Die Evolution der Genregulation: Wie mikrobielle Nachbarn Gegensätze schlichten

Die meisten ihrer Anlagen werden daher, wie bei höheren Organismen auch, erst bei Bedarf aktiv. Im einfachsten Fall aktiviert dann ein Transkriptionsfaktor das betreffende Gen. Etwas komplexer regulierte Anlagen werden dagegen von einem Repressor inaktiv gehalten, der sich erst bei Bedarf ablöst.

Nach dem „use-it-or-lose-it“-Prinzip bilden sich diese zwei Regulationsmechanismen abhängig von der Nachfrage aus: Sind Anlagen häufig aktiv, werden sie in der Regel direkt induziert. Gene für selten gebrauchte Proteine werden dagegen eher durch Repressoren inaktiv gehalten. Der LMU-Physiker Ulrich Gerland und Professor Terence Hwa von der University of California haben nun aber mit Hilfe von Computersimulationen und theoretischen Analysen nachgewiesen, dass ein weiteres – und zwar entgegengesetzt wirkendes – Prinzip ebenfalls zum Tragen kommt: „wear-and-tear“.

Danach kann auch eine direkte Aktivierung zu schädlichen Veränderungen führen. „Welches der beiden Prinzipien sich jeweils durchsetzt, hängt aber von evolutiv wirksamen Kriterien wie der Populationsgröße und von den Zeitspannen ab, in denen Umweltveränderungen auftreten“, sagt Gerland. „Unsere Studie könnte sich als guter Ausgangspunkt für detaillierte Entwicklungsmodelle regulatorischer Systeme erweisen.“ (PNAS Early Edition, 22. Mai 2009)

Noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts beschäftigten sich Biochemiker vor allem mit dem Stoffwechsel, also der Energiegewinnung aus Nahrung. Wenig relevant – und technisch nicht zu klären – waren Fragen nach der Regulation dieser Prozesse als Reaktion auf innere und äußere Signale. Die Biologie der Regulation als eigenständiges Forschungsgebiet konnte sich erst entwickeln, als methodische Fortschritte auch die DNA als Träger der genetischen Anlagen und die Synthese der Proteine als wichtigste Funktionsträger der Zelle der wissenschaftlichen Analyse zugänglich machten. Schnell wurde klar, dass komplexe und vielfältige Regulationsmechanismen die genetische Aktivität von Zellen an innere und äußere Bedingungen anpassen – auch bei Mikroorganismen.

So ist etwa bekannt, dass das Darmbakterium Escherichia coli im Verdauungstrakt von jungen Säugern den in der Muttermilch reichlich enthaltenen Milchzucker Laktose zerlegen kann. Dazu produziert das Bakterium das Enzym Laktase – allerdings nur, wenn auch tatsächlich Laktose vorhanden ist. Die meiste Zeit aber fehlt der Milchzucker. Dann ist das Gen mit der Bauanleitung für das Laktase-Enzym von einem Repressor blockiert. Nur ein Schlüssel passt in das Schloss dieses Proteins, so dass es sich vom Laktase-Gen ablöst: ein Laktose-Molekül als einzig sicheres Anzeichen dafür, dass dieser Zucker jetzt als Nahrung zur Verfügung steht. Andere Gene aber kommen ohne Repressor als Regulator aus: Sie werden direkt durch einen Transkriptionsfaktor aktiviert, der an sie bindet.

Dies sind nur zwei einfache Beispiele für Mechanismen, die die Genaktivität regulieren. Funktional sind sie gleichwertig. „Schon früh stellte sich die Frage, ob die Entscheidung für einen der beiden Mechanismen von der Natur nur zufällig getroffen wird oder ob bestimmte Kriterien eine Rolle spielen“, berichtet Gerland. „Studien haben gezeigt, dass die Nachfrage nach dem Genprodukt ein entscheidender Faktor ist: Direkt aktiviert werden meist Gene, deren Proteine die meiste Zeit benötigt werden. Proteine wie die Laktase aber, die nur manchmal zum Einsatz kommen, gehören häufig zu den genetischen Anlagen, die nur bei Bedarf von ihrem Repressor freigegeben werden.“ Eine Erklärung dafür soll das „use-it-or-lose-it“-Prinzip liefern, das den häufigen Einsatz der Regulationsfaktoren fordert, weil diese sonst schädlichen Veränderungen unterworfen wären.

Anhand von Computersimulationen und theoretischen Berechnungen konnten Gerland und Hwa nun aber zeigen, dass ein weiteres – und zwar entgegengesetzt wirkendes – Prinzip ebenfalls zum Zuge kommt. „Wear-and-tear“ soll zum Ausdruck bringen, dass die maximal häufige Nutzung der Regulatoren ebenfalls zu ungünstigen Veränderungen dieser Proteine führen kann. Die beiden Forscher untersuchten deshalb, ob weitere Faktoren eine Rolle spielen, die sich auf die Evolution der Mikroorganismen auswirken können. „Unsere Ergebnisse zeigen klar, dass beide Prinzipien gültig sind, obwohl sie einander eigentlich widersprechen“, meint Gerland. „In diesem Spannungsfeld zwischen maximalem und minimalem Einsatz der Regulatoren kommen tatsächlich andere Kriterien zum Tragen: die Populationsgröße und die Zeitspanne, über die sich Veränderungen in der Umwelt hinziehen.“

So verläuft die genetische Regulation nach dem „use-it-or-lose-it“-Prinzip mit maximaler Nutzung der Regulationsproteine in kleinen Populationen, die sich in einer nur langsam verändernden Umwelt befinden. Im umgekehrten Fall aber kommt eher „wear-and-tear“ mit minimalem Einsatz der Proteine zum Tragen. „Die Evolution regulatorischer Systeme ist noch kaum verstanden“, berichtet Gerland. „Es fehlte bislang auch noch weitgehend an passenden theoretischen Modellen. Jetzt aber könnte sich die zeitabhängige Selektion wie in unserem Beispiel als wichtiger Faktor in der regulatorischen Entwicklung erweisen. Viele Fragen sind noch offen, und unsere Ergebnisse stoßen hoffentlich weitere Untersuchungen an.“ (suwe)

Publikation:
„Evolutionary selection between alternative modes of gene regulation“,
Ulrich Gerland and Terence Hwa,
PNAS Early Edition, 22. Mai 2009
Ansprechpartner:
Professor Ulrich Gerland
Tel.: 089 / 2180 – 4514
Fax: 089 / 2180 – 13545
E-Mail: gerland@lmu.de

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Luise Dirscherl idw

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