Einwanderer sind robuster

Die Pazifische Auster hat es geschafft - sie konnte sich im schleswig-holsteinischen Wattenmeer wie hier vor Sylt etablieren. Doch nicht jede Art, die über die Ozeane reist, kann ein neues Ökosystem für sich erobern. Welche Faktoren eine erfolgreiche Invasion begünstigen haben Meeresbiologen im Forschungs- und Studienprogramm GAME untersucht. Foto: Mark Lenz, IFM-GEOMAR<br>

Die Invasion fremder Arten in Ökosysteme erregt immer wieder die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit – vor allem, wenn die Invasion gravierende Folgen hat. Doch im Vergleich zur Gesamtzahl der Arten, die täglich in Schiffen oder auf natürlichem Weg über die Ozeane reisen, ist der Anteil erfolgreicher Invasoren gering.

Warum das so ist, untersuchte das Forschungs- und Studienprogramm GAME am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR) in einer globalen Studie. Sie erscheint aktuell in der Online-Ausgabe des internationalen Fachjournals „Environmental Research“.

Auf den Ozeanen herrscht reger Verkehr. 53.000 Handelsschiffe befuhren beispielsweise im Jahr 2009 die Weltmeere. Sie transportierten etwa acht Milliarden Tonnen Fracht – doch nicht nur die. Im Ballastwasser der Schiffe und als Aufwuchs auf deren Rümpfen fuhren auch unzählige Tiere und Pflanzen als blinde Passagiere mit. Schätzungen gehen davon aus, dass täglich 10.000 Arten so über die Weltmeere reisen. Im Vergleich dazu ist die Zahl der Arten, die sich nach der Reise erfolgreich in der neuen Umgebung festsetzen können, gering.

„Ökologen beschäftigt schon lange die Frage, welche Eigenschaften einer Art eine erfolgreiche Invasion fremder Ökosysteme begünstigen“, sagt der Meeresbiologe Dr. Mark Lenz vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR).

Ein Schritt zur Beantwortung dieser Frage liefert eine Studie, die Dr. Lenz und Professor Martin Wahl (ebenfalls IFM-GEOMAR) im Rahmen des Forschungs- und Studienprogramms GAME zusammen mit Studierenden aus fünf Ländern rund um den Globus durchgeführt haben. Die Ergebnisse erscheinen aktuell in der Online-Ausgabe des internationalen Fachjournals „Environmental Research“.

Im Mittelpunkt dieser Studie stand die Fähigkeit von Arten, mit Umweltstress zurechtzukommen. „Temperaturschwankungen oder ein anderer Salzgehalt des Wassers – die Organismen sind während des Transportes, aber auch nach der Ankunft im neuen Lebensraum einem großen Umweltstress ausgesetzt. Die Annahme liegt also nahe, dass invasive Arten grundsätzlich toleranter gegenüber diesen Belastungen sind als nicht-invasive“, erklärt Dr. Lenz, „bislang lagen dazu aber kaum empirische Daten vor“.

Um die Diskussion mit gesicherten Ergebnissen zu unterfüttern, untersuchten in den Jahren 2009 und 2010 Teilnehmer des GAME-Programms an fünf Standorten weltweit (Finnland, Wales, Trinidad & Tobago, Brasilien, Neuseeland) die Toleranz von Muscheln, Seescheiden und Flohkrebsen gegenüber Umweltstress. Jeweils paarweise verglichen die Studierenden dabei eine invasive und eine nicht-invasive Art. Beide Arten waren jeweils verwandt und besetzen die gleiche ökologische Nische. So wurde beispielsweise in Wales untersucht, ob sich zwei Arten von koloniebildenden Seescheiden, Diplosoma listerianum und Didemnum vexillum in ihrer Toleranz gegenüber einem deutlich herabgesetzten Salzgehalt unterscheiden. Die erste Art ist seit langer Zeit für die Gewässer um die britischen Inseln beschrieben, während die zweite Art erst seit kurzem in der Irischen See auftritt.

Alle Vergleiche der Studie, unabhängig von den untersuchten Arten und dem Standort, zeigten dasselbe Bild: Wann immer zwei Arten zeitgleich dem gleichen Stress ausgesetzt wurden, stellten sich die invasiven Organismen als die robusteren heraus. „Die Eindeutigkeit der Befunde unterstützt die Annahme, dass die Toleranz gegenüber Umweltstress eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche biologische Invasionen ist, erstmals mit belastbaren wissenschaftlichen Daten“, betont Dr. Lenz. Diese Erkenntnis kann beispielsweise dafür genutzt werden, das invasive Potenzial einer Art bereits im Vorfeld abzuschätzen. „Denn auch wenn die Zahl der erfolgreichen Invasoren klein ist, kann schon die Präsenz einer einzelnen neuen Art in einem Ökosystem einschneidende Folgen haben“, betont der Meeresbiologe.

Es blieb nach dieser Studie die wichtige Frage, ob die invasiven Arten als solche oder nur die erfolgreich eingewanderten Populationen einer Art besonders stress-resistent sind. Dieser Frage hat sich das jüngste GAME-Projekt angenommen, die Veröffentlichung der Ergebnisse wird zurzeit vorbereitet.

Originalarbeit:
Lenz, M, B.A.P.da Gama, N.V. Gerner, J. Gobin, F. Gröner, A. Harry, S.R. Jenkins, P. Kraufvelin, C. Mummelthei, J. Sareyka, E.A. Xavier, M. Wahl, 2011: Non-native marine invertebrates are more tolerant towards environmental stress than taxonomically related native species: Results from a globally replicated study. Environ. Res. (2011), doi: 10.1016/j.envres.2011.05.001
Hintergrundinformationen: GAME
Nach einer Pilotstudie in den Jahren 2000 bis 2002 wurde GAME (Global Approach by Modular Experiments) 2002 am Kieler Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR) von dem Meeresbiologen Professor Martin Wahl gegründet. Studierende aus Deutschland und mittlerweile 24 Partnerländern beschäftigen sich in weltweiten Studien mit den Folgen des globalen Wandels in Küstenökosystemen. Bisher haben 70 Studentinnen und Studenten aus Deutschland und noch einmal so viele aus den Partnerländern im Rahmen von GAME einen Diplom- oder Masterabschluss erlangt.

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Andreas Villwock idw

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