Gesichtserkennung auf den ersten Blick

Wir begegnen täglich einer Vielzahl von Menschen: der netten Bedienung beim Bäcker, dem Busfahrer oder den Arbeitskollegen im Büro. Ohne die Fähigkeit, Gesichter auf einen Blick zu erfassen und zu erkennen, könnten wir die Personen nicht unterscheiden.

Auch Affen können Gesichter von Gruppenmitgliedern unterscheiden und die relevanten Informationen über die einzelnen Individuen daraus ablesen. Mit Hilfe der so genannten Thatcher-Illusion haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen untersucht, wie Menschen und Rhesusaffen Gesichter erkennen und im Gehirn verarbeiten. Sie stellten dabei fest, dass beide die Gesichter ihrer eigenen Artgenossen gleich wahrnehmen, während die Gesichter der jeweils anderen Art auf unterschiedliche Weise vom Gehirn verarbeitet werden.

„Von klein auf werden wir auf die Gesichter anderer Menschen geprägt: eine lange Nase, der Schwung der Lippen, die viel zu dicken oder zu dünnen Augenbrauen. So lernen wir, die kleinen Unterschiede zu erkennen, die zu einem individuellen Aussehen beitragen“, erklärt Christoph Dahl vom Tübinger Max-Planck-Institut. Ähnlich ist es auch bei Affen. Sie lernen die Gesichtszüge ihrer Artgenossen zu erkennen und können so schnell die Identität jedes Gruppenmitglieds erfassen. „Sowohl beim Mensch als auch beim Rhesusaffen funktioniert dieses Prinzip jedoch nur bei Individuen der eigenen Art“, so Dahl. Obwohl das Gesicht auf einen Blick ganzheitlich erfasst wird, spielen auch die einzelnen Teilbereiche wie Mund, Nase und Augen sowie die Abstände dazwischen eine Rolle. „Zwar schauen wir zunächst nur auf die Augen, die dahinterliegenden neuronalen Funktionen erfassen jedoch das ganze Bild“, beschreibt Christoph Dahl die Verarbeitungsmechanismen bei der Gesichtserkennung.

Die Tübinger Wissenschaftler haben mit Hilfe der Thatcher-Illusion die Gesichtserkennung bei Rhesusaffen und Menschen untersucht. Es schwieriger, Veränderungen in einem Gesicht wahrzunehmen, wenn es auf dem Kopf steht. In einem aufrechten Gesicht bemerken wir kleinste Änderungen dagegen sofort. „Gesichter, in welchen die Augen und der Mund um 180 Grad gedreht wurden, sehen grotesk aus – allerdings nur dann, wenn wir sie in der richtigen Orientierung sehen. Stellt man die Bilder auf den Kopf, sind die Unterschiede zwischen einem normalen Gesicht und einem ‚thacherized’ Gesicht kaum zu erkennen“, erläutert Christian Wallraven, einer der beteiligten Wissenschaftler. Erklärt wird die Illusion damit, dass nur bei der aufrechten Präsentation eines Gesichtes eine ganzheitliche Verarbeitungsweise stattfindet. Diese erlaubt es, feine Veränderungen in der Anordnung der einzelnen Gesichtsteile zu erkennen. Dreht man das ganze Gesicht um 180 Grad, geht diese Fähigkeit verloren.

Weder bei auf dem Kopf stehenden Gesichtern, noch bei artfremden Individuen funktionieren die üblichen Erkennungsmechanismen. So fanden die Wissenschaftler in der Studie heraus, dass Affen der Thatcher-Illusion nur für Gesichter ihrer eigenen Art unterliegen, während sie – den für uns Menschen extrem grotesken – veränderten Menschengesichtern keine besondere Beachtung schenkten. Genau umgekehrt verhielt es sich beim Menschen, für den die manipulierten Affengesichter unauffällig blieben. „Es muss also im Laufe der Evolution sowohl für uns als auch für unsere nächsten Verwandten, den Affen, von großem Vorteil gewesen sein, speziell die Gesichter der Artgenossen zu erkennen und dafür auch ähnliche Verarbeitungsmechanismen zu entwickeln“, resümiert Wallraven. Außerdem eröffnet die Fähigkeit der ganzheitlichen Gesichtswahrnehmung eine weitere Möglichkeit: einzelne Artgenossen schnell und individuell zu identifizieren.

Originalpublikation:
Dahl C. D., Logothetis N. K., Bülthoff H. H, Wallraven C., The Thatcher illusion in humans and monkeys. Proc. R. Soc. B (2010) doi: 10.1098/rspb.2010.0438
Kontakt:
Dr. Christoph Dahl
Tel.: 07071 601-610
E-Mail: christoph.dahl@tuebingen.mpg.de
Christian Wallraven
Tel.: 07071 601-1717
E-Mail: christian.wallraven@tuebingen.mpg.de
Stephanie Bertenbreiter (Presse- & Öffentlichkeitsarbeit)
Tel.: 07071 601-472
E-Mail: presse@tuebingen.mpg.de
Das Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik forscht an der Aufklärung von kognitiven Prozessen auf experimentellem, theoretischem und methodischem Gebiet. Es beschäftigt rund 325 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus über 40 Ländern und hat seinen Sitz auf dem Max-Planck-Campus in Tübingen. Das MPI für biologische Kybernetik ist eines der 80 Institute und Forschungseinrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.

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Dr. Susanne Diederich idw

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