Der genetische Ursprung der Landwirbeltiere

Fast 90 Wissenschaftlern aus über 40 Laboren weltweit ist es im Rahmen eines gemeinsamen Projektes gelungen, das Genom des Quastenflossers komplett zu sequenzieren und nach evolutionären Spuren der gemeinsamen Abstammung mit Landwirbeltieren zu untersuchen. Einer der Leiter dieses Projektes war Prof. Axel Meyer, Ph.D., von der Universität Konstanz.

Aus seinem Labor waren die Doktoranden Shaohua Fan, Tereza Manousaki, Nathalie Feiner und Dr. Shigehiro Kuraku beteiligt. Die Veröffentlichung wird in der Ausgabe von „Nature“ vom 18. April 2013 zu lesen sein. Die Sperrfrist endet am 17. April 2013 um 19 Uhr Mitteleuropäischer Zeit.

Zwei Tage vor Weihnachten des Jahres 1938 entdeckte eine junge Mitarbeiterin des Naturkundemuseums von East London in Südafrika auf dem Fischmarkt einen sehr merkwürdig aussehenden Fisch. Er war 1,5 Meter lang, bläulich gefärbt mit weißen Flecken, hatte riesige Schuppen und Flossen, die nicht aussahen wie Fischflossen, sondern eher wie die Gliedmaßen eines Salamanders. Majorie Courtney-Latimer wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie den zoologischen Sensationsfund des Jahrhunderts gemacht hatte.

Der von ihr entdeckte Urfisch, der Quastenflosser, der nach ihr „Latimeria chalumnae“ benannt wurde, gehört zu einer evolutionären Linie von Fischen, die bis ins Devon zurückreicht, aber von der bis dahin angenommen worden war, dass sie seit mehr als 70 Millionen Jahren ausgestorben sei. Seit dieser Entdeckung glaubten die meisten Wissenschaftler, dass diese Fischart die nächste lebende verwandte Art der Landwirbeltiere sei, somit auch des Menschen.

Quastenflosser werden zwar als „Fisch“ bezeichnet, sie sind aber mit dem Menschen näher verwandt als mit typischen Fischen wie einem Lachs oder Hecht. Mit der evolutionären Linie der Landwirbeltiere, zu der auch der Mensch zählt, hatten sie zuletzt vor etwa 420 Millionen Jahren einen gemeinsamen Vorfahren. Der gemeinsame Vorfahre, den der Quastenflosser mit den Fischen hat, lebte hingegen noch mehr als 20 Millionen Jahren vorher. Die Analyse des Quastenflossergenoms zeigt nun – mit größerer statistischer Wahrscheinlichkeit als vorherige Studien –, dass unter den Fischen die Lungenfische und nicht der Quastenflosser die nächsten lebenden Verwandten der Landwirbeltiere sind.

Zum ersten Mal wurde dies bereits 1990 anhand eines sehr viel kleineren genetischen Datensatzes gezeigt (Meyer und Wilson, Journal of Molecular Evolution, 1990). Allerdings haben Lungenfische Genome, die bis zu dreißigmal größer sind als die des Menschen und deshalb auch aus technischen Gründen bisher noch nicht sequenziert worden sind. Somit stellt das Quastenflossergenom die bisher beste Möglichkeit dar, nach genomischen Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschieden zwischen „fleischflossigen“ Fischen – wie dem Quastenflosser – und dem Genom der Landwirbeltiere zu suchen.

Quastenflosser scheinen nicht nur morphologisch, sondern auch in einigen, aber nicht allen Aspekten ihrer molekularen Evolution verhältnismäßig langsam zu evolvieren. Offensichtlich stellt das Leben an Land hinsichtlich einer ganzen Reihe von Anpassungen andere Ansprüche an Organismen als das im Wasser. Das betrifft beispielsweise die Sauerstoffaufnahme, die Fortbewegung, wobei Flossen zu Gliedmaßen wurden, der Geruchsinn, das Hören und der Harnstoffwechsel. Obwohl die Quastenflosser und die Landwirbeltiere durch über 800 Millionen Jahre separater evolutionärer Geschichte getrennt sind, ließen sich in ihrem jeweiligen Genom noch etliche gemeinsame genetische Anpassungen für das Leben an Land entdecken.

Quastenflosser haben einige morphologische und physiologische Merkmale, beispielsweise die Knochenstruktur ihrer Flossen, die sie als den „Fleischflossern“ (Sarcopterygii) zugehörig kennzeichnen. Im Genom des Quastenflossers konnte nun ein so genanntes regulatorisches Element, eine Art Genschalter, gefunden werden, der wahrscheinlich in der Embryonalentwicklung der Gliedmaßen, jedoch nicht der Fischflossen eine wichtige Rolle spielt. Dies konnte mit transgenen Mäusen gezeigt werden, in denen mit diesem Element des Quastenflossers – „Insel 1“ genannt – das passende Gen zur Entwicklung der Mäusegliedmaßen reguliert wurde.

Weitere Analysen des Quastenflossergenoms zeigen, dass ein Genschalter im so genannten Hoxa14-Gen wahrscheinlich schon im gemeinsamen Vorfahren von Quastenflossern und Landwirbeltieren vorhanden war. Dieser Genschalter ist wichtig in der Plazenta der Säugetiere. Quastenflosser legen keine Eier – wie die meisten anderen Fische –, sondern gebären lebende Jungfische, die im Mutterleib ausgebrütet werden. Wie das Genom des Quastenflossers zeigt, werden während der Evolution gelegentlich schon vorhandene Gene und Interaktionen zwischen Genen „recycled“ und für neue Anwendungen wiederverwendet und erlauben so die Entstehung von Innovationen. Einige der wichtigsten evolutionären Erfindungen sind, wie das Genom des Quastenflosser zeigt, wahrscheinlich eher durch Veränderungen in der Steuerung älterer Gene entstanden, als dass sie komplett neu entstanden wären.

Originalveröffentlichung:
Amemiya C. et al. 2013. The African coelacanth genome provides insights into tetrapod evolution. “Nature“ (Ausgabe vom 18. April 2013).
Das Paper wird open access erscheinen. Medienvertreter, die es bereits vor der Freischaltung des Links auf der Webseite von „Nature“ einsehen möchten, wenden sich bitte an einen der am Ende angefügten Kontakte.

Hinweis an die Redaktionen:
Fotos können im Folgenden heruntergeladen werden:

Bild1: http://www.pi.uni-konstanz.de/2013/037-1.jpg
Marjorie Courtney-Latimer, die „Entdeckerin“ des Quastenflossers, zusammen mit Prof. Axel Meyer im Jahr 2003.

Bild2: http://www.pi.uni-konstanz.de/2013/037-2.jpg
Prof. Axel Meyer mit dem ersten Individuum des Quastenflossers im Naturkundemuseum in East London im Jahr 2003.

Kontakt:
Universität Konstanz
Kommunikation und Marketing
Telefon: 07531 / 88-3603
E-Mail: kum@uni-konstanz.de

Prof. Dr. Axel Meyer
Universität Konstanz
Zoologie und Evolutionsbiologie
Universitätsstraße 10
78464 Konstanz
Telefon: 07531 / 88-4163
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