Warum evolutionär alte Hirnareale wichtig sind: RUB-Wissenschaftler untersuchen Augenreflex
Hirnstrukturen, die sich früh in der Evolution entwickelten, führen bei Neugeborenen Funktionen aus, die später die Großhirnrinde übernimmt. Neue Hinweise für diese Theorie hat ein Forscherteam der RUB im visuellen System von Affen gefunden. Die Wissenschaftler untersuchten einen Bewegungsreflex der Augen, den so genannten optokinetischen Nystagmus. Sie stellten fest, dass zunächst Kerne im Hirnstamm diesen Reflex steuern und erst später Signale der Großhirnrinde (Neokortex) hinzukommen. PD Dr. Claudia Distler-Hoffmann vom Lehrstuhl für Allgemeine Zoologie und Neurobiologie und Prof. Dr. Klaus-Peter Hoffmann vom Lehrstuhl für Tierphysiologie berichten im Journal of Neuroscience.
Warum der Neokortex Hilfe braucht
Um sensomotorische Funktionen (z.B. Augenbewegungen) zu steuern, besitzt das erwachsene Gehirn verschiedene Strukturen im Neokortex, dem evolutionär jüngsten Teil des Großhirns. „Das wirft die Frage auf, warum ältere Strukturen im Hirnstamm nicht ganz die Funktionen verloren haben, die auch der Neokortex steuern kann“, so Hoffmann. Der Neokortex von Primaten ist zu Beginn des Lebens jedoch nicht voll funktionsfähig und kann den optokinetischen Nystagmus daher nicht kontrollieren. „Das ist höchstwahrscheinlich auch beim Menschen so“, sagt Distler-Hoffmann. Trotzdem funktioniert dieser Reflex direkt nach der Geburt.
Erst Hirnstamm, dann Hirnrinde
Die Forscher untersuchten, welche Informationen den optokinetischen Nystagmus in den ersten Wochen nach der Geburt kontrollieren. In den ersten beiden Wochen wird der Reflex von Signalen der Netzhaut gesteuert, die zu zwei Kernen des Hirnstamms weitergeleitet werden. Erst im Lauf des ersten Lebensmonats übernimmt der Neocortex das Kommando. Der Reflex, den die Forscher auf Verhaltensebene beobachten, ist unter Hirnstamm- und Neokortexkontrolle beinahe identisch. Er tritt z.B. auf, wenn man eine bewegte Szene beobachtet. Zunächst folgen die Augen der vorbeiziehenden Szene, dann bewegen sie sich schnell in die entgegengesetzte Richtung in ihre Ausgangsposition zurück. Der Reflex ist auch die Grundlage für die langsamen Augenfolgebewegungen, mit denen Affen und Menschen bewegte Objekte „im Blick“ behalten.
Fehlentwicklungen des Sehsystems frühzeitig erkennen
Der optokinetische Nystagmus verändert sich auf Verhaltensebene, wenn sich das Sehsystem nicht normal entwickelt. Linsenfehler, Hornhauttrübung und Schielen beeinflussen den Reflex. „Diese Erkenntnisse aus der Forschung mit Primaten sind wichtig, um Fehlentwicklungen des Sehsystems bei Neugeborenen und Kleinkindern frühzeitig zu erkennen und zu behandeln“, erklärt Distler-Hoffmann.
Titelaufnahme
C. Distler, K.-P. Hoffmann (2011): Visual pathway for the optokinetic reflex in infant macaque monkeys, Journal of Neuroscience, doi: 10.1523/JNEUROSCI.4302-11.2011
Weitere Informationen
PD. Dr. Claudia Distler-Hoffmann, Fakultät für Biologie und Biotechnologie der Ruhr-Universität, 44780 Bochum, Tel.: 0234/32-24365
claudia.distler@rub.de
Redaktion
Dr. Julia Weiler
Media Contact
Weitere Informationen:
http://www.ruhr-uni-bochum.deAlle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.
Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.
Neueste Beiträge
Batterien: Heute die Materialien von morgen modellieren
Welche Faktoren bestimmen, wie schnell sich eine Batterie laden lässt? Dieser und weiteren Fragen gehen Forschende am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit computergestützten Simulationen nach. Mikrostrukturmodelle tragen dazu bei,…
Porosität von Sedimentgestein mit Neutronen untersucht
Forschung am FRM II zu geologischen Lagerstätten. Dauerhafte unterirdische Lagerung von CO2 Poren so klein wie Bakterien Porenmessung mit Neutronen auf den Nanometer genau Ob Sedimentgesteine fossile Kohlenwasserstoffe speichern können…
Transparente emissive Mikrodisplays
… für ultraleichte und kompakte Augmented-Reality-Systeme. Im Rahmen des Projektes HOT („Hochperformante transparente und biegbare Mikro-Elektronik für photonische und optische Anwendungen“) haben Forschende des Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme IPMS ein…