Ein synthetisches Mini-Chromosom für Biotechnologie und Grundlagenforschung

Das synthetische sekundäre Chromosom synVicII (gelb) enthält sowohl Elemente des sekundären Chromosoms von Vibrio cholerae als auch Elemente anderer Organismen. Torsten Waldminghaus

Wie die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Biotechnology Journal“ schreiben, sind jene Elemente ihres synthetischen Chromosoms synVicII, die für dessen Vervielfältigung und Erhalt nötig sind, eine Kopie der entsprechenden Elemente des sekundären Chromosoms von Vibrio cholerae; den übrigen Teil von synVicII setzten die Forscher aus Elementen verschiedener anderer Organismen zusammen. Solch synthetische sekundäre Chromosomen haben unter anderem großes Potenzial für die Biotechnologie, können aber auch helfen, natürliche Chromosomen besser zu verstehen.

Wissenschaftler um den Marburger Mikrobiologen Prof. Torsten Waldminghaus vom LOEWE-Zentrum für Synthetische Mikrobiologie der Philipps-Universität haben ein funktionsfähiges synthetisches Chromosom entworfen und gebaut. Wie die Forscher in einem aktuellen Artikel in der Fachzeitschrift „Biotechnology Journal“ schreiben, orientierten sie sich bei dem Design teilweise am zweiten Chromosom des Cholera-Erregers Vibrio cholerae – V. cholerae ist eines der wenigen Bakterien, das natürlicherweise mehr als ein Chromosom besitzt.

So sind jene Elemente des synthetischen Chromosoms synVicII, die für dessen Vervielfältigung und damit für den Erhalt nötig sind, eine Kopie der entsprechenden Elemente des sekundären Chromosoms von V. cholerae; den übrigen Teil von synVicII setzten die Wissenschaftler aus Elementen verschiedener anderer Organismen zusammen.

Dieses synthetische Chromosom synVicII schleusten die Wissenschaftler in das Modelbakterium Escherichia coli ein, wodurch Zellen mit je einem natürlichen und einem zusätzlichen synthetischen Chromosom entstanden. Da die Forscher in synVicII auch ein Gen eingebaut hatten, dessen Produkt die Zellen grün fluoreszieren lässt, konnten sie darüber hinaus zeigen, dass ihr synthetisches Chromosom über mehrere Generationen an die Tochterzellen weitervererbt wurde.

„Unser synthetisches Chromosom synVicII ist ein erster Prototyp, den wir weiter verbessern und erweitern wollen“, sagt Waldminghaus. Tatsächlich entspricht synVicII mit immerhin 10.000 Basenpaaren Größe nur weniger als 1 Prozent des natürlichen Chromosoms von E. coli. Das Design von synVicII erlaubt es aber, schrittweise weitere DNA-Sequenzen einzufügen.

Die Forschung an synVicII ist aus drei Gründen interessant: Erstens fanden die Wissenschaftler, dass sich synVicII in E. coli nach einem ähnlichen Modus verdoppelt wie das zweite Chromosom in V. cholerae; synVicII könnte also auch dazu beitragen, mehr über die Biologie dieses gefährlichen Krankheitserregers herauszufinden.

Zweitens haben solch sekundäre synthetische Chromosomen großes Potenzial für die Biotechnologie. Mit ihnen könnten nämlich deutlich größere Mengen an Fremd-DNA in Zellen eingebracht werden als bisher – beispielsweise ganze Stoffwechselwege anstelle einiger weniger Gene. Und drittens wollen Waldminghaus und seine Mitarbeiter solch synthetische Chromosomen benutzen, um natürliche Chromosomen besser zu verstehen. Chromosomen tragen nämlich nicht nur die Erbinformationen ihrer Zelle, sondern auch Elemente, die ihren eigenen Erhalt sicherstellen.

„Chromosomen müssen vor der Teilung einer Zelle kopiert, auf die Tochterzellen verteilt und gefaltet werden, weil sie um ein Vielfaches länger sind als die Zelle selbst“, erklärt Waldminghaus. Die Systeme, die diese Funktionen erfüllen, bestehen in der Regel aus einem DNA-bindenden Protein und einem entsprechenden Bindemotiv auf der DNA. In einem nächsten Schritt sollen nun synthetische Chromosomen mit derselben, aber auch mit anderer Verteilung dieser Motive gebaut und dadurch Zusammenhänge zwischen Verteilung und Funktion identifiziert werden.

www.biotechnology-journal.com , DOI 10.1002/biot.201400031

Weitere Informationen:

http://www.synmikro.com/de/
http://www.synmikro.com/de/forschung/chassis-und-minimalgenome/torsten-waldminghaus/home.html

Media Contact

Vera Bettenworth idw - Informationsdienst Wissenschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neue universelle lichtbasierte Technik zur Kontrolle der Talpolarisation

Ein internationales Forscherteam berichtet in Nature über eine neue Methode, mit der zum ersten Mal die Talpolarisation in zentrosymmetrischen Bulk-Materialien auf eine nicht materialspezifische Weise erreicht wird. Diese „universelle Technik“…

Tumorzellen hebeln das Immunsystem früh aus

Neu entdeckter Mechanismus könnte Krebs-Immuntherapien deutlich verbessern. Tumore verhindern aktiv, dass sich Immunantworten durch sogenannte zytotoxische T-Zellen bilden, die den Krebs bekämpfen könnten. Wie das genau geschieht, beschreiben jetzt erstmals…

Immunzellen in den Startlöchern: „Allzeit bereit“ ist harte Arbeit

Wenn Krankheitserreger in den Körper eindringen, muss das Immunsystem sofort reagieren und eine Infektion verhindern oder eindämmen. Doch wie halten sich unsere Abwehrzellen bereit, wenn kein Angreifer in Sicht ist?…

Partner & Förderer