FAU-Forscher entdeckt ungeahnte Artenvielfalt von Gliederfüßern auf einem Hektar Regenwald

Das ist eines der Ergebnisse des internationalen Projekts „Investigating Biodiversity of Soil and Canopy Arthropods – IBISCA“, in dem ein Wissenschaftler der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) gemeinsam mit Spezialisten aus verschiedenen Nationen im Team die Diversität und Verteilung von sogenannten Gliederfüßern (Arthropoden) in tropischen Wäldern und Wäldern gemäßigter Breiten untersuchten.

Die Forschungsresultate werden am 14. Dezember 2012 in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.

Am Projekt beteiligten sich über das Kernteam hinaus insgesamt 102 Forscher. Sie sammelten von 2003 bis 2005 insgesamt 24.354 Personentage lang Gliederfüßer nach einem definierten Protokoll und identifizierten seitdem ganze 129.494 Arthropoden aus diversen Ordnungen. Die aktuellen Ergebnisse stützen sich auf die Untersuchungen im San Lorenzo National Park in Panama. Bisher wurden solche Projekte in Panama, Australien, Vanuatu, Frankreich und gerade aktuell in Papua Neuguinea durchgeführt, daneben laufen zahlreiche Teilprojekte in weiteren Ländern.

Vom Boden bis in die Baumkronen erfassten die Forscher jeden Quadratzentimeter auf zwölf Probeflächen innerhalb des Regenwalds, jede davon 400 Quadratmeter groß – die Größe eines kleinen Einfamilienhausgrundstücks. Dabei machten die Wissenschaftler exakt 6.144 Arten von Gliederfüßern aus. Mittels verschiedener Rechenmodelle ergab sich auf dieser Basis eine Summe von etwa 25.000 Arthropodenarten im gesamten 6.000 Hektar großen Wald. Erstaunlich dabei: Mehr als 60 Prozent dieser Arten kommen nach den Hochrechnungen schon auf einem einzigen Hektar vor, das bedeutet eine immense Vielfalt auf kleinstem Raum. Dennoch warnt der FAU-Wissenschaftler Dr. Jürgen Schmidl vor Fehlschlüssen, die man vermeintlich daraus ableiten könnte: „Wiewohl wir hier eine ungeheure Artenvielfalt auf nur einem Hektar Regenwald beobachten, würde es nicht etwa ausreichen, einen Hektar Regenwald zu schützen, um diese Diversität zu erhalten: Im Laufe der Zeit treten die individuellen Arten in unterschiedlichen Arealen innerhalb der gesamten Waldfläche auf, weil sie beispielsweise ihrem Nahrungsangebot folgen“, erklärt der Forscher. „Wie die Säugetiere brauchen auch die Gliederfüßer ein so genanntes Minimalareal – abhängig von den Ressourcen, die sie benötigen. Es muss also die gesamte Waldfläche für ihr Überleben erhalten bleiben.“

Diese Artenvielfalt der Arthropoden lässt sich in Rechenmodellen hervorragend mit der Pflanzenvielfalt der jeweiligen Probeflächen erklären, das gilt sowohl für die pflanzenfressenden als auch für die nicht pflanzenfressenden Arten: Die Wissenschaftler konnten im Rahmen des Projekts zeigen, dass es – um verlässliche Zahlen zur Artenvielfalt zu erzielen – zwingend notwendig ist, die verschiedensten Gliederfüßer-Gruppen zu erfassen, da die einzelnen Gruppen (Käfer, Zikaden, Spinnen etc.) unterschiedliche Muster der Vielfalt aufweisen. So sind Käfer bekanntermaßen eine megadiverse Gruppe mit sehr vielen verschiedenen Spezies – würde man sich bei der Hochrechnung auf diese Gruppe beschränken, würde dies zu einer Überschätzung der Vielfalt führen.

Spannend auch das Verhältnis zu Pflanzen und anderen Tiergruppen: Auf lokaler Ebene kommen im San Lorenzo Nationalpark auf jede der 1,294 Arten von Gefäßpflanzen mindestens 17 und höchstens 20 Arthropodenarten. Bei den Vögeln ist das Verhältnis 306 zu mindestens 71 bzw. höchstens 83 Gliederfüßer. Auf 81 Säugetierarten kommen dagegen 270 bis 312 Arthropodenarten. Auf globaler Ebene stützen die Ergebnisse des Forschungsprojekts derzeitige Hochrechnungen der Arthropodendiversität auf etwa 6,1 Millionen Arten, welche auf Modellen mit vergleichbaren Mustern der Beta- und Gildendiversität basieren.

Der Originalartikel “Arthropod Diversity in a Tropical Forest” von Yves Basset et al. wurde in der Fachzeitschrift Science 338, 1481 (2012) veröffentlicht (DOI: 10.1126/science.1226727).

Bildmaterial finden Sie hier zum Download:
http://blogs.fau.de/news/files/2012/12/Fogging.jpg
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Dr. Jürgen Schmidl
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