Die Geheimnisse der Pilzzucht

Blattschneiderameisen sind ein eindrucksvolles Beispiel dafür, welche erstaunlichen Verhaltensweisen die Evolution hervorgebracht hat.

Die kleinen Insekten treiben „Landwirtschaft“: Sie schneiden Blätter von den Bäumen und tragen wie am Fließband Blattschnipsel für Blattschnipsel in ihre unterirdischen Nester. Die Ameisen züchten auf dem Pflanzenmaterial bestimmte Pilze, die sie hegen und von denen sie sich ernähren. Eine Kolonie mit sieben Millionen Arbeiterinnen kann einen Raum von 600 Kubikmetern füllen und verarbeitet ungefähr so viel Pflanzenmaterial wie eine Kuh.

Ein internationales Forscherkonsortium hat nun erstmals gezeigt: Die hoch spezialisierte Lebensweise hat sich im Erbgut der Blattschneiderameisen niedergeschlagen und zum Beispiel dazu geführt, dass bestimmte Gene, die sonst zur Verdauung nötig sind, fehlen. An der Studie sind als einzige deutsche Partner auch Wissenschaftler der Universität Münster beteiligt.

Die 20 beteiligten Arbeitsgruppen haben unter der Leitung der Professoren Cameron Currie und Garret Suen von der US-amerikanischen Universität Wisconsin-Madison erstmalig das vollständige Genom der Blattschneiderameisen-Art Atta cephalotes analysiert. Die einzige nicht-amerikanische Arbeitsgruppe im Konsortium ist das auf die Untersuchung von Protein-Fragmenten – sogenannte Domänen – spezialisierte Team um Prof. Dr. Erich Bornberg-Bauer vom Institut für Evolution und Biodiversität der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Das münstersche Team war vor einem Jahr bereits an der Analyse des Genoms der parasitischen Erzwespe Nasonia beteiligt, welche international Beachtung fand. Die neue Studie ist in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Public Library of Science (PLoS) Genetics“ veröffentlicht.

„Aus dem Genom lässt sich nun einiges aus der Evolutionsgeschichte der Ameisen in den vergangenen 30 bis 50 Millionen Jahre ablesen – so lange gibt es die Pilzbewirtschaftung vermutlich schon“, erläutert Erich Bornberg-Bauer. Durch die reiche Nahrungsversorgung konnten die Blattschneiderameisen es sich leisten, einige Gene, die bei anderen Insekten eine wichtige Rolle im Stoffwechsel spielen, zu verlieren. So produzieren die Ameisen bestimmte Verdauungsenzyme nicht mehr – sie sind überflüssig geworden, da die Verdauung der Pilzprodukte keine Zerlegung von Proteinen erfordert. Die Ameisenlarven haben auch die Fähigkeit verloren, bestimmte Aminosäuren herzustellen. „Wir gehen davon aus, dass der Pilz sie damit versorgt und es daher für die Ameisen nicht mehr nötig ist, sie zu produzieren.“

Der Schlüssel zu dieser „Genomverschlankung“ liegt in der symbiotischen Lebensweise der Blattschneiderameisen. Die Tiere leben in einem Geflecht von gegenseitigen ökologischen Abhängigkeiten. Zahlreiche körperlich extrem unterschiedliche Kasten von Arbeiterinnen optimieren die Zucht der Pilze durch eine präzise Arbeitsteilung. Dazu gehören zum Beispiel riesige Kriegerinnen, die die Kolonie mitsamt dem Pilz verteidigen. Es gibt auch winzige Gärtnerinnen, die mit ihren filigranen Mundwerkzeugen den Pilz behutsam pflegen, oder Sammlerinnen, die auf das Eintragen von Blättern spezialisiert sind.

Der Pilz wird oft von einem anderen Schmarotzerpilz attackiert. Doch die Ameisen sorgen vor: Sie tragen bestimmte Bakterien auf ihrem Körper und füttern sie dort mit einem Drüsensekret. Die Bakterien wiederum helfen, die Pilzgärten von Schmarotzerpilzen frei zu halten. Andere Bakterien nutzen die Pilzgärten als Nahrungsgrundlage und versorgen im Gegenzug Pilze und Ameisen mit Stickstoff. Die Ameisen haben somit nicht nur eine Art Landwirtschaft, sondern hoch spezialisierte Hygienemaßnahmen entwickelt. Gleichzeitig wurden sie aber damit auch abhängig – ohne Pilz gehen die Kolonien zugrunde.

Die genetischen Grundlagen der Kastenaufteilung sind noch rätselhaft. „Aber durch die Untersuchung des Genoms werden wohl nun bald auch hier neue Erkenntnisse folgen“, vermutet Erich Bornberg-Bauer. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die sogenannte Epigenetik eine große Rolle spielt – dass also durch Umwelteinflüsse bestimmte Teile des Genoms stillgelegt werden. Durch die Analyse der Genome weiterer Ameisenarten wollen Wissenschaftler weitere Rückschlüsse auf die Ursachen des Erfolges dieser Tiergruppe ziehen.

Media Contact

Christina Heimken Universität Münster

Weitere Informationen:

http://www.uni-muenster.de

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