EU-Forschungsprojekt "PolyModE" gestartet / WWU federführend

Neben dem federführenden Team um Prof. Dr. Bruno Moerschbacher vom Institut für Biochemie und Biotechnologie der Pflanzen der WWU sind Universitäten und Forschungsinstitute sowie multinationale Firmen und kleine Biotechnologie-Unternehmen aus Deutschland, Frankreich, Dänemark, Holland, Schweden und Bulgarien beteiligt. Die Münsteraner erhalten für ihr Teilprojekt rund 800.000 Euro.

Polysaccharide („Vielfachzucker“) sind mit großem Abstand die häufigsten Biomoleküle. Zu ihnen gehören alltägliche Substanzen wie Stärke aus Kartoffeln oder Zellulose aus Baumwolle. Neben solchen einfach aufgebauten Polysacchariden, in denen ein bestimmtes Zuckermolekül in einer langen Kette vielfach hintereinander vorkommt, gibt es auch sehr komplexe Polysaccharide, die aus vielen verschiedenen Zuckermolekülen zusammengesetzt sind – beispielsweise Pektin, das Marmelade gelieren lässt. Solche komplexen Zuckerverbindungen, die auch als Hydrokolloide bezeichnet werden, sind vor allem in der Lebensmittelindustrie wichtige Hilfs- und Zusatzstoffe. Sie werden überwiegend aus Pflanzen und Algen gewonnen.

In vielen Fällen werden die Hydrokolloide mit den besten Eigenschaften nur von ganz bestimmten Organismen gebildet und stehen daher nur in begrenztem Umfang zur Verfügung. Das Projekt soll daher dazu beitragen, neue Quellen für bekannte Hydrokolloide zu erschließen. Ein Beispiel: Die Forscher wollen bestimmte Enzyme – jene biologischen Werkzeuge, die einige seltene Rotalgenarten zur Produktion des hochwertigen Hydrokolloids „Carrageenan“ verwenden – isolieren. Mit Hilfe moderner molekulargenetischer Methoden wollen sie diese Enzyme dann so optimieren, dass sie in einem biotechnologischen Prozess verwendet werden können, um das weniger wertvolle Carrageenan anderer, weitverbreiteter Rotalgenarten in das hochwertige Produkt der seltenen Algen zu verwandeln.

Auch im menschlichen Körper spielen Hydrokolloide eine wichtige Rolle. „Zucker sind Meister der Vielfalt. Sie können zahllose Strukturen ausbilden, und in den unterschiedlichen Strukturen steckt Information“, sagt Prof. Moerschbacher. So erkennt zum Beispiel das Immunsystem Krankheitserreger oft an deren typischen Zuckerverbindungen. „Die Sprache der Zucker ist weit komplexer als die der Gene oder Proteine, und wir können sie bisher kaum lesen und noch viel weniger verstehen“, so Prof. Moerschbacher. „Wenn wir uns diese Sprache zunutze machen wollen, müssen wir zudem auch lernen, sie zu schreiben.“

Bislang sind nur wenige 'Wörter' dieser Zuckersprache bekannt, darunter eine Zuckerverbindung, die im menschlichen Blut die Gerinnung hemmt. Sie wird unter anderem bei Thrombosepatienten eingesetzt, kann bislang jedoch nur in einem sehr aufwändigen und teuren Verfahren hergestellt werden. In dem neuen Projekt wollen die Wissenschaftler nun die „Schreib- und Lesewerkzeuge“ der Körperzellen finden – jene Enzyme, die den Gerinnungshemmer produzieren beziehungsweise seine „Regieanweisung“ umsetzen. Die Forscher wollen diese Enzyme mit molekulargenetischen Methoden in größeren Mengen und in hochreiner Form produzieren, ihre Eigenschaften studieren und sie für die Bedingungen einer zellfreien Synthese oder einer Modifikation komplexer Zuckerstrukturen optimieren.

Die Arbeiten im Projekt PolyModE („Polysaccharide Modifying Enzymes“) können möglicherweise auch neuartige komplexe Zuckerverbindungen mit noch weiter verbesserten Eigenschaften hervorbringen. „Wenn wir beispielsweise verstehen, wie menschliche Zellen bestimmte Blutgerinnungshemmer produzieren oder warum sie auf bestimmte Substanzen mit einer Stimulation des Immunsystems reagieren, dann können wir mit Hilfe von optimierten Enzymen 'Designer-Zucker' herstellen, die gezielt die Blutgerinnung hemmen oder zum Beispiel die Wundheilung unterstützen“ sagt Prof. Moerschbacher. „Solche spezifisch wirksamen komplexen Polysaccharide, die vollständig biologisch hergestellt sind, haben in vielen Bereichen ein enormes Potenzial“, ist er sich sicher. „Sie werden vom menschlichen Körper gut vertragen und in der Umwelt leicht abgebaut.“

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Dr. Christina Heimken idw

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