Einraumwohnung: Nischenbildung auf kleinstem Raum an heißen Tiefseequellen

Orte der Probenahme. Mit Hilfe des Tauchroboters Quest beprobten Meier und seine Kollegen Gas und Wasser ebenso wie verschiedene Oberflächen an Hydrothermalquellen im Manus-Becken. MARUM − Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen

Wer an heißen Quellen in der Tiefsee lebt, muss sich einigen Herausforderungen stellen.

Aufgeheizt von der Hitze aus dem Erdinneren, sprudelt an den Hydrothermalquellen Wasser mit über 300 Grad Celsius aus dem Meeresboden. Das ist möglich, da sich durch den enormen Druck in der Tiefsee der Siedepunkt des Wassers erhöht.

Außerdem gibt es fernab der Oberfläche nicht das kleinste Fünkchen Sonnenlicht. Die Umwandlung von Kohlendioxid in Biomasse, wie sie Pflanzen betreiben, ist also nicht möglich. Andere Energiequellen müssen her. Mikroorganismen in der Tiefsee nutzen daher chemische Verbindungen wie Methan oder Sulfid, die aus den heißen Quellen strömen, um zu wachsen. So bilden sie die Basis der dortigen Nahrungskette.

In diesem extremen Lebensraum verändern sich die Lebensbedingungen für die anwesenden Organismen auf kleinstem Raum auf drastische Weise. Nach dem Austritt trifft das heiße Quellwasser auf das vier Grad kalte Wasser des umgebenden Meeres und kühlt schnell ab. Gleiches gilt für den Gehalt von beispielsweise Sulfid – schon wenige Zentimeter neben der Austrittsstelle sind nur mehr Bruchteile der ursprünglichen Konzentrationen zu finden.

Wie schaffen es die Mikroorganismen vor Ort, sich einem so kleinteiligen Umfeld anzupassen? Gibt es ökologische Nischen, wie wir sie aus anderen Lebensräumen kennen? Dieser Frage gehen der Biologe Dimitri Meier vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen und seine Kollegen zusammen mit Meeresforschern vom MARUM in Bremen und der Harvard University in Cambridge, USA, in einer neuen Veröffentlichung im Fachjournal ISME Journal auf den Grund.

Wer wo wohnt, ist klar geregelt

Auf einer Forschungsfahrt zu den heißen Quellen im Manus-Becken vor Papua-Neuguinea sammelten die Forscher Gas- und Wasserproben sowie Proben von verschiedenen Oberflächen in unmittelbarer Umgebung der Quellen. Im Labor in Bremen untersuchten sie anschließend, welche Mikroorganismen dort leben. Dabei zeigte sich: Wer wo wohnt an den heißen Quellen, ist klar geregelt.

„Hydrothermalquellen auf der ganzen Welt sind vor allem von zwei Bakteriengruppen besiedelt“, erklärt Meier. „Die sogenannten SUP05 Gammaproteobakterien und Epsilonproteobakterien der Gattungen Sulfurovum und Sulfurimonas. Wir fanden eindeutige Hinweise darauf, dass die weitverbreiteten SUP05-Bakterien an niedrige Sulfidkonzentrationen angepasst sind. Die Epsilonproteobakterien hingegen leben näher an den Quellöffnungen bei viel höheren Sulfidwerten.“

Die Epsilonproteobakterien besitzen besondere Fähigkeiten, um in diesem infernalischen aber energiereichen Lebensraum zu bestehen. „Unsere Analysen ihrer Gene haben gezeigt, dass sie sich an Oberflächen festhalten können und sehr stressresistent sind“, so Meier. „Den SUP05-Bakterien fehlen diese Fähigkeiten, sie können sich nicht in den turbulenten und toxischen Mischzonen halten.“

Neuer Einblick in die Artenbildung bei Mikroorganismen

Die Studie wirft auch ein neues Licht auf die Artenbildung bei Mikroorganismen. Die Forscher fanden nämlich Hinweise darauf, dass stark variierende Umweltbedingungen auch auf sehr engem Raum zur Auffächerung einer Bakteriengruppe in viele verschiedene Gattungen und Arten führen können.

Die bei konstant kalten und mageren Bedingungen vorkommende SUP05-Bakterien waren durch wenige, sehr nah verwandte Arten vertreten. Innerhalb der Epsilonproteobakterien hingegen herrschte eine sehr hohe Artenvielfalt. Diese Vielfalt bedeutet aber nicht, dass die verschiedenen Arten auch verschiedene Funktionen in ihrem Lebensraum übernehmen. Denn die genetische Ausstattung der verschiedenen Arten war vergleichbar.

Eines war jedoch auffällig, berichten die Forscher: Bestimmte Schlüsselgene der Schwefeloxidation waren ähnlich breit gefächert wie die zur Artenbestimmung verwendete Markergene. „Scheinbar gibt es auf kleinstem Raum viele verschiedenen Arten von Epsilonproteobakterien, die zwar alle Sulfid oxidieren und Kohlendioxid binden, sich aber jeweils auf ganz bestimmte Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel verschiedene Sulfidkonzentrationen, spezialisiert haben“, schließt Meier. „Dem wollen wir als nächstes nachforschen.“

Originalveröffentlichung

Dimitri V. Meier, Petra Pjevac, Wolfgang Bach, Stephane Hourdez, Peter R Girguis, Charles Vidoudez, Rudolf Amann und Anke Meyerdierks (2017): Niche partitioning of diverse sulfur-oxidizing bacteria at hydrothermal vents. ISME Journal
doi:10.1038/ismej.2017.37
Link: https://www.nature.com/ismej/journal/vaop/ncurrent/pdf/ismej201737a.pdf


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