Gonorrhoe-Bakterien warten auf den richtigen Moment

Neisseria gonorrhoeae Bakterien formieren sich als Mikrokolonien auf der Oberfläche einer menschlichen Zelle und produzieren dabei Signale zur Stabilisierung ihrer extrazellulären Lage. <br>Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Berlin<br>

Auch Krankheitserreger machen es sich gerne bequem: Sie dringen in ihre Wirtszellen ein und leben im Zellinneren von Annehmlichkeiten, die sich dort bieten. Forscher des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin haben jedoch zusammen mit Wissenschaftlern der Harvard Universität einen entgegengesetzten Mechanismus entdeckt, mit dem Bakterien den Infektionsprozess steuern. Sie verhindern so einen verfrühten Eintritt ins Innere der Wirtszelle.

Unmittelbar nach dem ersten Kontakt bewirken die Erreger mit Hilfe von Signalmolekülen eine lokale Verstärkung des Stützskeletts in der Wirtszelle und können dadurch außerhalb der Zelle bleiben. Auch bei Krankheitserregern im Darm haben die Forscher diese bislang unbekannte Infektionsstrategie nachgewiesen. (PLoS Biology, 24. August 2010)

Das Bakterium Neisseria gonorrhoeae wird beim Geschlechtsverkehr übertragen und kann zu einer Entzündung der Harnröhre, Gebärmutter und Eierstöcke führen. Es heftet sich mit Hilfe fadenförmiger Proteine auf seiner Oberfläche, so genannter Pili, an Schleimhautzellen. Dort kann es den Angriffen des Immunsystems durch raschen Wechsel seiner Oberflächenstruktur mit Leichtigkeit entgehen. Erst in einer späteren Phase der Infektion dringt es dann gelegentlich in die Zellen ein, um in tiefere Gewebe vorzudringen und dort weiteren Nährboden zu finden.

Bislang beschäftigten sich Wissenschaftler vor allem mit den Tricks, die es Bakterien erlauben, in Zellen einzudringen. Die Ergebnisse der Berliner Forscher legen jedoch nahe, dass Bakterien bei Bedarf viel Mühe darauf verwenden, nicht in Zellen aufgenommen zu werden. Da Körperzellen laufend kleine Membranbläschen von ihrer Oberfläche abschnüren, werden so auch die winzigen Bakterienzellen „ungewollt“ nach innen befördert. Die Berliner Forscher haben nun den Signalweg aufgeklärt, mit dem die Erreger verhindern von Zellen derart „verschluckt“ zu werden. Wenn sich Gonorrhoe-Bakterien an der Zellmembran anheften, lösen sie demnach an dieser Stelle unterhalb der Membran eine Verstärkung des Zellskeletts aus. Kettenförmige Aktin-Proteine werden zum Ort der Anheftung transportiert und dort miteinander verknüpft. Dabei spielt das Transportprotein Caveolin-1 sowie die Signalproteine Vav2 und RhoA eine zentrale Rolle.

Lieber draußen als drinnen

Die Ergebnisse eröffnen eine völlig neue Sichtweise auf den Verlauf von Infektionskrankheiten. „Lange Zeit ging man davon aus, dass sich Krankheitserreger besonders darum bemühen, möglichst schnell in Körperzellen einzudringen. Das Gegenteil ist aber offenbar der Fall. Zunächst scheint es für die Gonorrhoe-Bakterien lebenswichtig zu sein, auf der Oberfläche der Zellen zu verbleiben“, erklärt Thomas Meyer vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie. Die Verankerung an der Zellmembran mit ihren Pili-Proteinen und die darunterliegenden Veränderungen des Stützskeletts machen die Erreger offensichtlich noch widerstandsfähiger gegen die mitunter unwirtlichen Lebensumstände außerhalb der Zellen.

Die entdeckten Signalwege können möglicherweise künftig medizinisch genutzt werden, um Infektionen abzuwehren. Denn die Wissenschaftler konnten zeigen, dass krankmachende Escherichia coli-Darmbakterien ebenfalls diesen Signalweg nutzen. Wahrscheinlich verhindern auch noch weitere Bakterien auf diese Weise, dass sie von Zellen aufgenommen werden. Dazu zählen Krankheitserreger, die schwere Wundinfektionen, Lungen- und Hirnhautentzündungen hervorrufen können.

Originalveröffentlichung:
Tyrosine-phosphorylated caveolin-1 blocks bacterial uptake by inducing Vav2-RhoA-mediated cytoskeletal rearrangements
Jan Peter Boettcher, Marieluise Kirchner, Yuri Churin, Alexis Kaushansky, Malvika Pompaiah, Hans Thorn, Volker Brinkmann, Gavin MacBeath, Thomas F. Meyer

PLoS Biology, 24. August 2010

Kontakt:
Prof. Dr. Thomas F. Meyer
Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Berlin
Tel.: +49 (0)30 / 28 460-400
E-Mail: meyer@mpiib-berlin.mpg.de

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Barbara Abrell Max-Planck-Gesellschaft

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