche neue Knockout-Mausstämme für die Forschung gezüchtet werden können. Mit dieser revolutionären neuen Technologie werden in voraussichtlich fünf Jahren um die 8.000 genetisch veränderte Mauslinien für die weltweite Genomforschung vorhanden sein.

Stewart schätzt, dass in den kommenden Jahren die Genom-Engineering-Technologien, die am Mausmodell exemplarisch entwickelt worden sind, auch auf andere Modellsysteme wie Ratten oder menschliche pluripotente Stammzellen angewendet werden können: „Unsere äußerst komplexe zuverlässige Hochdurchsatz-Genom-Technologie wird sich weltweit als Standard etablieren.“

Publikation:
William C. Skarnes¹, Barry Rosen¹, Anthony P. West¹, Manousos Koutsouriakis¹, Wendy Bushell¹, Vivek Iyer¹, Alejandro Mujica¹, Mark Thomas¹, Jennifer Harrow¹, Tony Cox¹, David Jackson¹, Jessica Severin¹, Patrick Biggs¹, Jun Fu², Michael Nefedov³, Pieter de Jong³, A. Francis Stewart², and Allan Bradley¹: A conditional knockout resource for genome-wide study of mouse gene function. Nature. (2011). DOI: 10.1038/nature10163.

¹ Wellcome Trust Institute, Wellcome Trust Genome Campus, Hinxton, Cambridge, United Kingdom

² Biotechnology Center and DFG Research Center for Regenerative Therapies, Technische Universität Dresden, Dresden

3 Children’s Hospital Oakland Research Institute, Oakland, California, USA

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Pressesprecherin Biotechnologisches Zentrum der TU Dresden
Tel.: 0351/ 463-40347
E-Mail: birte.urban-eicheler@crt-dresden.de
Prof. Dr. rer. nat. A. Francis Stewart
Professor für Genomik am Biotechnologischen Zentrum der TU Dresden
Tel.: 0351/ 463-40120
E-Mail: francis.stewart@biotec.tu-dresden.de
Das Biotechnologische Zentrum (BIOTEC) wurde 2000 als zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Technischen Universität Dresden mit dem Ziel gegründet, modernste Forschungsansätze in der Molekular- und Zellbiologie mit den in Dresden traditionell starken Ingenieurswissenschaften zu verbinden. Innerhalb der TU Dresden nimmt das BIOTEC eine zentrale Position in Forschung und Lehre mit dem Schwerpunkt Molecular Bioengineering und Regenerative Medizin ein. Es trägt damit entscheidend zur Profilierung der TU Dresden im Bereich moderner Biotechnologie und Biomedizin bei. Die Forschungsschwerpunkte der internationalen Arbeitsgruppen bilden die Genomik, die Proteomik, die Biophysik, zelluläre Maschinen, die Molekulargenetik, die Gewebezüchtung und die Bioinformatik.

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